In ihrer Thirtysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche, über das Problem mit der großen Liebe.
Endstation: große Liebe
Ich sitze in meinem Zimmer und höre Radio. Es läuft eine Call-in Sendung zum Thema wahre Liebe. Ein Mann um die 50 ruft an und erzählt der Moderatorin erst ganz begeistert und dann bitterlich weinend von seiner großen Liebe, die ihm vor ein paar Jahren abhanden gekommen ist. Sein gebrochenes Herz springt fast durch die Leitung. Die Moderatorin schluckt. Ich auch. Er ist sich sicher, das war’s in Sachen Liebe, so etwas wird ihm nie mehr passieren. Das habe er auch gar nicht verdient, sagt er. Zu Ende des Gesprächs kommt heraus, besagt Frau sitzt neben ihm. Sie sind jetzt Freunde.
Mmh… ob das wirklich funktioniert oder nur der Versuch ist, sich etwas Nähe zu bewahren? Nun, das geht mich im Grunde nichts an. Jedenfalls hat mich dieser Anrufer mit seinem zerbröselten Herzchen und seiner Selbstgeißelung berührt und zum Nachdenken gebracht. Ich frage mich, ob diese „die große Liebe“-Kiste wirklich stärkend und erstrebenswert, oder ob es nicht vielmehr zerstörerisch ist und wir uns davon lösen sollten. Wären wir nicht alle freier und hätten wir nicht mehr Zeit für die Liebe selbst, wenn wir nicht so sehr damit beschäftigt wären, Beziehungen zu bewerten, nach Fehlern und Benefits abzuklopfen oder uns zu fragen, ob wir sie überhaupt verdient haben, nur um dann eventuell eine von ihnen auf einen goldverzierten Sockel heben zu können – und damit letztlich unsere emotionale Endstation zu markieren? Denn was soll jetzt schon noch kommen? Das war’s, Höhepunkt erreicht.
Oder sehe ich das verkehrt? Denn irgendwann, da war das ja mal ein sehr schöner Gedanke: die große, eine Liebe.
Wie viele große Lieben darf man haben?
Als junger Mensch, da freut man sich ja unfassbar auf diese sagenumwobene disney-reife Liebe, hat pastellfarbene Tagträume und malt sich aus wie das dann sein wird. Eins scheint sicher: Endlos glücklich wird sie uns machen. Und irgendwann, da haben wir sie vielleicht gefunden oder denken das zumindest, meist das erste Mal mit 14 Jahren – bis wir merken: es muss mehr große Liebe drin sein als zwei Wochen Händchenhalten und hinterm Gebüsch knutschen.
Und ja, dieses Gefühl, die große Liebe zu erleben, ist ganz klar wunderschön. Es ist einfach unfassbares Glück, jemanden zu finden, der uns ganz nahe ist, dem wir vertrauen, mit dem wir (fast) alles teilen wollen, der das Herz hüpfen lässt, einfach weil er oder sie da ist. Alles super, alles richtig – aber was ist, wenn diese Liebe dann geht? Bleibt dann wirklich nur noch die emotionale Resterampe, an der man sich noch ein paar Mal bedient, wenn das Herz wieder nach Wärme verlangt, wieder eine Ahnung von der einstigen Hitze spüren will?
Haben wir wirklich ein festes Liebeskontingent?
Wieso halten wir an dem Mythos fest? Und machen wir wirklich eine Liebe kleiner, nur weil noch einmal eine neue große Liebe in unser Leben tritt? Und wäre das schlimm? Haben wir ein Liebeskontingent, das sich erschöpfen kann? Fragen über Fragen.
Auf der Suche nach Antworten, kommt mir diese eine alte Dame in den Sinn, die ich in einer Doku über Berliner Eckkneipen gesehen habe und die mir nachhaltig im Gedächtnis blieb. Eine alte Frau, die jeden Tag in die Kneipe kommt, und von den anderen Stammgästen liebevoll „die Fürstin“ getauft wurde – wahrscheinlich, weil sie wie jemand aussieht, der früher mal was war. In einer Zeit, bevor sie sich in ihre Erinnerungswelt zurückgezogen hat. Die Fürstin sitzt den lieben langen Tag stillschweigend in einer Ecke, nippt immer wieder an einem kleinen Bier vom Fass, schaut aus dem Fenster oder auf die alte Tischplatte vor sich. Irgendwann beginnt sie dann doch zu erzählen, von ihrer großen Liebe, einem Mann, der vor langer Zeit verstorben ist. Danach hat sie nie wieder für jemand anderen Platz in ihrem Leben, in ihrem Herzen gemacht. Ist das noch die große Liebe oder ist das schon die große Zerstörung ? Ich weiß es nicht, aber ich kann einfach keinen Zauber darin finden, die Fürstin zu werden und das ganze romantisches Mindset um eine Person aufzubauen, die irgendwann nicht mehr da sein wird, ganz gleich, aus welchen Gründen.
Ist es nicht viel romantischer, die Liebe, auch die große, immer wieder zu entdecken? Zumindest wenn man denn Glück hat. Und sich nicht von vornherein gedanklich zu beschneiden, sich hinterher zu geißeln, einzuigeln, zu verschließen, vor allem, was da noch wartet, weil man sie verloren hat? Ich glaube an die große Liebe, an etwas, dass sich wie eine große Liebe anfühlt. Ich glaube aber auch daran, dass sie uns immer wieder begegnen kann, wenn wir sie denn lassen. Hach, vielleicht bin ich eben doch romantischer als ich das zugeben mag. Ich meine, es ist doch so: Hätten wir alle mit 14 Jahren aufgehört nach ihr zu suchen, weil wir doch schon ganze zwei Wochen Händchenhalten hatten – da wäre uns doch so einiges flöten gegangen.
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