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Eine Familie, zwei Wohnungen: Warum das für uns das beste Modell ist

Unsere Community-Autorin lebt mit ihrem Freund in einer sogenannten „LAT-Beziehung“. Die beiden sind ein Paar, haben eine Tochter – und getrennte Wohnungen. Was bei kinderlosen Paaren mit Distanzbeziehung gemeinhin akzeptiert ist, ruft bei Familien Traditionalisten und Wertebewahrer auf den Plan.

Ein Kind, eine wilde Ehe und zwei Wohnungen

Samstagnachmittag, eine Hochzeitsfeier im Norden von Berlin. Es ist Anfang September, die Feier findet auf einem Naturhof statt, es sind gefühlt mehr Kinder als Erwachsene da. Versammelt haben sich Familie und Freunde des Brautpaars, viele haben sich seit Jahren nicht mehr gesehen. Beim Kaffeetrinken die üblichen Gespräche, woher man Braut oder Bräutigam kennt, Wohnort, Anzahl der Kinder, Haus, Job. Das Paar, das uns gegenüber sitzt, hat gut bezahlte Anstellungen in der IT-Branche und im Consulting. Man kennt sich, irgendwie, von früher.

Beim Abendessen kommt es, wie es kommen muss: „Und, seid ihr verheiratet?“ Ich will eigentlich einen meiner übliche Sprüche zum Thema klopfen, doch während ich mich innerlich für das Gespräch stähle, höre ich mich plötzlich sagen: „Nein – wir leben in wilder Ehe und noch dazu in getrennten Wohnungen.“ Die kurze Pause, die nach diesem Satz eintritt, lässt ihn mich sofort bereuen.

Machen wir unser Kind zum Außenseiter?

Immer mehr Paare in Deutschland leben unverheiratet in einer Beziehung. 2,8 Millionen waren es im Jahr 2015. Wie viele Paare allerdings bewusst nicht zusammen leben, dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen. Der Soziologe Robert Naderi vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung schätzt, dass etwa fünf Prozent der Deutschen freiwillig in einer bilokalen Beziehung leben – angeblich ein Trend, zumindest in Großstädten. Wenn ich nach den Reaktionen in meinem erweiterten Bekanntenkreis gehe, ist dieser Trend in Berlin wohl noch nicht angekommen. Denn fast alle, denen wir von unserem Modell des Zusammenlebens erzählen, reagieren verwirrt bis feindselig.

Das wäre doch wirtschaftlicher Unsinn, meint die Beraterin gegenüber am Tisch, und überhaupt, das müsse ja ein wahnsinniger logistischer Aufwand sein. „Allein die ganzen Sachen hin- und herschleppen!“ Sie schüttelt den Kopf. Und wann würden wir uns überhaupt sehen? Außerdem ist sie sich sicher, dass die zukünftigen Klassenkameraden unserer Tochter das „total komisch“ finden würden.

Meine Tochter ist zwei, sie kennt kein anderes Modell, und ich wage zu hoffen, dass sich unter ihren zukünftigen Schulfreunden auch Kinder befinden werden, die nicht in der typischen, traditionellen Kleinfamilie aufwachsen. Die in bunten Patchwork-Familien leben, im Wechselmodell abwechselnd bei Papa und Mama, mit nur einem Elternteil oder vielleicht mit mehr als zwei Elternteilen. Trotzdem nagt Zweifel an mir: Machen wir mit unserem Zusammenlebensmodell unser Kind zum Außenseiter?

Einmal pro Woche rumgammeln und durchschlafen

Eigentlich war die Sache mit den zwei Wohnungen nie als gesellschaftliches Statement gedacht; es hat sich so ergeben, weil es für uns viele Vorteile bringt. Wir können uns beide Auszeiten nehmen, wenn wir sie brauchen. Mal einen Abend allein sein, ausgehen und morgens ausschlafen, Leute einladen und nicht ob des schlafenden Kindes wegen leise sein müssen. Wir nutzen diese Freiheiten regelmäßig, insgesamt aber selten – denn wir sind sehr gern als Familie zusammen. Nur eben nicht immer, täglich, 24/7. Hinzu kommen unsere günstigen Wohnungen – in Pankow ist es praktisch unmöglich, zum Preis unserer addierten Mieten eine adäquate, größere Wohnung zu bekommen, die Raum für uns drei plus Rückzugsorte bietet.

So haben wir unsere bestehenden Haushalte nicht zusammengelegt, stattdessen ein paar wenige Dinge – vorrangig fürs Kind – doppelt angeschafft und klare Regelungen für die Sorge unserer Tochter verabredet. Ich habe ein bis zwei Abende pro Woche „frei“ – kann mich also verabreden, schlafen oder rumgammeln oder mich entscheiden, den Abend mit Kind und Mann zu verbringen. Mein Freund ebenfalls – die restlichen Abende verbringen wir zusammen. So weit, so unkompliziert – dachten wir.

Nachdem wir unserer Gesprächspartnerin auf der Hochzeit die Absprache mit den freien Abenden erklärt haben, will sie wissen, ob wir überhaupt „richtig zusammen“ wären. Ich frage mich: Wie machen das Paare mit Kindern, die zusammen wohnen? Sprechen die sich nicht ab, wenn einer abends ausgehen will? Macht es nicht Sinn, dafür bestimmte Wochentage festzulegen, damit man Planungssicherheit hat und im Zweifel nicht bei jeder Verabredung sagen muss: „Das muss ich erst mit meinem Partner besprechen“?

„Und, wohnt ihr immer noch nicht zusammen?“

Zum Glück kommt in diesem Augenblick meine Tochter und zupft mich am Arm. „Gehen wir die Fische angucken?“ Ich lasse mich mitziehen und stehe bald darauf in einem ruhigeren Raum, Fische ziehen in Aquarien beruhigend ihre Runden, das Licht ist gedimmt. Ich atme auf. Vor einem der Aquarien entdecke ich die Frau eines Bekannten, wir sind im selben Alter, sie hat drei Kinder, die beiden sind verheiratet, sind gerade in ihre neue Eigentumswohnung in Nord-Neukölln gezogen, legen Wert auf vegetarische Ernährung und soziales Engagement. Wir nicken uns zu, und während unsere Kinder auf Fische starren, höre ich sie mit besorgter Stimme fragen: „Und, wohnt ihr immer noch nicht zusammen?“

Und in was für einem Modell lebt ihr?

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