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Frauenkörper, Frauenstimmen, Frauenarmut – wen interessiert’s?

In ihrer Thirtysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche darüber, dass sich für Frauen immer noch viel zu wenig getan hat.

Frauen: Die Hälfte der Menschheit, aber immer noch keine echte Lobby

Wie oft wurde im vergangenen Jahr eigentlich gefragt: Wie kann das sein, wir haben doch das Jahr 2017? Etwa als die Ärztin Kristina Hänel verurteilt wurde, weil sie gegen Paragraph 219a des deutschen Strafgesetzbuches verstoßen hat, indem sie auf ihrer Website eine Seite verlinkte, die über Schwangerschaftsabbrüche aufklärt. Oder als Trump den Planned Parenthood-Kliniken Millionen von Dollar gestrichen hat, weil sie Abtreibungen durchführen. Dass Planned Parenthood Frauen auch mit Verhütungsmitteln und der Pille danach versorgen, Krebsvorsorge, Tests auf HIV und Geschlechtskrankheiten anbieten – geschenkt. Oder weil immer noch und immer mehr Hebammen aus ihren Berufen gedrängt werden, weil sie ihn sich schlicht nicht mehr leisten können und Frauen damit in Deutschland nicht mehr ausreichend während sowie nach der Schwangerschaft und bei der Geburt versorgt sind. Oder als sich die #Metoo-Debatte hierzulande ernsthaft wochenlang vor allem darum drehte, ob man Frauen nun keine Komplimente mehr machen dürfe und wie man denn als Mann wissen könne, ob das was man sagt nun grenzüberschreitend oder nett ist.

Oder als in einigen deutschen Medien die Empörungswelle losging, weil Schweden ein „Ja heißt Ja“-Gesetz einführt, bei dem es schlicht um einvernehmlichen Sex geht. Nicht mehr, nicht weniger. Oder als zwei Unternehmerinnen davon erzählten, dass sie sich einen männlichen Mit-Gründer erfinden mussten, um von Investoren ernstgenommen zu werden – andernfalls wären sie wohl weder an Gelder, noch zu ihrem Erfolg gekommen. Oder wenn es darum geht, dass in Talkshows wieder mal kaum Frau zu Gast waren und Male-only-panels immer noch selbstverständlich sind, weil niemand zehn Minuten recherchieren will. Oder wenn die Platzhalter-Diskussionen über freiwillige (und damit nicht funktionierende) Quoten in lächerlicher Höhe geführt werden. Oder wenn die Sexualisierung von Frauen immer noch das oberste Credo der Werbeindustrie ist – natürlich auch mit der Auswirkung, dass nicht nur Autoreifen mit großen Brüsten beworben, sondern mit der pathologischen Fixierung auf vermeintliche Körperideale ein riesen Reibach gemacht wird. Auch weil wir für die selben Produkte häufig einfach mehr zahlen. Wenn Sextipps in Frauenmagazinen vor allem davon handeln, wie wir Männern den besten Blowjob geben, statt wie wir uns selbst in höchste Lusthöhen befördern, oder oder. Die Liste könnte ewig weitergehen, im Großen wie im Kleinen.

Politisch und gesellschaftlich muss sich Frau immer noch mit dem Spatz in der Hand vergnügen

Verdammt noch mal, wie oft wollen wir noch die Augen reiben und uns wundern, wo wir in Sachen Gleichberechtigung immer noch stehen? Politisch bewegt sich kaum was, kriechen wir selbst mit einer Frau an der Spitze und auch mit immer mehr Männern, die sich auch für Gleichberechtigung einsetzen, nur äußerst langsam voran. Denn Fakt ist: Themen, die (in erster Linie) uns Frauen betreffen, haben einfach keine Lobby. Sind nicht sexy, damit gewinnt man keine Wahlen. Nicht einmal, wenn es um die schiere physische und psychische Gesundheit, um Chancengleichheit im Beruf, den Kampf gegen Altersarmut oder einfach nur den gleichen Zugang zum Markt geht. Frauen, ihre Körper, ihre Stimmen, ihre Gesundheit, ihre Wissen, all das, eine andere Schlussfolgerung kann man kaum ziehen, scheinen einfach immer noch gleich wichtig, wie die der Männer.

Und selbst wenn es doch mal soweit kommen sollte, dass sich endlich politisch mehr bewegt: mit Gesetzen alleine lässt sich das Brett nicht lösen, das wir als Gesellschaft immer noch vor dem Hirn haben. Wir tun ja gerne immer als wäre das meiste erledigt, als wären wir schon wirklich weitgekommen, aber am Ende stecken wir Frauen trotz all der Trippelschritte Richtung Zukunft doch noch immer häufig in einer Realität fest, die jener der 50er Jahre gleicht. Weil wir im Privaten in Sachen Gleichberechtigung doch genauso vor uns hin kriechen, wenn nicht sogar mehr, wie wir es politisch tun. Weil selbst gleichberechtigte Beziehungen immer noch nicht selbstverständlich sind und weil wir uns immer noch darauf einlassen (müssen), dass Vereinbarkeit am Ende meist heißt: Die Mama springt schon ein.

Aushalten und weitermachen, das geht nicht mehr

Und auch, weil wir uns häufig doch irgendwie nur durchbeißen, statt Veränderung wirklich zu verlangen und miteinzuleiten. Weil wir uns selbst oft nicht so wichtig nehmen, wie wir sind. Es kann doch nicht sein! Hier muss mehr her, als die kurze Empörung, ein paar Ausrufezeichen mehr auf Twitter und Facebook. Es braucht mehr echte, gute Wut, die als Antrieb wirkt, den es zur Umgestaltung benötigt. Und die muss in unserem Privatleben anfangen. Denn genau da liegt doch noch immer eine fette Jauchegrube, prall gefüllt mit veralteten Rollenbildern und Alltagssexismus, die man ausheben muss, bevor es wirklich weitergehen kann. Das ist vielleicht mühsam, aber machbar, wenn man einfach mal bei sich selbst beginnt und sich fragt, wo man eigentlich und warum zurücksteckt, sich ohne Not in Form pressen lässt und anfängt, an diesen verrosteten Schrauben zu drehen. Stück für Stück. Indem man dann auch mal auf andere blickt, Freundinnen, Schwestern, Kolleginnen und Töchter pusht und mitzieht. Indem man nicht locker lässt. Schulterzucken, wegwischen und still für sich weiter vor sich hinwerkeln, das geht einfach nicht mehr.

Indem wir uns wenigstens endlich wirklich klarmachen, dass das, was wir in unseren Köpfen haben wertvoll und wichtig ist, nicht ob wir scheiß zehn Kilo mehr oder weniger auf den Hüften haben. Indem wir unsere Kraft nicht in das Aushalten, sondern in das Mitgestalteten der Welt stecken – auch dort, wo wir (noch) nicht vorgesehen sind, wo keiner nach uns fragt. Es ist nicht unsere Aufgabe, auch wenn das selbst meiner Generation noch mitgegeben wurde, in jeder Lebenslage nett und verständnisvoll zu sein, sondern unser Hirn einzubringen, unsere Stirn zu bieten. Anzuecken, (unbequeme) Fragen zu stellen, um voran zu kommen. Laut zu sein, klar zu sein, die Feder zu spitzen. Das ist es, was jede von uns tun kann. Und nicht zuletzt: Jeder von uns eine Hand zu reichen, die eine benötigt. Eins ist jedenfalls klar: Die Revolution, so überstrapaziert das Wort sein mag, kommt nicht von einem wie auch immer definierten oben, wo es sich, selbst bei so einem beschissenen Ist-Zustand, bequem aushalten lässt. Sie lässt sich nicht von anderen steuern, sondern muss jeden Tag von uns allen mitbestritten werden. Wir dürfen uns nicht mehr selbst und gegenseitig das Wasser abgraben, indem wir denken, irgendwie irgendwann wird sich das schon von alleine richten.

Ja, viele von uns machen das schon. Aber wir brauchen uns alle dafür! Wir müssen noch enger zusammenstehen, uns noch mehr gegenseitig unterstützen, noch mehr den Blick auf das richten, was heute noch nicht stimmt, was schief läuft, was sein kann und wie wir da hinkommen.

Und bei all dem geht es ja nicht nur um uns Frauen, es geht doch um uns alle! Um ein Morgen, in dem jeder und jede seine Stärken, Talente und sein Wissen gleichermaßen einbringen kann. Und vor allem, selbst das ist ja nicht gegeben: Jeder und jede von uns sicher leben kann. Ach ja, das verklärte Reden von einer schöneren Zukunft … aber am Ende ist genau das nicht weniger als eine Notwendigkeit, von der wir eigentlich alle gemeinsam hoffen sollten, dass sie sich erfüllt. Das geht halt nur nicht von alleine und nicht indem wir weiter darauf warten, dass die anderen sich bewegen. Vielleicht schaffen wir es ja, dass wir uns in diesem Jahr nicht wieder permanent fragen müssen: Was, wie kann das sein, wir haben doch schon das Jahr … !

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