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Nach 5 Kindern will ich ins Arbeitsleben einsteigen – aber ich werde gar nicht gewollt

Erst Großfamilie, dann der Einstieg in das Arbeitsleben: Ich habe fünf Kinder und will nun arbeiten. Aber werde ich überhaupt gebraucht?

Kinder vor der Ausbildung

Heute gibt es in unserer Gesellschaft für viele eine klar geregelte Abfolge: Geburt, Kindheit, Schule, Ausbildung, Beruf, Karriere, Familiengründung. Manchmal  deckt sich das Ereignis Familiengründung auch mit den Punkten Ausbildung, Job oder Karriere. Aber nur selten findet man die Familiengründung vor der Ausbildung und Ausübung einer Lohnarbeit. Bei mir war allerdings genau das der Fall

Aus heutiger Perspektive sind die Gründe dafür schwer nachvollziehbar, aber ich beschloss zeitig, vor Beginn einer Einkommenstätigkeit, eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen. Und zwar keine kleine kuschelige Familieneinheit, die nach zwei turbulenten Startjahren mit Studium oder ähnlichem kompatibel wäre, sondern eine Familie in deutlich sichtbarem Maßstab: innerhalb von zwölf Jahren bekam ich fünf Kinder.

Am Anfang stand eine klare Entscheidung für die Mutterschaft

Ich hatte mich für jedes Kind bewusst entschieden. Ein klares „Ja” für jede Schwangerschaft, für jeden neuen Menschen in meinem Leben. Weil ich Kinder großziehen, Familie leben, meinem Dasein einen nachhaltigen Sinn und Wert geben wollte. Auf Fragen nach Beruf oder Ausbildung antwortete ich mit einem leichten Schulterzucken und allwissendem Lächeln. Die Zukunft würde es zeigen. Meine erste Aufgabe waren die Kinder, die Sorgearbeit für sie.

Ich ging auf in meiner Rolle als Mutter und Haushaltsführerin. Ich fand
meinen Platz, machte Erfahrungen, lernte immer wieder neu. Ich kann nun
Hautausschläge den dazugehörigen Kinderkrankheiten zuordnen, die Genese
von Superhelden erklären, eine Sauce Hollandaise kreieren und das
Verfallsdatum von Tiefkühlgerichten bei unterbrochener Kühlkette
herunterbeten.

Die Partner wechselten, die Kinder blieben

Unser Alltag verlief nicht immer gradlinig. Der Mangel an Lebenserfahrung führte zu Fehlern in zwischenmenschlichem Umgang. Fehler mit all ihren Konsequenzen. Beziehungen wurden eingegangen, gingen in die Brüche oder wurden gegen die Wand geworfen. Die Partner wechselten, die Kinder blieben.

Nun leben wir eine bunte Patchwork-Konstellation in all ihrer Lebendigkeit und mit all ihren Herausforderungen. Zu meinen eigenen fünf Kindern gesellen sich noch zwei weitere. Stiefkinder mag ich sie nicht nennen, die Kinder meines Partners, die nun auch unseren Haushalt und unsere Herzen erobern. Und trotz der ungewöhnlich hohen Anzahl: die Kinder werden größer, sie streben hinaus. Sie brauchen mich zunehmend weniger. Freiräume tun sich auf. Mein Horizont weitet sich. Neue Visionen entstehen.

Noch etwas anderes als Mutter sein

Nach der Geburt des letzten Kindes funkelte plötzlich ein weiterer Wunsch in mir auf. Erst klein und nur schwer in Worte zu fassen. Aber mit der Zeit wurde dieser Wunsch immer greifbarer: Ich möchte der Welt mehr geben als gesunde Kinder. Die Kinder sollen nicht die Visitenkarte meiner Biographie sein. Und ihre Fotos nicht die Zeugnisse in meinem Lebenslauf. Deshalb suche ich nun nach neuen Aufgaben und Herausforderungen.

Der Arbeitsmarkt ist groß, meine Qualifikationen und damit mein Wert auf diesem Markt gering. So zumindest die Aussage der Mitarbeiterin in der Arbeitsagentur. Ich fragte nach Möglichkeiten für mich, nach finanzierten Ausbildungen, einem Studium. Sie verwies auf mein fortgeschrittenes Alter. Ich verwies auf die Existenz der fünf Kinder und die Tatsache, dass man die Bausteine des Lebens eventuell umdrehen könnte. Zumindest müsste ich nun keine Zeit und Kraft mehr in Partnersuche, Hausbau und Familiengründung investieren. Ich stünde dem Berufsleben komplett zur Verfügung. Ich könne mich ausbilden lassen und direkt danach mit dem Arbeiten anfangen.

Die Arbeitsagentur hat keine Verwendung für mich

Die Arbeitsagentin schaute irritiert. Unsicher schob sie mir eine Broschüre zu: „Berufsbegleitende Ausbildung zur Erzieherin”. „Die werden gesucht, haben gute Chancen auf dem späteren Arbeitsmarkt”, meint sie. Vermutlich war ihr Gedanke dabei, dass kinderreiche Frauen auch in ihrem beruflichen Umfeld kinderreich bleiben wollen.

Sie fragte nach meinen Vorstellungen. Ich antworte forsch mit den Berufsfeldern, die ich mir überlegt hatte. War das naiv? Ob ich das gelernt hätte, fragte sie. Natürlich nicht, sonst wäre ich ja nicht bei ihr, sondern würde selbstbewusst Bewerbungen schreiben. Aber vielleicht könne sie mir mit einem Ausbildungsplatz weiterhelfen? Ich hätte wohl auch nach einer Mondlandung fragen können.

Sie verwies erneut auf mein fortgeschrittenes Alter. Ich merkte die Tatsache an, dass Lebenserfahrungen und Persönlichkeitsreife, die sogenannten „Soft Skills”, heutzutage als der Schlüssel zu einem gelungenen Arbeitsverhältnis angesehen werden. Die Agentin schüttelte mit dem Kopf. Ich schien wohl falsch zu liegen. Auf den Markt streben junge, ehrgeizige, kreative, gut ausgebildete Menschen. Für eine Mutter wird sich da anscheinend schwerlich ein Platz und damit keine Legitimation für eine Ausbildungsfinanzierung finden lassen. Die Agentin sorgte sich um meine Kinder und schickte mich nach Hause. Wohlwollend würde sie mir aber alle ihr zugänglichen für mich in Frage kommenden Optionen zuschicken, versprach sie.

Was aber wäre wenn …?

Nachts in schlaf- und ratlosen Stunden schaue ich mir Bundestagsreden an. Ich versuche die Komplexität von aufgeworfenen Fragestellungen und kontroversen Debatten zu greifen. Und bleibe schnell an meinen eigenen Grenzen und Kenntnissen hängen.

Hätte ich damals mit Anfang 20 meine Entscheidungen anders getroffen, würde ich nun an einem anderen Punkt im Leben stehen. Ich beobachte die routinierten Tätigkeiten des Krankenhauspersonals, während ich mit meinem an Scharlach erkrankten Kind auf eine Notfallversorgung warte. Auch ich könnte heute solche Tätigkeiten ausüben: verzweifelten, kranken Menschen dienlich sein, ihren Schmerz nehmen, ihre Not lindern.

Ich könnte in einem Büro Wege lenken, Entscheidungen treffen. Ich könnte Menschen informieren oder ihnen zuhören. Ich könnte Helfen, Bauen, Schneidern. Ich könnte Innovationen entwickeln und einen Baustein im Weiterkommen der Menschheit formen.

Gebe ich nicht genug?

Aber ich bin von der Nehmer-Seite. Ich nehme für mich, meistens für meine Kinder. Ich gebe oberflächlich gesehen wenig. Ich versorge nur mich, meine Kinder und einen Haushalt. Und bin davon trotzdem so oft zu erschöpft um höhere, idealistischere Ziele zu verfolgen. Aber nicht mehr erschöpft genug, um diesen Zustand nicht zu hinterfragen.

Und tatsächlich wäre es sogar recht einfach, dem Leben eine neue Herausforderung hinzuzufügen. Der Supermarkt nebenan sucht Aushilfen für das Regale-Sortieren, die Kita gegenüber jemanden zur Unterstützung des Erzieherpersonals, das neue Café in der Straße eine Servicekraft. Die Möglichkeit neuen Zuverdienst für die Familie zu gewinnen, lockt mich. Aber dann bremst das Bauchgefühl mich aus. Räume ich nicht schon genug Regale täglich ein und aus? Putze ich nicht genug Nasen und binde ausreichend Schleifen in kleine Kinderschuhe? Wie oft täglich decke ich unseren Küchentisch ein und wieder ab, räume unseren Geschirrspüler ein und wieder aus, entsorge Essensreste und schrubbe Spuren von Mahlzeiten von Fußboden und Küchenmöbeln?  Sollte ich mir wirklich in den wenigen von der Familie befreiten Stunden Tätigkeiten suchen, derer ich in meinem Alltag schon übersättigt und so oft überdrüssig bin?

Ich will Teil der Gesellschaft sein

Mein Geist verlangt nach mehr. Er möchte nicht mehr nur Vasall eines physischen Körpers und einstudierter täglicher Routinearbeiten sein. Er möchte wach gerüttelt, bewegt, gefordert, an seine Grenzen gebracht werden.  Zu lange verharrte er in einer Warteposition, dem Winterschlaf ähnlich. Er ließ all das Physische geschehen, was mit Frauenkörpern bei Schwangerschaften, Geburten, Stillzeiten, den ersten Kleinkindjahren geschieht. Er wartete geduldig. Er ließ Hormone walten und gewährte Intuitionen den Vortritt. Wohlwissend, dass die beiden in diesen Jahren die besseren Entscheider sind. Doch nun begehrt er auf. Er sucht nach mehr. Er möchte keine weiteren Pflege- oder Aufräumarbeiten mehr verrichten. Und geht deshalb mit meinen rationalen Erwägungen gründlich ins Gericht.

Er rüttelt all meine Sehnsüchte, Wünsche und Ideen wieder wach. Er aktiviert Mut, Offenheit und das was er an Kreativität finden kann. Ja, er riskiert alles. Er hat nichts mehr zu verlieren. Und so stehe ich nun hier. Und bin auf Jobsuche.

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  1. Mein Ratschlag wäre, die Nachteile in Vorteile drehen und selbst aktiv werden. Entweder bei der Suche nach einer Angestelltentätigkeit oder Sie machen sich gleich selbständig. Wer so viel Lebenserfahrung hat, schafft das auch locker. Viel Erfolg und viel Spaß!

    1. Ich nehme mal an, du bist noch nicht Ü50. Also noch minimum 20 Jahre arbeitsfähig. Dann lohnt sich es definitiv noch eine Ausbildung oder auch ein Studium zu absolvieren. Auch Menschen mit Ü50 könnten sich aus- und weiterbilden. Neben Müttern gibt es beispielsweise auch viele Langzeitstudenten mit Mitte 30, die nach 2 Studiengängen immernoch nicht wissen, was sie wollen. Die Gesellschaft ändert sich und ich finde auch solche Menschen haben gewisse Soft skills, die in der Arbeitswelt gefragt sind. Organisationstalent, Reife etc. Bitte nicht entmutigen lassen von jemanden, der von der Arbeitswelt und Vermittlung wenig Erfahrung hat.
      LG

  2. Ich könnte mich mal wieder über die unfähigen Menschen bei der Arbeitsagentur aufregen. Klar sind viele dort super und engagiert, manche haben aber auch einfach ihr eigenes Berufsleben nicht auf die Reihe gekriegt und sitzen nun am völlig falschen Arbeitsplatz. Und sollen dir dann helfen, deinen Weg zu finden…
    Mein Rat: such dir einen Job-Coach, der sich auf Mütter spezialisiert hat und sich am Arbeitsmarkt auskennt. Der kann dir helfen, einen realistischen Plan zu entwickeln. Und wenn es bei dir in der Nähe mal eine Jobmesse gibt, geh hin und sprich direkt mit den Unternehmen, welche Perspektiven es dort in deinen Wunsch-Bereichen gibt.

  3. Werde selbst aktiv und suche dir einen Ausbildungs-oder Studienplatz. Es lohnt sich definitiv. Ich bin 42 und habe auch 5 Kinder. Die jüngsten sind 13 Jahre. In meinem Ausbildungsberuf kann und will ich nicht mehr arbeiten. Jetzt fange ich gerade eine neue Ausbildung an. Du schaffst das, wer 5 Kinder groß zieht ist definitiv in der Lage zu planen und organisieren.

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