Isabel von „Little Years“ hatte sich sehr auf ihr zweites Kind gefreut – Baby Quinn entpuppte sich als anspruchsvolles Neugeborenes, das in den ersten Wochen sehr viel schrie und die Familie an den Rand der Erschöpfung brachte. Wir sind beeindruckt von dem ehrlichen Text, den sie über diese Erfahrung geschrieben hat.
Das zweite wird sicher entspannt!
Hach ja, was hatte ich mir das alles schön geredet. Nachdem Xaver ein sehr anspruchsvolles Baby gewesen war, hatte ich mir immer wieder gesagt: Das zweite wird sicher entspannt. Sicher! Als ich Quinn dann auch kaum spürte im Bauch, war ich wirklich überzeugt: die is ne Chillerin. Von wegen. Ich hatte einfach nur eine Vorderwand-Plazenta. Als sie rauskam, war schnell klar: Sie ist mindestens so unruhig wie ihr Bruder, mindestens so fordernd und sie schreit sogar eher noch lauter.
Ich will meine Kinder nicht als „problematisch” bezeichnen, will ihnen auch kein Etikett aufdrücken wie „Schreibaby” oder „Regulationsstörung”. Denn in allererster Linie sind sie meine Kinder, ich liebe sie über alles und sie sind genau so, wie sie sind, perfekt. Aber beide waren beziehungsweise sind absolute Hardcore-Babys, Xaver war eine Herausforderung und Quinn ist laut meiner Hebamme „kein Anfänger-Baby”. Beide fordern mir Einiges ab, in den ersten Wochen ganz besonders, aber auch noch danach – zumindest ist es so bei Xaver und ich denke, mit Quinn wird es ähnlich sein.
Ein Schreibaby – was für ein Stigma…
Ich habe lange überlegt, wie ich das hier kommunizieren soll, ob überhaupt. Denn ich will ja niemandem das zweite Kind ausreden! Und das Etikett „Schreibaby” ist so behaftet, ein Stigma, so viele haben Angst davor. Auch für mich war es eine der schlimmsten Sachen, die ich mir vorstellen konnte, bevor ich Kinder hatte. Tja und jetzt hat es mich gleich zwei Mal erwischt. Zumindest fast. Es geht sicher noch schlimmer, wie dieser herzzerreißende Bericht verdeutlicht. Aber die letzten Wochen waren hart. Sehr sehr hart. Sehr sehr anstrengend. Wir waren alle vier immer wieder am Limit. Es gab kaum schöne Momente. Langsam wird es aber besser, langsam sehe ich Licht am Ende des Tunnels.
Wovon spricht sie, fragt ihr euch? Nun, es gibt Babys, die schlafen viel und tief, die sind ausgeglichen und schreien nur, wenn sie etwas wollen, den Busen zum Beispiel. Manche schreien auch fast nie, sie schmatzen ein bisschen, machen „wäh”. Ansonsten kann man sie auch mal auf den Rücken legen, da strampeln sie dann ein bisschen, manchmal schlafen sie auch einfach so ein, auf jeden Fall aber in der Trage, im Tragetuch oder im Kinderwagen. Sie sind einfach da und entspannt und alles ist gut. Die wenigsten sind, glaube ich, so, die meisten Babys haben irgendwelche Themen, sind aber so mittelmäßig entspannt: wollen nicht abgelegt werden, sind noch nicht ganz angekommen. Wollen nur am Busen hängen, nur geschunkelt werden, kommen schwer zur Ruhe, quengeln.
Meine Babys haben die ganze Palette. Fast alles, was anstrengend sein kann, machen sie. Erst jetzt mit Nummer zwei fällt mir auch auf, wie tief die erste Zeit mit Xaver sitzt. Ich war immer so stark und habe es immer schöngeredet, aber eigentlich war es die Hölle, noch mindestens ein Jahr lang bin ich zusammengezuckt, wenn irgendwo ein Baby schrie, panisch, weil ich mich an Xavers Geschrei erinnert habe. Eigentlich ist es ein Trauma und jetzt muss ich da noch mal durch.
Xaver war unruhig, Quinn ist noch unruhiger (vielleicht auch, weil ihr Umfeld noch unruhiger ist…). Sie findet schwer in den Schlaf, vor allem in den Tiefschlaf. Sie will mal Körperkontakt, mal alleine liegen, mal Schnuller, mal würgt sie mir diesen entgegen. Mal Busen, mal schreit sie auch den an. Sie ist das Gegenteil von ausgeglichen. Und wenn sie richtig unzufrieden oder übermüdet ist, dann schreit sie. Ohrenbetäubend laut und untröstlich. Ja, untröstlich. Sie lässt sich nicht pucken, schunkeln mag sie nicht, sie hasst alle Tragetücher und auch alle anderen Tragesysteme schreit sie meist zusammen. Sie überstreckt sich gerne, hat einen extrem ausgeprägten Moro-Reflex, und dazu noch schreckliche Bauchschmerzen. Entsprechend oft weckt sie sich selbst auf, wenn sie endlich eingeschlafen ist, oder ihr Bruder übernimmt das.
Und sie braucht viel Schlaf, so viel! Denn sie scheint ständig reizüberflutet, nimmt viel auf, hört, schaut, ist unglaublich wach und sensibel. Manchmal dauert das ganze fünf Minuten, dann schreit sie schon wieder, weil ihr alles zu viel ist. Sie liegt überhaupt fast nie „einfach nur da” und ist zufrieden mit sich selbst. Der Fön wird manchmal als Beruhigungsmittel akzeptiert, ebenso die Flasche, manchmal hilft der Busen oder der Schnuller mit Sab Simplex drauf. Meine Tochter ist also zu allem noch unberechenbar. Manchmal klappt dieses, manchmal jenes, ich probiere immer alles durch und versuche dabei, ruhig zu bleiben.
Einer schrie immer
Und so waren die letzten Wochen voller Geschrei. Einer schrie immer, denn Xaver hat ja auch noch Bedürfnisse, die er anmelden muss. Die Nerven lagen blank, bei allen Vieren. Zum Glück sind die Nächte wenigstens erträglich (das war bei Xaver übrigens auch so): Nachts schläft Quinn tatsächlich mehrere Stunden tief am Stück. Aber tagsüber bin ich eigentlich nur damit beschäftigt, sie zu beruhigen. „Das ist ein klassisches Schreikind” sagte die Kinderärztin mitleidig, dabei schreit sie oft wesentlich weniger als die berühmten drei Stunden am Tag, aber eben auch nur, weil ich ziemlich engagiert bin. Je mehr ich unsere Situation kommuniziere bei anderen Müttern, desto öfter höre ich: Bei uns war es am Anfang auch so. Und ich kenne ein paar Babys, die WIRKLICH auch so waren, bei anderen denke ich: Du hast keine Ahnung.
Leider bestätigte mir auch meine allwissende Hebamme, die tagtäglich und das ganze Jahr über Babys sieht, dass mein Baby ein Sonderfall sei. „So anspruchsvoll sind wenige, maximal zehn Prozent”. Das tut gut zu hören, auf der anderen Seite tut es furchtbar weh, denn es bedeutet, dass ich mir das Ganze nicht nur schwer rede, sondern dass es wirklich ausgesprochen schwer IST. Genauso wie es mir gut tut, wenn eben diese Hebamme mir bestätigt, dass ich alles richtig mache, dass ich wunderbar ruhig bleibe, sie immer wieder geduldig beruhige, alles probiere, Rhythmen einhalte. Dass mir die Schreibaby-Ambulanz nicht weiterhelfen könnte, denn alles, was die mir da sagen, mache ich schon. Aber auch das ist irgendwie schrecklich, denn es bedeutet, dass der Zustand das Maximum ist, was rauszuholen ist.
So schunkelten wir uns also von Woche zu Woche, waren bei der Osteopathin, die viele Blockaden löste und zumindest ihre Trinkschwäche verbesserte (denn wir hatten ja auch noch Stillprobleme…), sie aber nicht wirklich beruhigte. Waren beim Chiropraktiker, der eine leichte Assymetrie feststellte, aber nein, auch die Kinderärztin sagte, das mit dem Schreien und Überstrecken, das „verwächst” sich. Sie sei nicht auffällig, da müsse ich einfach durch.
Sie werden es nie verstehen…
Wenn ich Jettes Bericht aus dem Wochenbett nach zehn Tagen lese, bei der alles „fluffig” ist, freue ich mich für sie. Und ich könnte gleichzeitig heulen, weil ich es mir so sehr auch so gewünscht hätte. Ich hätte so gerne regeneriert, hätte neben einem schlafenden Baby gelegen und die Zeit einfach genossen. Xaver hat mir das zumindest in den ersten zwei Wochen gegönnt, Quinn legte an Tag zwei los. „Warum fragen immer alle, ob es stressig ist und hart, ob wir schlecht schlafen?” fragt Jette. Weil es anderen so geht. Weil es so verdammt hart sein kann am Anfang, so überhaupt nicht schön und weil es so gut tut, zu hören, dass es anderen genauso geht. Deshalb fragen die Leute das. Menschen, die superentspannte Babys oder auch nur „mittelmäßig” entspannte Babys haben, werden nie verstehen können, was wir durchmachen, wir die wir leider nicht solche Kinder bekommen. Sie kennen die Panik nicht, wenn das Kind zu früh aufwacht. Die Eine-Minute-Dusche, und immer wieder die Dusche ausmachen, um zu lauschen, ob da nicht doch wieder Geschrei ist. Überhaupt das Phantom-Geschrei, das ich ständig höre! Sie fragen sich, warum das Kind schon so früh einen Schnuller antrainiert bekommt, weil sie keine Ahnung haben, wie es ist, wenn man stundenlang ein brüllendes Baby zu beruhigen versucht. Sie sagen: Tragen, Stillen – ist doch ganz einfach, das Geheimnis zufriedener Babys – und sie haben keine Ahnung. Die Allerschlimmsten sagen: Vielleicht seid ihr nicht entspannt? Da muss ich mich richtig zusammenreißen.
Denn als ob ich nicht sowieso ständig den Fehler bei mir suchen würde. Warum bekomme ich solche Babys? Hatte ich zu viel Stress in der Schwangerschaft? Wäre die Geburt nicht so hart für sie geworden, wenn ich vorher beim Osteopathen gewesen wäre? Mache ich jetzt alles richtig, bin ich vielleicht wirklich zu nervös und unentspannt und habe deshalb so ein Kind erwischt?
Nein. Ich weiß eigentlich, dass das alles Quatsch ist. Ich bin immer noch sehr gelassen trotz der Situation. Den Stress in der Schwangerschaft konnte ich einfach nicht minimieren, außerdem versichern mir viele Freundinnen, dass sie wesentlich gestresster gewesen seien und trotzdem Schlaf-Babies bekommen haben. Mittlerweile glaube ich, es ist die Kombination unserer Gene, die solche Babies macht. Und dass es immer eher die starken Eltern sind, die so ein Baby schaukeln können. Anja schreibt: “Kinder, die besonders viel brauchen, landen meist in den Armen von Eltern, die besonders viel geben und aushalten können“. Meine Kinder sind keine Nebenbei-Kinder. Sie verlangen volle Aufmerksamkeit und Konzentration. Ich muss mich voll auf Quinn einstellen, sie beobachten und mit ihr wachsen, so wie ich das bei Xaver auch musste. Dafür kenne ich sie dann extra gut und irgendwann werden wir genau so ein gutes Team sein, wie Xaver und ich es heute sind und damals relativ schnell waren.
Trotzdem ist es schön!
Denn ich will auch Schönes berichten: Es ist ein tolles Gefühl, zwei Kinder zu haben. Zu sagen „meine Kinder”, „unsere Kinder”. Mein Sohn und meine Tochter. Xaver liebt seine Schwester über alles und wenn sie auch immer noch meistens anfängt zu brüllen, wenn er sie herzen will, ist es trotzdem so schön zu sehen, wie entzückend er mit ihr ist. Auch für ihn war das Geschrei hart, auch für ihn waren die letzten Wochen so schwer. Aber er hat es nie auf sie projiziert, so wie wir das auch nicht tun, denn natürlich schreien Babys nicht ohne Grund, natürlich war es für die kleine Mini-Quinn auch hart. Und es gab zwischendurch auch schöne Momente, gute Tage. Mit Augenringen und Erschöpfung, aber dem Blick nach vorne: Es wird es alles wert sein. Und immerhin schläft sie nachts! Und auch noch in ihrem Beistellbett!
Ich sage: WAR und spreche in der Vergangenheit, denn mittlerweile sind sieben Wochen geschafft und es wird immer besser. So war es bei Xaver übrigens auch! Es waren nur wenige schlimme Wochen, die mir aber wie Jahre vorkamen…
Am Wochenende haben wir die erste kleine Reise mit Quinn gemacht, waren auf einer Hochzeit und es war ganz wundervoll – ich glaube, das war der erste Tag an dem sie sich kein einziges Mal in Rage geschrien hat! Der Flug war gut, die Bahnfahrt auch. Gestern ist sie das erste Mal ohne Drama in der Trage eingeschlafen. Sie wirkt immer mehr „angekommen” und weniger überfordert. Die Stillabstände werden regelmäßiger. Und ich lerne immer mehr, was sie braucht, damit sie nicht schreit.
Man wächst mit seinen Aufgaben und meine Aufgabe ist es eben nun schon zum zweiten Mal, ein kleines Schreiäffchen so gut kennenzulernen, dass es zufrieden ist. Und die Liebe ist zum Glück groß genug. Quinn ist trotz ihrer Brüllerei das süßeste und perfekteste Baby für mich. Seit ein paar Tagen lacht sie mich regelmäßig an, als wolle sie sagen: Danke, Mama. Sie liegt kurz vor mir, gluckst und lacht. Wirkt ganz zufrieden. Und das sind die Momente, in denen ich versöhnt bin. Und sage: Gerne, Herzchen. Aber jetzt hör auf zu schreien, okay?
Isabel Robles Salgado hat gemeinsam mit Marie Zeisler den Blog Little Years, dort ist dieser Text auch zuerst erschienen. Wir freuen uns sehr, dass wir ihn auch bei uns veröffentlichen können. Ein ausführliches Interview mit Isabel findet ihr hier.
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