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„Kein Mann wünscht sich eine Frau zu sein – es ist zu erniedrigend“

Sexismus, Nötigung, Belästigung und sexualisierte Gewalt passieren täglich. Der Mammutanteil von Mann zu Frau. Trotzdem debattiert man im TV lieber über Ausnahmefälle. Genau das führt zur Verharmlosung der Debatte, die wir endlich haben. Eine Kampfansage.

„Ich träumte jahrelang denselben Albtraum“

Als Kind hatte ich meine erste Erfahrung mit übergriffigem Verhalten und Belästigung, als mir ein Mann bei einem Spaziergang seinen Penis zeigte. Damals war ich schockiert und unfähig, meine Angst zu artikulieren. Ich träumte jahrelang denselben Albtraum und meine Angst, Opfer einer Vergewaltigung zu werden, stieg immer mehr.

Trotzdem wollte ich mich dem nicht so hingeben und dachte mir eine Strategie aus, wie ich den Täter dazu bringen können würde, mich immerhin danach nicht zu ermorden. Mit den naiven Gedanken einer Zwölfjährigen, spielte sich die mögliche Vergewaltigungsszene immer wieder vor meinem Auge durch.

Darüber gesprochen habe ich nie. Ich denke heute, dass mir das alles einfach zu peinlich war. Das war ein Thema, das man irgendwie nicht so einfach am Familientisch bringen konnte. Ich schämte mich für das, was ich gesehen hatte und wovor ich nun Angst hatte.

„Es klang logisch, dass ich durch mein Verhalten beeinflussen konnte, ob ich zum Opfer werde“

Später waren mahnende Worte, mich schützen zu müssen, in dem ich mich beispielsweise nicht aufreizend anziehen sollte, normal für mich. Ich sah das auch ein. Es klang logisch für mich, dass ich durch mein Verhalten beeinflussen konnte, ob mich ein Mann nicht zu seinem nächsten Opfer kürt. Meine Klassenlehrerin in der Oberstufe machte meine Angst dann nicht besser, als sie uns erklärte, dass jeder Mann, der herumläuft, eigentlich über uns herfallen würde, wenn wir nicht gelernt hätten, uns vernünftig zu verhalten. Deshalb durften wir Mädels auch nicht während des Unterrichts alleine auf die Toilette.

Als Frau Mitte 20 sank meine Angst. Fremde Männer wurden zu Menschen, die zwar sehr oft, sehr aufdringlich waren, aber sie waren keine Dämonen mehr. Rückblickend kann ich sagen, dass ich aber erst dann tatsächlich sehr oft sexuell genötigt wurde. Ohne es wirklich so zu benennen, habe ich das einfach so hingenommen. Ich dachte wohl, das gehört dazu als Frau.

Kein Mann würde den Satz sagen: „Ich wäre gerne eine Frau“

Da ist der Mann aus dem Flugzeug, der mich auch nach klarer Ansage meinerseits, in der U-Bahn noch verfolgt und belästigt. Da ist der Chef, der sich vor mir seinen Schritt präsentierend aufbaut, auf mich herabsieht, um mir Instruktionen zu geben. Da ist der nette Typ im Club, der einfach anfängt zu grabschen. Diese Liste könnte ewig so weitergehen und ich bin mir sicher: für sehr, sehr viele Frauen.

Bei einem Gespräch mit einem Freund, der das Thema sehr gut erfasst hat, viele Gespräche mit Frauen genau über dieses Thema geführt hat und jede, wirklich jede, solche Erfahrungen gemacht hat, erfahre ich, dass wirklich kein Freund aus seinem Umfeld jemals den Satz sagen würde „Ich würde gern mal eine Frau sein“. Wohingegen viele Mädchen und Frauen, gerne mal wüssten, wie es ist, ein Mann zu sein. Mein Freund sagte schließlich selbst fast ungläubig: „Weißt du, kein Mann würde sich derart degradieren wollen“. Das Machtgefälle wurde mir in diesem Satz so deutlich wie nie.

Und wir erhalten auch 2017 dieses Machtgefälle gemeinsam. Jeder Mann und jede Frau, die Sexismus und sexuelle Nötigung, Belästigung, Gewalt in irgendeiner Form verharmlost, zulässt, akzeptiert oder selbst ausübt: in der Familie, unter Freunden, im Kollegium, beim Chef, als Talkgast im Öffentlich-Rechtlichen. Aus Angst, Scham, Unwissenheit, Naivität, Machterhaltung oder einfach, weil die Debatte nervt.

Frauen, die für sich einstehen, riskieren damit etwas

„Jeder Mann müsste sein Verhalten überdenken und wirklich etwas verändern“, meint mein Freund. Und das hält er für schier unmöglich. Ja, ich kann verstehen, dass unter diesen Umständen kein Mann in dieser Gesellschaft spüren will, wie es ist, eine Frau zu sein. Denn mit jedem Mal, wenn eine Frau für sich einsteht, riskiert sie damit ihr körperliches Wohlbefinden, ihren Arbeitsplatz, eine Freundschaft, einen guten Abend, oder, oder, oder.

Für mich gilt spätestens nach diesem Gespräch, dass ich bei jeder Art von sexueller Übergriffigkeit, den Mut aufbringen will, mich zu äußern. Für mich selbst. Und auch für andere, falls die nicht in der Lage sind, das selbst zu tun. Hört sich nach einer Kampfansage an? Ist es auch. Nur durchs Zuschauen wurden noch nie große gesellschaftliche Veränderungen erreicht.

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