Foto: Adi Constantin | unsplash

Vergewaltigung: Die Opfer werden stigmatisiert, nicht die Täter

Am 29. Juni veranstaltete die CDU/CSU in Kooperation mit HAWAR.help e.V eine Frauenkonferenz zu „Vergewaltigung ist eine Kriegswaffe“. Dabei sprachen betroffene Frauen über ihre Erlebnisse und warum es so wichtig ist, dass Vergewaltigungen kein Tabuthema mehr sind.

 

Reden heißt helfen

Kriege sind grausam, sie holen das Schlimmste aus dem Menschen hervor. Menschen, die vorher Nachbarn, vielleicht sogar Bekannte und Freunde waren, sind auf einmal Feinde. Menschen werden malträtiert, ermordet und systematisch vergewaltigt. Die Überlebenden der Gräueltaten müssen nach dem Krieg nicht nur wieder ein Land aufbauen, sondern wieder eine soziale Ordnung herstellen. Dabei bleibt die Verarbeitung der erlebten Traumata häufig zweitrangig.

Selbst wenn Traumata aufgearbeitet werden, geht es dabei selten um die der vergewaltigten Frauen. Für sie ist es zum einen äußerst schwierig dieses mit einem Stigma behaftete Verbrechen anzusprechen und zum anderen wird ihnen häufig kein Raum dafür gegeben, sich zu öffnen. Um etwas an dieser Situation zu ändern, eröffnet Düzen Tekkal, deutsche Journalistin, Angehörige der jesidischen Glaubensgemeinschaft, Gründerin und Vorsitzende von HAWAR.help, den Frauenkongress „Vergewaltigung ist eine Kriegswaffe“ mit den Worten „Reden heißt helfen“. Bei diesem kamen betroffene Frauen verschiedener Kriege auf einem Penal zu Wort, um ihre Erfahrungen zu schildern.

Jesidinnen: Vergewaltigt, versklavt und ausgeschlossen

Tekkal wurde durch ihre Glaubensrichtung, wie sie selbst sagt, „über Nacht zur Kriegsreporterin“. Für ihren Dokumentarfilm „HÀWAR – Meine Reise in den Genozid“, reiste sie in den Irak, um die Tiefen des Schmerzes der jesidischen Bevölkerung, insbesondere der Frauen zu ergründen und für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Denn besonders diese Glaubensgemeinschaft war und ist noch immer stark von den Gräueltaten des so genannten islamischen Staats betroffenen. Männer und Jungen wurden zu einem Großteil ermordet und Frauen sowie Mädchen wurden wie Tiere auf Sklavenmärkten verschachert. 

Dieses Leid wurde nicht nur von Düzen Tekkal und einem Ausschnitt aus ihrem Dokumentarfilm aufgegriffen, sondern auch von einer betroffenen Jesidin, die auf dem Panel der Frauenkonferenz sprach. Die 18-jährige Salwa Rasho, die mittlerweile durch ein Sonderkontingent mit 1.100 anderen jesidischen Frauen und Kindern in Baden-Württemberg ihre Erlebnisse verarbeiten kann, möchte nicht länger über ihre Erlebnisse schweigen. Bei dem Einmarsch des IS im Nordirak verlor Rasho mehrere Familienangehörige und befand sich für acht Monate in IS-Gefangenschaft. Dabei wurde sie mehrfach auf den IS-Sklavenmärkten verkauft, vergewaltigt und versklavt. 

Vergewaltigung als Ansporn für Krieg

Es ist kein Zufall, dass besonders jesidische Frauen unter den Taten des IS leiden mussten und müssen. Denn der IS hat sich die Vernichtung der 4.000 Jahre alten Religion zum Ziel gesetzt, die nicht nur durch Ermordung zu erreichen ist. Wie Düzen Tekkal berichtet, wurden jesidische Frauen bis zu einer Änderung von Baba Schaich, dem Oberhaupt der jesidischen Glaubensgemeinschaft, nach einer Vergewaltigung für den Rest ihres Lebens aus der jesidischen Gemeinschaft ausgeschlossen. 

Durch diese Ausgrenzung fiel es jesidischen Frauen besonders schwer über die erlebte sexuelle Gewalt zu sprechen, obwohl das Bewusstsein für das Thema durch die mediale Präsenz da war. Rasho fasst diese Moral zusammen: „Vergewaltigungen sind öffentlich, jeder weiß, dass sie passieren, wenn man allerdings als Betroffene darüber sprechen möchte, ist es auf einmal ein Tabu.“ Des Weiteren, glaubt Rasho nicht nur, dass der IS seine Kriege führt, um sogenannte Ungläubige zu vernichten, sondern um zu vergewaltigen: „Kriege werden geführt, um zu vergewaltigen. Vergewaltigungen sind kein Resultat des Krieges, sondern Grund und Ansporn.“ Als Beispiel dafür nennt sie die Besetzung einer irakischen Stadt, in der nach einer Woche noch keine kriegsstrategischen Maßnahmen ergriffen, nicht mal die Grenzen abgesichert wurden, aber bereits ein Markt für jesidische Sexsklavinnen bestand.

Kriegsvergewaltigungen mitten in Europa

Eine weitere Teilnehmerin des Panels war Nusreta Sivac. Die Muslimin aus Bosnien und Herzigowina musste aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit im Balkankrieg Vertreibung, Vergewaltigung und Gewalt miterleben. Während des Krieges, in dem eine ethnische Säuberung stattfinden, sprich die muslimische Bevölkerung ausgerottet werden sollte, waren Vergewaltigungen eine gängige Praxis. Das Ziel war es nicht nur die Frauen und ihre Familienangehörige zu malträtieren, sondern sie zu schwängern und dadurch zu zwingen, serbische Nachkommen auf die Welt zu bringen.

Für Sivac begann das Martyrium 1992, als der Balkankrieg in Bosnien und Herzegowina begann. Bereits am Anfang des Krieges wurde sie von einem serbischen Bekannten in das Konzentrationslager Omarska deportiert, in dem sie Vergewaltigungen, physischem und psychischem Missbrauch ausgeliefert war und Zeugin von Verbrechen, Morden und Exekutionen wurde. Obwohl sie und viele andere Frauen nach Ende des Krieges über die Demütigungen und die Vergewaltigungen vor dem Internationalem Strafgerichtshof in Den Haag aussagten, ihre Beschreibungen mit Beweisen belegen konnte, leugnet die Regierung bis heute die Erlebnisse. 

Diese Leugnung verursacht ein weiteres Trauma bei den Betroffenen, genau aus diesem Grund hat es sich Sivac zum Lebensziel gesetzt, dieses Schweigen zu beenden: „Um etwas zu ändern, muss ich bis zum Ende meines Lebens über die sexuelle Gewalt reden“ und das mit klaren Worten: „nur wenn wir die Verbrechen beim Namen nennen, können wir etwas ändern“. Dies versucht sie einerseits als Aktivistin der Gruppe „Women Association of Bosnia and Herzegovina“ und durch ihre Teilnahme an unzähligen Veranstaltungen und Konferenzen zu diesem Thema. Denn nur wenn das Verbrechen beim Namen genannt wird, kann auch etwas verändert werden.

Nicht um den heißen Brei reden

Ähnlich sieht es die Holocaustüberlebende und Psychoanalytikerin Ruth Barnett: „Wir müssen Vergewaltigungen öffentlich machen, es beim Namen nennen und nicht um den heißen Brei reden“. Barnett selbst schaffte es mit dem Kindertransport 1938 vor den Nazis nach Großbritannien zu fliehen, ohne die schlimmsten Gräueltaten dieser Zeit selbst miterleben zu müssen. Allerdings bekam sie mit, wie ihre Mutter unter den Erlebnissen litt, über die sie zeitlebens nicht sprechen konnte. Besonders ihre Arbeit als Psychoanalytikerin half ihr zu verstehen, wie sehr ihre Mutter unter dem Schweigen leiden musste und wie wichtig das Sprechen über erlebte Gewalt ist: „Wenn wir Traumata, besonders die durch Vergewaltigungen, nicht thematisieren, werden sie an die nächste Generation vererbt, solange bis es aufgearbeitet wurde“. 

Auch Prof. Dr. Bertram Schmitt, Richter am Internationalem Strafgerichtshof in Den Haag stimmt dem zu: „Wenn Frauen das Schweigen über sexuelle Gewalt beenden, ist dies eine außergewöhnliche Leistung, es zeugt von Stärke und damit legen die Betroffenen die Rolle des Opfers ab.“ 

Gerechtigkeit braucht Würde

Prof. Dr. Dr. Jan Ilhan Kızılhan, einer der Psychologen, der die jesidischen Frauen in Baden-Württemberg betreut, betont „Vergewaltigung ist das einzige Verbrechen, bei dem das Stigma am Opfer und nicht am Täter hängen bleibt“. Diese Tatsache macht es den Betroffenen besonders schwer über die Taten zu sprechen, sie überhaupt zu benennen und damit ihr Trauma aufarbeiten zu können. Doch wie kann diesen Frauen geholfen werden? Kızılhan sagt, um dieses Stigma aufbrechen zu können, müsse die Befragung der Frauen „beschützend und mit einer psychologischen Nachbegleitung betreut werden“. Denn „bevor Frauen Gerechtigkeit erfahren können, muss ihnen Würde entgegengebracht werden“. 

Die Relevanz dieser Frauenkonferenz wurde durch die Anwesenheit der Kanzlerin betont. Angela Merkel sagte, dass sie um die Schwierigkeiten der „widerwertigen Tragödien“, wie sie Vergewaltigungen zunächst nannte, weiß. Auch sie spricht von einer „doppelten Gewalt“, die „einmal durch die Vergewaltigung und danach die Stigmatisierung“ erfolge. Deshalb betont sie „Es ist leicht zu fordern, dass mehr über Vergewaltigungen gesprochen werden soll, allerdings ist es alles andere als das für die Betroffenen.“

Besonders in diesen Zeiten, in denen wir in Deutschland viele Geflüchtete aufgenommen haben, die ebenfalls Vergewaltigungen erleben mussten, ist es wichtig, dass wir uns mit Vergewaltigungen als Kriegswaffe beschäftigen. Allerdings ist eine offene Ansprache von Vergewaltigungen auch für Betroffene außerhalb von Kriegssituationen wichtig. Denn wenn wir die Opfer vom Stigma befreien und es dem Täter übertragen, bleiben vergewaltigte Frauen keine Opfer, sondern werden zu Überlebenden.


Hier könnt ihr einen Kurzausschnitt aus dem Dokumentarfilm HÀWAR – Meine Reise in den Genozid“ sehen:


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