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Wenn das zweijährige Kind mein Smartphone nutzt: Ist das der soziale Abstieg?

In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Medienkonsum.

Fotos angucken um zwei Uhr morgens

Diesmal führt kein Weg dran vorbei. Irgendetwas ist schief gelaufen. Irgendwann in den vergangenen Monaten hätte ich einen Riegel vorschieben müssen. Konsequenz und so. Jetzt ist es zu spät.

Jetzt läuft es bei uns nachts so: Gegen zwei oder drei Uhr morgens steht eine kleine Gestalt im Schlafsack mit Schnuller im Mund vor uns. Sie nimmt den Schnuller aus dem Mund und mein Iphone, das neben mir auf dem Nachttisch liegt, in die Hand, und sagt: „Fotos anschaun!“ Ich sage dann nichts. Die kleine Gestalt sagt: „Fotos anschaun!“, ich sage nichts, nach dem etwa zehnten Mal sage ich: „Kind, es ist zwei Uhr morgens, der Mond steht noch am Himmel, um diese Zeit wird geschlafen!“. Das Kind wirft das Iphone auf den Boden und fängt an zu schreien: „Fotos schaun! Fotos schaun!“, dann wirft es sich selbst auf den Boden, schreit noch lauter und rollt sich einmal quer durchs Schlafzimmer, verheddert sich dabei in den Kabeln des Druckers und wird unter einem umfallenden Stuhl begraben. Jetzt wird bei uns um diese Zeit entgegen meiner Behauptung nicht mehr geschlafen, alle restlichen Familienmitglieder sind nämlich jetzt wach.

Meine Möglichkeiten: versuchen, neben einem kleinen, von einem glücklichen Strahlen und dem Iphone-Display hell erleuchteten Gesichtchen wieder einzuschlafen, in der Hoffnung, dass die Sache zweihundert Fotos später erledigt ist. Oder: aussitzen und neben einem von Tränen nassen Gesichtchen wieder einschlafen (und vorher eine Viertelstunde Wutanfall aushalten). Den Nachbarn wäre es wahrscheinlich ganz recht, ich würde mich öfter für Variante A entscheiden.

Medientechnisch überflügelt von Kleinkindern

Mittlerweile ist es sehr unoriginell, mit gespieltem Entsetzen zu erzählen, dass das eigene zweijährige Kind versucht, mit einer Wischbewegung seiner Finger Buchseiten umzublättern. Leute wie ich, die noch nicht ganz als Digital Natives aufwuchsen, müssen sich wohl einfach damit anfreunden, dass ihre Kinder schon im Kleinkindalter damit beginnen, sie medientechnisch zu überflügeln. Neulich saß besagtes Kind mit dem Ipad auf dem Schoß auf dem Sofa und spielte „Streichelzoo“, und es war uns ein Rätsel, wie es den Code (das Jahr der Französischen Revolution) geknackt haben könnte.

Ich muss zugeben, dass mir all das manchmal zu schaffen macht, weil ich noch nicht wirklich definieren kann, wo ein für alle erträgliches Maß liegt. Neulich in der U-Bahn gab ich mich voll der stillen bildungsbürgerlichen Empörung hin, als ein etwa zwei-oder dreijähriger Junge im Kinderwagen vollkommen verstöpselt befördert wurde: Schnuller im Mund, riesige Kopfhörer auf den Ohren, Tablet auf dem Schoß, darauf lief irgendein sehr bunt aussehendes Spiel. Natürlich stempelte ich die Begleitpersonen als unverantwortliche White-Trash-Eltern ab. Was mir wahrscheinlich auch passieren würde, wäre zurzeit jemand um zwei Uhr morgens in unserem Schlafzimmer anwesend.

Hier ist ein sehr schöner Text darüber erschienen, wie schnell sich dank der Kombination Smartphone und Kind der soziale Abstieg einleiten lässt.

In meinem Freundes- und Bekanntenkreis jedenfalls häufen sich verwunderte bis entsetzte Geschichten von Fünf- bis Zwölfjährigen, die nichts anderes mehr im Kopf hätten, als vor dem Computer oder Tablet zu hocken. Das beunruhigt mich, auch wenn das wohl einfach nur die moderne Variante jener Debatte ist, die in meiner Kindheit ausgetragen wurde, nämlich der Streit um den Fernseher. Eltern, die sich damals als das wahre Bildungsbürgertum definierten, prahlen noch heute damit, dass sie damals keinen Fernseher besaßen (und verschweigen, dass ihre Kinder sich mit dem größten Idioten der Klasse anfreundeten, weil man bei dem zu Hause unbegrenzt glotzen konnte).

Langeweile in der Idylle

Neulich, im Häuschen auf dem Land, Bilderbuchidylle beim Kindergeburtstag, riesiger Garten, alte Obstbäume, aufblasbarer (gefüllter) Pool, Badesee und Wald in Sichtweite. Ein Paradies für Kinder aus Berlin-Kreuzberg, die sich ihre Nachmittage auf staubigen
Spielplätzen um die Ohren schlagen müssen! Da stellte sich der siebenjährige Bruder eines Geburtstagsgastes neben mich, als ich gerade etwas aus der Scheune holte. Er schaute rein in die Scheune, wo sich unter anderem Roller, Fahrräder, ein (bewohntes!) Schwalbennest, Tischtennisplatte, Kescher, Angel, Fußbälle, Luftmatratzen, Lenkdrachen sowie Pfeil und Bogen befanden. Er guckte gelangweilt. Dann fragte er: „Habt ihr auch ein Ipad?“

Das fand ich sehr frustrierend. Wahrscheinlich aufgrund der betrüblichen Gewissheit („Fotos schaun!“), dass auch meine Kinder in ein paar Jahren eine eher überschaubare Begeisterung für die Vorzüge der Betätigung an der frischen Luft empfinden werden. Also verdonnerte ich ihn erstmal dazu, sämtliche Maulwurfshügel im Garten abzutragen.

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