In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Kinder erfolgreich manipulieren.
Wie man seine Kinder spieltheoretisch in den Griff kriegt
Vielleicht geht das einigen unter euch ja auch so: Es gibt Dinge, Begriffe, komplizierte Theorien, die klingen derart super, dass ihr sie auch gern verstehen würdet. Ständig tauchen diese Begriffe irgendwo auf, aber so richtig durchdringt ihr nicht, worum es wirklich geht. „Bitcoin“ wäre bei mir so ein Schlagwort, „Design Thinking“, und: Spieltheorie. Für diese Kolumne hab ich mich endlich mal ein bisschen eingelesen. Das ist eigentlich eine Theorie aus dem Gebiet der Mathematik, „in der Entscheidungssituationen modelliert werden, in denen mehrere Beteiligte miteinander interagieren. Sie versucht dabei unter anderem, das rationale Entscheidungsverhalten in sozialen Konfliktsituationen davon abzuleiten.“ Es handelt sich also um eine abstrakte Form, strategisches Denken darzustellen. Wir sollen so die Dynamik bei strategischen Entscheidungen besser nachvollziehen können. Ein ganz klassisches Beispiel der Spieltheorie ist das Gefangenendilemma.
Warum ich das hier lang und breit erzähle? Ach ja richtig, weil eine Kollegin mir einen schon etwas älteren, wirklich erhellenden Text aus „Wired“ zugeschickt hat – Thema: Wie man Spieltheorie gegen seine Kinder verwenden kann, sprich: Den Meistermanipulator*innen schlechthin etwas entgegensetzen kann. Kinder spielen ihren Charme aus, sie spielen Erwachsene gegeneinander aus, sie haben die Methode Erpressung zu absoluter Perfektion geführt, sie wissen, wie sie den Druck ins Unerträgliche erhöhen, bis auch der*die härteste Verhandler*in einknickt. (Aktuelles Beispiel: Das Kleinkind hält nachts um drei eine Stunde durch, heiser nach „mehr Milch“ zu brüllen – eine Taktik der Zermürbung, der niemand im Haushalt gewachsen ist.)
Dass Kinder die größten Meister*innen im Manipulieren sind, das weiß jede*r, der*die selbst welche hat: „Ich esse diese 0,5 Zentimeter breite Paprikaspalte nur, wenn wir morgen ins Kino gehen und ich dann vier Tüten Popcorn essen darf“; „Wenn du meine grüne Unterhose nicht jetzt sofort wäscht und trockenföhnst, kann ich leider nicht zum Turnen heute Nachmittag und du musst mich früher abholen“; „Ich brauche leider sofort einen Hamster. Die Erzieherin hat gesagt, alle Kinder, die bis morgen keinen Hamster haben, dürfen nie mehr in die Kita kommen.“
Ich habe ja schon über die drei essentiellen Säulen erfolgreicher Kleinkinderziehung geschrieben: Bestechung, Erpressung, Drohungen. Eine Erziehungsberaterin gab mir neulich einen tollen Buchtipp, der in eine ähnliche Richtung weist: „Schnall dich an, sonst stirbt ein Einhorn. 100 nicht ganz legale Erziehungstricks“, das Buch hätte ich eigentlich gern selbst geschrieben.
Der Einsatz der Spieltheorie aber kommt noch etwas filigraner und weniger offensichtlich daher. Die folgenden Tipps sind entnommen aus dem Buch mit dem schönen Titel: „The Game Theorist’s Guide to Parenting: How the Science of Strategic Thinking Can Help You Deal with the Toughest Negotiators You Know – Your Kids”, grob übersetzt: „Der spieltheoretische Elternratgeber: Wie die Wissenschaft des strategischen Denkens uns helfen kann, gegen die härtesten Verhandler*innen zu bestehen, die wir kennen: Unsere Kinder.“
Einiges nutzt ihr vielleicht ohnehin schon in eurem Alltag, denn Not macht erfinderisch:
Kooperation erzwingen
Für Geschwister, die sich weigern, etwas gemeinsam zu erledigen, wird eine Variante des Gefangenendilemmas empfohlen: Die Geschwister bekommen eine gemeinsame Aufgabe, etwa die Spielsachen aufzuräumen, und bekommen beide die gleiche Belohnung in Aussicht gestellt, die auf der Performance als Team beruht, sprich: Wenn eine*r von beiden sich verweigert und nicht mitmacht, wird beim nächsten Mal wahrscheinlich das andere Kind keinen Bock mehr haben, zu kooperieren, und wieder gehen beide leer aus. Auf lange Sicht, so die Buchautoren, wird dieser Zugang die Kooperation unter Geschwistern erzwingen.
Lass sie zahlen!
Geschwister scheinen sich aus Prinzip über alles, einfach alles streiten zu können. Klassiker: Wer bekommt beim Umzug das größere Zimmer? Wer darf den Namen für den Hamster aussuchen? Wer entscheidet, ob heute Abend 20 Minuten „Ninjago“ oder „Oggy and the Cockroaches“ geguckt wird? Hier wird auf das „Salomonische Urteil“ gezielt: Manche Sachen kann man nicht vermeintlich gerecht (ver)teilen. Der Vorschlag der Autoren: Deals aushandeln. Zum Beispiel: Du darfst den Hamsternamen aussuchen, bezahlst dafür mit zehn Wochen Zimmer aufräumen.
Hier sei noch eine äußerst wirkungsvolle Vorgehensweise meiner Mutter sehr empfohlen: Wann immer es bei mir und meinem Bruder etwas zu teilen gab, das sich auch wirklich teilen ließ, durfte ein Kind teilen (Schokolade/Keks etc. durchbrechen), das andere aussuchen. Ihr könnt euch vorstellen, dass das auf beiden Seiten zu absoluter Präzisionsarbeit führte.
Bedrohe sie – aber richtig!
Schon so oft gelesen, und trotzdem machen Eltern ständig diese Anfängerfehler: „Einmal noch, und ich mache hier an Ort und Stelle eine Vollbremsung und es geht erst weiter, wenn hier Ruhe ist, verdammt nochmal!“; „Wenn ihr nicht SOFORT aufhört, gibt für den Rest der Woche kein Netflix!“ – Problem: Drohungen helfen nix, wenn die Kinder eh wissen, dass man sie nicht wahrmacht – weil sie einem selbst auch schaden würden (Vollbremsung auf der Autobahn: keine gute Idee für alle Insassen; kein Netflix: Kinder mehrere Tage nicht vor einem Bildschirm parken können? Never!). Also: Besser Drohungen aussprechen, die euch selbst nutzen: „Hör sofort auf, deine Schwester zu kneifen, oder wir gehen zu Oma und nicht ins Kino.“
Bring sie dazu, zu lügen
Wer einen Verdacht hat (Kind hat keine Hausaufgaben gemacht), nagelt das Kind mit handfesten Fragen fest: In welchem Fach gab es Hausaufgaben? Was war genau zu tun? Wie lange hat es gedauert? Welchen Stift hast du benutzt? Selbst wenn dem Kind einigermaßen überzeugende Antworten gelingen, so erzeugt es psychischen Stress, eine Lüge so lange aufrechterhalten zu müssen. Auf lange Sicht, schreiben die Autoren, würden die Kinder merken, dass ehrlich sein die angenehmere Variante ist.
Nicht einknicken
Der letzte Absatz klingt für mich ein bisschen gemein, aber sinnvoll klingt er auch: Damit all das funktioniert, muss man sich reinknien und dranbleiben: Die Autoren empfehlen, nicht sofort einzuknicken, wenn das Kind verzweifelt heult, sondern immer das von Ökonomen so genannte „Moralische Risiko“ im Hinterkopf zu haben: Derartige Rettungsaktionen, sprich Einknicken, egal ob im Wirtschaftskontext oder der Kindererziehung, würden Anreize für schlechtes Verhalten schaffen. Um das zu vermeiden, raten die Autoren also: Klare Regeln schaffen und wenn nötig Strafen ausführen. Ist das für Fans der bedürfnisorientierten Erziehung noch akzeptabel, frage ich mich?
Ich musste hier übriges an einen Tweet denken, den ich gestern las und der mich sehr erheiterte: Ein User hatte ein in einer Tageszeitung entdecktes Kursangebot namens „Erziehen mit Humor und Gelassenheit“ trocken auf Twitter kommentiert: „Kunden, die sich für dieses Angebot entschieden haben, interessieren sich auch für den Kurs ,Mathematik im Alltag: erfolgreich teilen durch null‘.“
In eigener Sache
Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder nicht. Schaut doch mal vorbei!
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