In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Perspektivenwechsel.
„Ich habe ja nichts gegen Kinder, aber…“
Über Kinderfeindlichkeit habe ich vor einiger Zeit hier schon mal geschrieben. Ich habe zumindest meistens das Glück, dass kein äußerungsfreudiger Kinderfeind in der Nähe ist, wenn meine Kinder sich danebenbenehmen. Im Austausch mit kinderlosen Freunden und Bekannten fällt mir aber manchmal auf, dass eine ganz zarte „Ich habe ja nichts gegen Kinder, aber….“-Haltung durchschimmert. Soll heißen: Ich habe ja nichts gegen Kinder, aber benehmen sollen sie sich gefälligst schon.
Es kommt öfters vor, dass solche kinderlosen Freunde mir von Erlebnissen mit Kindern berichten, die sie als nicht ganz optimal empfanden, und in der Regel waren daran die Eltern schuld, die ihre Kinder nicht unter Kontrolle hatten. Oft spielen diese Geschichten in Zugabteilen. Und weil meine Freunde ja wissen, mit wem sie da gerade sprechen, ist der Subtext: „Also ich bin mir sicher, DU würdest nicht zulassen, dass deine Rotzgören Ruhe suchende und durch viel zu viel Arbeit gestresste Bahnreisende derart durch Lautstärke tyrannisieren.“
Man darf auch mal angekotzt sein von den Rotzgören
Mir liegt viel daran, mich in Gesellschaft kinderloser Menschen als unglaublich coole, selbstironische und gelassene Mutter zu inszenieren; die natürlich total gut verstehen kann, dass man von den Rotzgören auch mal richtig angekotzt sein kann, gerade wenn es nicht die eigenen sind, die mit Popelfingern drei verschiedene Kuchenstücke betatschen, bevor sie dann keins der drei nehmen und sagen, dass sie jetzt einen Keks wollen. Bloß nicht in den Verdacht geraten, dass man, nur weil man Mutter ist, zu keinem objektiven Urteil mehr fähig ist, was Kinder ihren Mitmenschen zumuten dürfen und was nicht!
Deshalb nicke ich bei solchen Gesprächen meistens mehrfach und sage, wie total gut ich verstehen kann, dass man genervt ist, wenn man die sechsstündige Zugfahrt von München nach Berlin in einem Abteil mit einem durchgängig tobendem Kleinkind verbringen muss und die Eltern absolut nichts unternehmen, um diesen Wahnsinn zu stoppen.
Ich spiele also die Rolle, die mir zugedacht ist: Ich erteile die Absolution fürs Aufregen. Die Botschaft an mich, wieder Subtext: Das musst doch sogar du als Mutter ganz objektiv zugeben, dass man sowas nicht ertragen müssen sollte!
Wenn das Objektivsein im Eifer des Gefechts nicht so verdammt schwer wäre.
Auf dem Spielplatz kam es zu Kampfhandlungen
Vor einigen Wochen, herrlicher heißer Sommer, wir waren zu einer Hochzeit in einem äußerst feinen Restaurant in einem feinen Vorort von München eingeladen. Die Festgesellschaft saß drinnen an einer langen Tafel, im Innenhof des Restaurants befand sich ein kleiner Kinderspielplatz. Dorthin begaben sich die Kinder und begannen, das vorhandene Material – Rutsche, Stühlchen und so weiter – zu bespielen. Ich und mein Weißwein setzten sich auf die Stufen zum Innenhof und schauten zu.
Von meinem Stufenplatz aus bekam ich mit, dass Kampfhandlungen begonnen hatten. Mein zweijähriges Kind sabotierte ein etwa gleichaltriges, indem es ihm immer wieder sein Plastikstühlchen abnahm. Wie es Mütter und Väter kleiner Jungs gerne tun, wenn diese untergebuttert werden, feuerte seine Mutter ihn entsprechend an: „Mensch, Ferdinand, jetzt lass dir doch nicht immer alles gefallen“, aber Ferdinand machte keinerlei Anstalten, sich wie ein echter Mann zu benehmen, sondern heulte nur. Insofern sah ich mich gezwungen, einzugreifen, und ein unerquickliches Schauspiel nahm seinen Lauf: Mein Kind nahm Ferdinands Stühlchen, Ferdinand heulte, ich gab Ferdinand ein anderes Stühlchen. Mein Kind entriss Ferdinand auch dieses, also gab ich ihm das Ursprungsstühlchen zurück. Ich amüsierte mich. Lustig, Kleindkinder! Irgendwann war mein Kind so sauer, dass es sich brüllend auf den Boden warf.
An einem nahen Tisch platzte jemandem derweil so richtig der Kragen: „Das nervt! Können Sie mit den Kindern gefälligst zu Hause bleiben?“ brüllte ein Mann, der ein ziemlich rotes Gesicht hatte. Der Mann war nicht, wie das Münchner Vorort-Klischee es eigentlich vorsehen würde, ein feiner älterer Herr, sondern ein junger Typ, vielleicht Mitte Zwanzig, der mit seinen Eltern am Tisch saß.
Ich schaltete sofort auf Angriff. Was er sich denn einbilden würde, dass ja wohl gefälligst er zu Hause bleiben könne, wenn es ihm nicht passen würde, dass Kinder miteinander spielen, es sei ja nun mal tatsächlich erlaubt, mit Kindern ein Restaurant aufzusuchen. „Aber nur, wenn sie leise sind!“, rief der Mann verzweifelt. Ob er denn als Kind die ganze Zeit still herumgessen habe, wenn seine Eltern mit ihm in der Öffentlichkeit unterwegs gewesen seien, entgegnete ich, und überhaupt: „Wir sprechen uns in fünf oder zehn Jahren wieder!“. Dann gingen wir ab, mein Weißwein und ich.
Den restlichen Tag über war ich hochzufrieden mit mir, weil mir ein Schlag gegen den Kinderfeind gelungen war, aber schon nachts beim Nachdenken konnte ich mich über mein Gefecht gar nicht mehr so richtig freuen. Irgendetwas nagte an mir. Mein Mann brachte die Sache dann auf den Punkt: „Also ehrlich gesagt: Als ich in den Innenhof kam, saßt du da mit deinem riesigen Weißweinglas und hattest schon mächtig einen in der Krone“. Ich hätte gewirkt wie eine sensationsgeile Touristin beim illegalen Hundekampf in Mexiko, fuhr er fort, ohne irgendeine Motivation, das üble Treiben zu stoppen. Kein Wunder, dass der Typ sauer geworden sei.
Hmpf. So etwas in der Art hatte ich befürchtet. Das mit der Objektivität klappt halt nicht immer so gut. Vielleicht sollte ich meinen Freunden in Zukunft sagen, dass ich für Horrorgeschichten aus dem ICE, die mit Kindern zu tun haben, einfach die falsche Ansprechpartnerin bin.
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