In Deutschland sind 48.000 Mädchen und Frauen von Genitalverstümmelung betroffen, um das zu ändern, präsentiert das Bundesfrauenministerium zwei Projekte, die helfen sollen, weibliche Genitalverstümmelung zu beenden.
40 Prozent mehr betroffene Frauen
Wieder eines der Probleme von denen wir dachten, dass
es nicht das unsere wäre, wieder ein Problem, von dem wir denken es wäre weit
entfernt von uns: weibliche Genitalverstümmelung. Und doch betrifft es Frauen mitten in Deutschland, denn wie die Studie, die am „Zero tolerance against female genital mutilation“ Tag am 6. Feburar vorgestellt wurde, zeigt, sind 48.000 Frauen und Mädchen in Deutschland von weiblicher Genitalverstümmelung (engl. kurz: FGM) betroffen. Hierbei sprechen wir nicht ausschließlich von Frauen, die wie Waries Dirie in „Wüstenblume“ in Afrika aufgewachsen sind, sondern von Mädchen die in Deutschland geboren und zur Schule gegangen sind.
Das Problem der FGM, wird, nach Aussage von Dr. Ralf Kleindiek, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugendliche, durch den Zuzug von Geflüchteten aus betroffenen Ländern noch verschärft. Laut der präsentierten Studie zu FGM in Deutschland, stieg von Ende 2014 bis Mitte 2016, die Zahl von betroffenen Frauen und Mädchen um 40 Prozent. Besonders sind Frauen aus den Herkunftsländern Eritrea, Irak, Somalia, Ägypten und Äthiopien betroffen. In einigen dieser Länder, sind bis zu 90 Prozent der Frauen und Mädchen beschnitten.
Ferienbeschneidung
Hierbei stellt sich allerdings die Frage: Wie kann so etwas in Deutschland passieren? Die Antwort ist: meistens gar nicht! Denn Beschneidungen die in Deutschland ausgeführt werden sind laut Dr. Kleindiek Einzelfälle. FGMs finden in den meisten Fällen in den Ferien im Heimatland der Mädchen beziehungsweise ihrer Eltern statt. Hierbei spielt nicht nur der kulturelle Kontext, in dem die Beschneidung durchgeführt wird, eine große Rolle, sondern, wie die Ergebnisse der Studie zeigen, noch viel mehr der Glaube der Eltern, straffrei davon zu kommen, wenn der Eingriff im Ausland vorgenommen wurde.
Seit 2013 ist allerdings auch der Eingriff im Ausland strafbar. Ab dem Frühjahr 2017 sollen potenziell gefährdete Mädchen zusätzlich durch einen neuen Beschluss geschützt werden. Dieser sieht vor den Eltern oder anderen Verwandten die Pässe abzunehmen, falls ein Verdacht zur Ferienbeschneidung besteht, um eine mögliche Ausreise zu verhindern. Allerdings betont Christa Stolle, die Vorsitzende von Terre Femmes in Berlin, dass Aufklärung wichtiger sei als Strafverfolgung, um die brutale Praxis von FGM zu beenden.
Viele mögen sich jetzt fragen, warum eine Mutter, die dieses schmerzvolle und
traumatische Ereignis selbst durchleben musste, ihrem eigenen Kind so schaden
kann. An erster Stelle ist es wichtig, zu verstehen, dass diese Frauen ihren Töchtern nicht schaden wollen, im Gegenteil! Diese Frauen glauben daran, dass der Eingriff notwendig ist. Zum einen besteht das Gerücht, dass die Klitoris zu einem Penis heranwächst, wenn sie nicht abgetrennt wird. Zum anderen, dient vielen Männern die zugenähte Vagina, die bei vielen FGMs zur Praxis hinzugehört, als ultimativer Beweis der Jungfräulichkeit und wollen deswegen keine unbeschnitte Frau heiraten.
Am Anfang steht das Vertrauen
Ein großes Problem von FGM, neben den körperlichen Schmerzen, ist die damit verbundene Scham. Zum einen fällt es den betroffenen Frauen schwer sich Außenstehenden überhaupt zu offenbaren, zum anderen treffen sie bei Fachpersonal wie einem Gynäkologen oder Mitarbeitern eines Frauenhauses, auf ein wenig informiertes und geschocktes Gegenüber. Obwohl der Schock, für der Praxis nicht vertrautem Fachpersonal verständlich ist, stellt er für Betroffene eine weitere Hürde dar. Um dies zu ändern ging am 6. Feburar 2017, dem Null-Toleranz-Tag gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung, die Website „United to END FGM“ online. Auf dieser Plattform, die in neun Sprachen verfügbar ist, wird Fachpersonal über FGM aufgeklärt. Zudem enthält die Seite kultur- und länderspezifische Informationen zu FGM zu elf EU-Mitgliedstaaten.
Da mit der Plattform allerdings nicht präventiv gearbeitet, sondern bereits
betroffenen Frauen geholfen wird, stellte das Bundesfrauenministerium in
Kooperation mit Terre des Femmes und sieben weiteren Partnerorganisationen, ein weiteres Programm vor: CHANGE Plus. In diesem Programm werden weibliche und männliche sogenannte Change Agents, sowohl im In- als auch Ausland ausgebildet und zu den Gefahren von FGM aufgeklärt. Diese Change Agents setzen ihr gelerntes Wissen in ihren Communities ein, um Eltern, Familie und Dorfälteste über die Gefahren von FGM aufzuklären und damit der Genitalverstümmelung entgegenzuwirken.
Eine dieser Change Agents in Deutschland ist Tiranke Diallo aus Guinea. Durch das Engagement ihrer Mutter im Verein Mama Afrika e.V. und der 90-prozentigen Rate an Genital-verstümmelten Frauen in Guinea, ist es ihr besonders wichtig über das Thema aufzuklären und dagegen anzukämpfen! Diallo und zwölf weitere somalische Change Agents in Berlin klären in den Communities ihrer Herkunftsländer in Berlin über FGM auf.
Diallo war es auch die auf der Pressekonferenz deutlich machte, wie tief verwurzelt das Problem liegt und wie schwierig eine Veränderung ist. Sie betonte, wie selbstverständlich Schmerz für Frauen aus den betroffenen Regionen zur Weiblichkeit gehört, weswegen viele keinen Arzt aufsuchen oder sich jemandem anvertrauen. Aus diesem Grund liegt es auch an uns, deutlich zu zeigen, dass Schmerz nicht unwiderruflich zu Weiblichkeit gehört und dass jede Frau und jedes Mädchen, unabhängig von ihrer kulturellen und religiösen Zugehörigkeit, ein Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit und Selbstbestimmung hat! Wenn wir dies unaufhörlich an unsere Umgebung weitergeben, leben wir in Zukunft hoffentlich in einer Welt in der FGM ein Relikt aus dunkleren Tagen ist.
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