Melanie ist verheiratet, hat zwei Kinder – und lebt in einer offenen Beziehung. Sie sagt: Die wenigsten Menschen trauen sich, ihren Verlustängsten, ihrem Neid, ihrer Eifersucht und ihren sexuellen Gelüsten ins Auge zu sehen, dabei wäre das für jede Beziehung gesünder. Kann das funktionieren, seinen Partner mit anderen zu teilen – und wenn ja, wie? Ein ehrlicher Erfahrungsbericht.
Wie viel Offenheit verkraftet eine offene Beziehung?
Wir spazieren durch den sonnigen und warmen Wintertag und genießen die Zeit für uns. Nach drei Wochen Indien ist mein Mann wieder zu Hause und es ist schön, meine Hand in seiner zu spüren.
Entspannt quatschen wir über unsere Erlebnisse der letzten Wochen. Ich berichte von meinen Tinder-Dates und wie es mir mit unserer offenen Beziehung ergangen ist, und auch er hat viel zu erzählen: „Ich habe eine wundervolle Frau kennen gelernt. Wir haben uns auf Anhieb super verstanden. Sie ist keine Frau für eine Affäre. Wenn ich nicht schon in einer Beziehung wäre, dann wäre sie auf jeden Fall jemand für was Festes. Eigentlich wollte ich dir das gar nicht erzählen, aber wenn du so offen bist, kann ich es ja auch sein, oder?“
Aufmerksam lausche ich seinen Worten. Ich bin höchst beeindruckt über seine Offenheit und freue mich sehr, dass er so viel Vertrauen zu mir hat, dass er seine Erfahrung mit mir teilt. Gleichzeitig bohrt sich eine riesige, harte Faust in meinen Magen. Eifersucht!
Männer und Frauen sind unterschiedlich eifersüchtig. Männer finden angeblich Sex schlimmer, Frauen leiden mehr unter emotionaler Untreue. Ich spüre gerade sehr deutlich, dass das tatsächlich auf mich zutrifft. OMG! Ich und eifersüchtig! Wo gibt’s denn sowas?
„Wer bitte hatte die glorreiche Idee mit dieser offenen Beziehung?“, denke ich ironisch. „Mist, das war ja ich!“ Jetzt kann ich doch wohl nicht sagen: „Also, ich probiere ja gerne rum, doch es wäre mir lieber, du würdest es lassen.“ Hallo? Ich hab ja wohl nicht mehr alle Latten am Zaun! Ich lache über mich selbst in Gedanken, schüttle innerlich meinen Kopf und trete die Flucht nach vorne an.
„Wow, das ist total interessant. Und ich merke auch, dass ich Angst bekomme. Ich habe Angst, dass du die andere Frau toller findest und dass du lieber mit ihr leben würdest und mich verlässt.“ Mein Ego ist im Moment echt angepisst.
„Schau, Babe“, beruhigt er mich, „all meine Bilder und Zukunftsvisionen in meinem Kopf sind immer mit dir! Ich will mit dir zusammen noch so viel erleben und ich genieße unser Leben sehr, das würde für keine andere Frau aufgeben wollen.“
Verbindlichkeit = Treue und Verzicht?
Kürzlich habe ich in einem Blog-Artikel gelesen, dass eine offene Beziehung niemals funktionieren kann, weil Verbindlichkeit immer Treue und Verzicht bedeutet. Das nenne ich mal stabilen Seitenschwachsinn (danke Sandra Staub für diese Bezeichnung, ich lache jedes Mal darüber).
Verbindlichkeit hat doch nichts mit der Anzahl der Liebespartner zu tun, sondern ist ein echtes Commitment zweier Partner zueinander. Auch für mich gibt es für mein Leben keinen anderen Mann als meinen eigenen. Ein sexueller und/oder emotionaler „Ausflug“ ist gerade auch dazu gedacht, unsere Beziehung lebendig zu halten und die Langeweile gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Meins, meins, meins…
Erinnerst du dich an die Film-Szene aus „Findet Nemo“? Die Möwen rufen beim Anblick einer Krabbe „meins, meins, meins“ durcheinander, bevor diese sich ins Meer verdrückt. Ich kann über sowas lachen.
Nicht lustig finde ich meine Gedanken gerade: „DER GEHÖRT MIR!“, schreit mein Gehirn so laut, dass ich Angst habe, dass das ganze Dorf mithört. Ach du meine Güte! Gerade ich, die in die Welt hinaus plärrt, dass Menschen niemals Besitz sein können!
Ich habe vor langer Zeit aufgehört, mich für meine Gefühle zu schämen oder meine Gedanken zu verurteilen. Das hilft mir nicht und macht auch keinen Spaß. Ich denke und fühle es ja trotzdem. In diesem Fall wirkt einfach nur eine jahrelange gesellschaftliche (und religiöse) Prägung nach, die ich kognitiv bereits abgelegt habe. Meine Emotionen dürfen jetzt einfach nachziehen.
Liebe wird mehr durch lieben
Das, was ich als Mangel empfinde, ist lediglich eine Täuschung. Ich habe Angst, dass die Liebe zu mir kleiner wird, wenn mein Mann eine weitere Frau liebt. Allerdings weiß ich aus meiner eigenen Fremdliebe, dass das Quatsch ist. Liebe wird mehr durch lieben und ist kein Kuchen, der in Stücke aufgeteilt wird. Kognitiv ist mir das schon längst klar, emotional ist es ausbaufähig.
Wenn ich mich unwohl fühle, weiß ich, dass meine Gedanken und Gefühle gerade in die „kalte“ Richtung laufen (wie beim Topfschlagen). Dann halte ich kurz inne und überlege, was ich denn eigentlich will. Ich versuche, meine Gedanken von dem „Problem“ auf die „Lösung“ zu lenken (wärmer…).
Was ist mein Ziel?
Ich möchte entspannt und gelassen sein und beiden ihren Spaß gönnen.
Ich möchte voller Vertrauen in mich, unsere Beziehung und in mein Leben sein, dass alles richtig ist, wie es ist.
Ich möchte offen sein, das Leben und die Liebe genießen und jedem Menschen das Gleiche wünschen.
Ich möchte die alten Begrenzungen einreißen und die heilige Kuh „Monogamie“ schlachten.
Ich möchte in Freiheit leben und allen Menschen dieselbe Freiheit gewähren.
Ich möchte jeden Tag besser werden, mehr lieben, mehr lachen und ein Vorbild für meine Kinder und andere Menschen sein.
Ich möchte zeigen, dass es möglich ist, eine großartige Beziehung nach den eigenen Wünschen und Träumen zu leben (egal, was andere dazu sagen) und mein ganzes Leben glücklich und erfüllt mit meinem Mann verbringen.
Ich bin mega dankbar für diese Erfahrung. Hätte er es mir nicht erzählt, könnte mich nicht meinen Ängsten stellen. Ich hätte keinen Zugriff auf diese Eifersucht und könnte sie nicht überwinden.
Eine offene Beziehung ist nichts für Weicheier!
Das Liebe-Leben-Event ist beruflich meine derzeit größte Herausforderung. Ich habe eine große Vision und sehr viel Respekt davor und ich weiß, dass ich mich gerade dadurch sehr stark weiterentwickle und mehr Liebe in die Welt bringe. Gemütlich und bequem ist was anderes.
Warum hören so viele Menschen auf, sich in ihren Beziehungen weiter zu entwickeln? Sie glauben, wenn sie einmal die Liebe ihres Lebens gefunden haben, können sie sich bequem für immer in der Monogamie zurücklehnen und wundern sich dann, wenn die sexuelle Leidenschaft flöten geht. Die wenigsten Menschen trauen sich, ihren Verlustängsten, ihrem Neid, ihrer Eifersucht (und ihren sexuellen Gelüsten) ins Auge zu sehen. Lieber wechseln sie häufig den Partner, als sich mit sich selbst und dem Beziehungskonzept auseinanderzusetzen.
Was treibt mich an?
Eine Single-Frau hat mich kürzlich gefragt, was mich denn antreiben würde. Ich hätte so eine tolle Beziehung, die viele nicht haben. Darf ich mir keinen zweiten Mann wünschen, nur weil ich schon einen habe? Aus Rücksicht auf die Singles? Dann dürfte keine Frau ein zweites Kind bekommen, weil andere gar keins haben. Oder der erfolgreiche Firmeninhaber keine zweite Firma aufbauen. Wenn ich einen Porsche besitze, darf ich mir dann kein Motorrad wünschen?
Ich möchte nicht nur eine mittelmäßige Beziehung leben, wie so viele da draußen, die im Laufe der Jahre vor die Hunde geht. Ich möchte eine außergewöhnliche Beziehung leben. Ich will lernen, Erfahrungen machen und Abenteuer erleben.
Weiterentwicklung ist der Sinn des Lebens, Stillstand der Tod. Das gilt ganz besonders für Beziehungen. Eine offene Beziehung erfordert wesentlich mehr Beziehungskompetenz, Kommunikation und Selbstliebe als eine klassische. Persönlichkeitsentwicklung ist dafür unerlässlich.
Darüber hinaus möchte ich eine Beziehung leben, die ich mit meinem Mann so individuell gestalte, wie wir beide nun mal sind. Ich werde mich nicht an Regeln halten, die jemand anderes aufgestellt hat. Sondern nur an unsere eigenen.
Leben darf leicht gehen und Spaß machen. Liebe auch!
Diesen Text hat Melanie zuerst auf ihrem Blog veröffentlicht. Wir freuen, dass er auch bei uns erscheint. In der ARD-Sendung „Wie liebt Deutschland – Liebe, Sex und Traue heute“ von Reinhold Beckmann werden auch Melanie und ihr Mann begleitet. In der Mediathek kann man sich den Beitrag anschauen.
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