Mari Madriz

Rechtsextremismus: Wir müssen nicht mit Rechten reden, sondern ihren Opfern zuhören

Im Mordfall des hessischen Politikers Walter Lübcke geht die Generalbundesanwaltschaft von einem rechtsextremen Hintergrund aus. Wann sprechen wir endlich ernsthaft über die Gefahr von Rechts?, fragt sich unsere Autorin Helen Hahne heute in ihrer Politik-Kolumne „Ist das euer Ernst?”.

Ein Mord mit rechtsextremen Hintergrund

Am 2. Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke auf seinem Grundstück erschossen. Am Sonntag haben die Behörden einen Tatverdächtigen festgenommen. Seit Montag, 17. Juni, ermittelt die Generalbundesanwaltschaft. Sie geht von einem rechtsextremen Hintergrund aus. Der mutmaßliche Täter ist, laut des antifaschistischen Recherchenetzwerks Exif, ein bekannter Neonazi und mehrfach verurteilt. Es gibt Hinweise, dass er dem gefährlichem neonazistischen Netzwerk „Combat 18” nahesteht und es wurde berichtet, dass er im Jahr 2016 150 Euro an die AfD spendete. Er war Gegenstand des NSU-Untersuchungsausschusses. Und noch vor Kurzem, berichtet die taz, soll er in einem Youtube-Video gedroht haben, es werde Tote geben, wenn die Regierung nicht bald handle.

Die Reaktion auf die Verhaftung war bislang vor allem von vorsichtigen Erinnerungen daran, dass es keine Vorverurteilungen geben dürfte, geprägt. Natürlich darf niemand vorverurteilt werden, das steht außer Frage, und noch sind die Ermittlungen nicht abgeschlossen. Aber die Festnahme im Fall Lübcke zeigt dennoch einmal mehr, wie dringend wir über militante Neonazistrukturen, über ihre internationale Vernetzung und ihre Verbindungen mit einer Partei, die im Bundestag sitzt, und ihre Anschlussfähigkeit an die Mitte der Gesellschaft reden müssen. Schweigen können wir uns nicht mehr erlauben.

Verhaltenes Schweigen

Schweigen ist aber das, was viele gerade tun: Annegret Kramp-Karrenbauer und Horst Seehofer zum Beispiel. Peter Altmaier bezog, als einer von wenigen hochrangigen CDU-Politiker*innen, gestern Nachmittag bei Twitter Stellung. Er schrieb: „Wenn die Berichte zum Fall #Lübeck zutreffen, dann war es kaltblütiger rechtsextremer Mord. Das haben wir seit den NSU-Morden nicht mehr für möglich gehaltenen. Es ist furchtbar und schreit nach rückhaltloser Aufklärung & Bestrafung.”

In diesem Tweet steckt das große Problem: die Regierung hat (laut Altmaier) kaltblütige rechtsextreme Morde seit dem NSU nicht mehr für möglich gehalten. Für sie, und nicht wenige Medien, kommt die Tat scheinbar überraschend. Nicht überraschend kommt sie für die Menschen, die täglich von neonazistischer Gewalt bedroht sind. Für sie ist der Mord das Wahrwerden ihrer Albträume. Eine mögliche Wiederholung der Taten des NSU. Und wenn dem so sein sollte, dann wäre es die letzte Konsequenz des Rechtsextremismus, der mit Worten beginnt und nun einmal mehr, getreu des Mottos des NSU: „Taten statt Worte”, zugeschlagen haben könnte.

Wie viele Beweise und Opfer braucht es noch, damit eine breite Debatte über rechte Gewalt ernsthaft geführt wird? Allein im letzten Monaten gab es genügend alarmierende Vorfälle. Ein paar Beispiele: Die ehemalige NSU-Nebenklage-Vertreterin Seda Başay-Yıldız erhielt Briefe, die unter anderem mit der Ermordung ihrer Tochter drohen und die mit „NSU 2.0” unterschrieben sind. Die Spuren der Drohbriefe führen direkt in die hessische Polizei. Rechtsextreme, sogenannte „Prepper”, legten Todeslisten für den „Tag X” an. In Chemnitz wurden Menschen auf Grund ihres Aussehens von Neonazis durch die Stadt gejagt. Und im April 2018 wurde ein junger Mann auf Grund seiner Homosexualität von drei Rechtsextremen ermordet. Verurteilt wurden die Täter – allerdings ohne das ihre Gesinnung dabei eine Rolle spielte. Die Liste ließe sich noch lange fortführen. Opfer, Aktivist*innen und Politiker*innen, die sich klar gegen Rechts positionieren, mussten und müssen mit dieser Gefahr jeden verdammten Tag leben.

Wem müssen wir wirklich zuhören?

Wie kann man in so einem Moment, links und rechts gleichsetzen? Wie kann man den Mord zuerst mit der RAF und nicht mit den Taten des NSU vergleichen, wie es Joe Kaeser, der Vorstandvorsitzende der Siemens AG getan hat? Es sieht düster aus. 12.700 gewaltbereite Rechtsextreme gibt es laut Innenministerium in Deutschland momentan. Und das sind nur die offiziellen Zahlen. Extremismusexperte Gideon Botsch warnte im Tagesspiegel in Bezug auf die rechtsextreme Szene: „Die nächsten 18 Monate werden besonders gefährlich.”. Gleichzeitig ist sich ein Alt-Bundespräsident nicht zu schade, mal wieder daran zu erinnern, die besorgten Bürger ernst zu nehmen, ihnen gegenüber Toleranz zu zeigen und sich mit ihnen zu verständigen. Kurz gesagt: Mit Rechten reden!

Als Gesellschaft müssen wir aber endlich aufhören, mit Rechten reden zu wollen. Wir müssen uns stattdessen an die Seite derjenigen stellen, die von diesen Rechten, von ihren Worten, ihrer Hetze, ihren Taten, bedroht werden. Ihnen müssen wir zuhören. Und aufhören, Verständnis für die Verschiebung des Diskurses zu zeigen, der den Anfang von dem bildet, was am Ende Mord wird.

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