Foto: Watson | Hella Wittenberg

Gunda Windmüller: „Es gibt nichts an unseren Genitalien, für das wir uns schämen sollten”

Warum heißt es eigentlich „Schamlippen”, wofür sollen Frauen sich denn schämen? Das fragt sich die Journalistin und Autorin Dr. Gunda Windmüller und plädiert für einen neuen Begriff.

„Weibliche Sexualität wurde über Jahrhunderte systematisch be-schämt“

Die weibliche Sexualität ist auch heute noch oft ein Tabuthema. Immer wieder muss man erschreckt feststellen, wie wenig Frauen selbst über ihre eigenen Geschlechtsteile wissen. Dieser Teil unseres Körpers ist immer noch vor allem mit einem Wort behaftet: „Scham”. Passend dazu ist das einzige Wort im Duden für die Hautfalten, die den weiblichen Geschlechtsbereich umschließen: „Schamlippen”.

Wofür aber sollen wir uns eigentlich schämen?, fragt sich die Watson-Redakteurin, Journalistin und Autorin Dr. Gunda Windmüller und plädiert für einen neuen Begriff: „Vulvalippen”. Um das Wort in den Duden zu bekommen und damit im allgemeinen Sprachgebrauch zu etablieren, hat sie nun, gemeinsam mit der Journalistin und Autorin Mithu Sanyal, sogar eine Petition gestartet. Wir haben mit ihr über weibliche Sexualität,  die Überwindung von Scham und ihr Vorhaben gesprochen.

Liebe Gunda, wir alle sind mit der Beschreibung „Schamlippen” aufgeklärt worden. Du kritisierst den Begriff. Warum?

„Weil er ein negatives Gefühl betont: Die Scham. Und das ist eben Quatsch, denn es gibt nichts an unseren Genitalien, für das wir uns schämen sollten.”

Woher kommt der Begriff denn eigentlich?

„Der Begriff leitet sich aus dem Lateinischen ab und kommt von ,labium pudendi’ labium heißt Lippe und pudere sich schämen. Die Lippen der beschämenden Teile!”

Und was sagt der Wortteil „Scham” über unseren Blick auf (vor allem weibliche) Sexualität aus?

„Weibliche Sexualität wurde über Jahrhunderte systematisch be-schämt, diszipliniert und auch gewaltsam unterbunden. Die Benennung der ,Scham-genitalien’ zeugt auch heute noch von dieser Geschichte. Und sie ist auch leider noch lange nicht vorbei. Wer sich heute mit Gynäkolog*innen oder Sexualpädagog*innen unterhält wird hören, dass ihr eigenes Geschlechtsteil für viele Frauen immer noch tabu ist. Das ist für manche vielleicht nicht nachvollziehbar, aber es ist leider trotzdem traurige Realität.”

Auf der Suche nach einem anderen Wort hast du festgestellt, dass der Duden keine Alternative bietet. Deshalb willst du ein neues Wort schaffen. Welches?

„Vulvalippen! Ich habe erst lange überlegt, welches Wort gut passen könnte – bis mir dann aufgegangen ist, dass das Wort ja ganz naheliegend ist, wortwörtlich! Denn anatomisch gesehen sind es Lippen und es sind die Lippen der Vulva. Mir war es eben auch wichtig, ein möglichst neutrales Wort zu finden. Ein Wort, das zum Beispiel nicht sofort mit Schönheit oder Liebe in Verbindung steht, wie Venuslippen. Ich finde es aber auch toll, von weiteren Vorschlägen zu hören!”

Und warum ist „Vulvalippen” ein besseres Wort als „Schamlippen”?

„Weil wir damit endlich ein Wort haben, mit dem wir einen sehr intimen Körperteil benennen können, ohne von ,Scham’ zu sprechen. Außerdem hat es den Vorteil, dass es nochmal darauf hinweist, wo die Vulva liegt. Denn das wissen viele gar nicht: Es ist der vordere, sichtbare Teil der Genitalien.”

Wie bringt man ein neues Wort in den Duden? Wie sieht dein weiterer Plan aus?

„Man kann der Dudenredaktion leider keine Unterschriftenliste schicken und sagen: ,Nehmt mal dieses Wort auf!’ Ein Wort muss über einen längeren Zeitraum relativ häufig Erwähnung finden, um dort aufgenommen zu werden. Ziel ist, dass der Duden irgendwann gar nicht mehr anders kann, als das Wort aufzunehmen. Daher habe ich nun auch zusammen mit der Journalistin und Autorin Mithu Sanyal eine Petition bei change.org gestartet. Uns geht es darum, auf das neue Wort aufmerksam zu machen und so viele Menschen wie möglich dazu zu bewegen, es zu benutzen.”

Und wenn „Vulvalippen” dann im Duden steht, ist alles gut?

„Nein, aber hoffentlich einiges ein bisschen besser. Denn es geht uns zwar erstmal vor allem um ein Wort, aber es geht zugleich auch um so viel mehr: Um eine grundsätzlich andere Sprache für unsere Körper, für unsere Sexualität – und damit eben auch um eine andere Einstellung dazu! Sprache schafft Wirklichkeit. Ich will, dass es sich endlich aus-schämt! Und wie die Initiative jetzt schon gezeigt hat, löst sie eben auch Diskussionen aus. Und das ,drüber reden’ ist ja auch schon viel wert.

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