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Sexuelle Belästigung: Auch wir Frauen müssen endlich zusammenhalten, damit sich etwas ändert!

Seit die Debatte um sexuelle Attacken im beruflichen Umfeld wieder Fahrt aufgenommen, äußern sich immer mehr Frauen dazu, wie es in ihrer Branche läuft. Leider viel zu oft mit einer unerträglichen Selbstgerechtigkeit.

Und wieder die Aufforderung: Wehrt euch!

Da sitze ich am vergangenen Sonntag ganz entspannt mit meiner Familie im Café und lese Zeitung. Beides kommt nicht allzu oft vor, um so mehr genieße ich den Moment. Bis ich Seite 11 der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung aufschlage. Unter dem Titel „Hinter den Kulissen“ werden dort deutsche Schauspielerinnen zitiert, die berichten, wie es ihnen über die Jahre so ergangen ist in ihrer Branche mit sexuellen Übergriffen von Kollegen. Als erstes springt mir unter einem großen Portraitfoto die Aussage der Schauspielerin Hannelore Elsners ins Auge: 

Mir war aber auch klar, dass ich nie Erfolg haben möchte über die Besetzungscouch.

sagt sie unter anderem. Zack, Schnappatmung. Habe ich das richtig verstanden? Das war also eine beispielhafte Willensleistung von Frau Elsner? Später im Artikel erzählt sie weiter: „Man muss auch als junge Schauspielerin so selbstbewusst sein, dass es zu solchen Situationen nicht kommt.“ Ja, ganz genau: „Solche Situationen“ sind also wohl etwas, dass man auch vermeiden kann, wenn man nur genug will.

Nun könnte man bei Frau Elsner mit 75 Jahren solch eine Haltung wohlwollend unter „andere Generation“ abheften. Man kennt das vielleicht aus Diskussionen mit den eigenen Eltern, die ja oft selber Opfer einer jahrelang vorgelebten fatalistischen Denkweise sind, was Geschlechterrollen und Stereotype betrifft.

Ist das wirklich überholtes Rollenverständnis oder egoistischer Selbstschutz?

Gleich das nächste Zitat von Feo Aladag, österreichische Schauspielerin und mit Geburtsjahr 1972 mein Jahrgang, lässt mich daran zweifeln, dass diese Haltung allein überholtem Rollenverständnis zuzuschreiben ist: „Mein Glück, dass ich so erzogen wurde, mir so etwas nicht gefallen zu lassen.“ Wirklich? Ein Glück, dass zumindest erziehungsmäßig alles gut gelaufen ist? Abgesehen vielleicht davon, wie verletzend und überheblich so ein Satz vermutlich in den Ohren eines Opfers von sexuellem Missbrauch klingen muss. Da steckt für mich alles drin, was man nicht hören will: Hättest Du mehr Rückgrat, wäre das nicht passiert. Die Formulierung „nicht gefallen lassen“ grenzt meines Erachtens schon an Opferverhöhnung.

Solche Aussagen sind leider gar nicht so weit weg von: „Was zieht die auch so einen kurzen Rock an?“ Ich kann wirklich nicht fassen, dass das niemandem aufgefallen ist. Das nicht noch mal nachgefragt wurde, wie denn das bitte genau gemeint sei?

Ich möchte übrigens versichern, dass ich überhaupt kein persönliches Problem mit Hannelore Elsner oder Feo Aladag – oder den anderen zitierten Kolleginnen von ihnen – habe. Im Gegenteil, die meisten von ihnen sind tolle Schauspielerinnen und Filmemacherinnen. Ich bin sogar ganz sicher, dass sie ihre Aussagen gut gemeint haben und jedes absichtliche Opfer-Bashing weit von sich weisen würden, sich sogar immer wieder gegen Sexismus und „Besetzungscouch-Methoden“ engagieren. Aber wäre es nicht Aufgabe der AutorInnen des Artikels gewesen, noch mal nachzuhaken? Müssen wir nicht gerade bei dem Thema Sexismus oder gar sexuellen Übergriffen besonders sensibel sein? Sprache schafft nun mal Realität und wie soll sich bitte ein Opfer einer Vergewaltigung fühlen, dass sich das Unsagbare, das ihr widerfahren ist, offenbar hat „gefallen lassen“?

Entsetzen, Scham und Schock haben wirklich überhaupt nichts mit „gefallen lassen“ zu tun!

In der Diskussion, die aufgrund dieses Artikels mit meinem Mann entsteht, frage ich mich und ihn, welchem Chefredakteur oder Ressortleiter dieser vorwurfsvolle Unterton, dieser schrecklich selbstgerechte Klang mancher Aussagen in diesem Beitrag, nicht aufgefallen sein mag? Wieso werden diese mindestens gedankenlos formulierten Sätze nirgendwo im ansonsten sehr guten Text kritisch beleuchtet? Mein Mann findet es interessant, dass ich davon ausgehe, dass es ein Mann war – und keine Chefredakteurin – dem dieses Versäumnis zuzuschreiben ist. Ich habe das nicht konkret recherchiert, aber wir waren uns einig, dass es bei der Süddeutschen kaum anders sein wird, als anderswo in der Medienbranche: Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei dem Menschen, der diesen Artikel letztlich abgesegnet hat und dem die Zweideutigkeit mancher Zitate nicht aufgefallen ist, um einen Mann über 50 handelt, ist einfach ziemlich groß. Darum geht es hier natürlich eigentlich gar nicht, aber irgendwie auch doch, oder?

So vieles an der aktuellen Debatte über sexuelle Übergriffe auf Frauen im beruflichen Umfeld läuft falsch.

Die Konzentration der Berichterstattung auf Showbusiness und Medienbranche zum Beispiel. Denn selbstverständlich gibt es Harvey Weinsteins in jeder Branche und in jedem Umfeld, in dem unkontrolliert Macht ausgeübt werden kann. Oder der Hashtag #metoo, der gut gemeint ist, aber auch so viel Courage und persönliche Offenbarung erfordert, dass vollkommen klar ist, dass nur ein Bruchteil von Frauen sich trauen wird, sich damit als Opfer zu outen. Und viele andere vermutlich mit dem unguten Gefühl á la „Jetzt traue ich mich schon wieder nicht, was zu sagen“ zurück lässt. Die wunderbare Stevie Schmiedel von Pinkstinks hat dazu einen sehr guten Text geschrieben. Und es gibt einfach zu viele Frauenstimmen, die relativieren oder eher betonen, dass ihnen selbst ja zum Glück nie „so etwas“ passiert sei.

Frauen müssen die Spirale des Selbstschutzes und Schönredens durchbrechen!

Ich will klar und laut und deutlich Frauenstimmen hören, die sagen: Ja, das passiert! Ich habe es erlebt oder gesehen. Und, nein, das ist nicht meine und nicht deine Schuld. Frauen, die zu einhundert Prozent loyal sind. Die anbieten, andere zu unterstützen, sollte ihnen etwas widerfahren, gegen das sie sich alleine nicht trauen, sich zur Wehr zu setzen. Sei es, weil sie sich schämen, Angst vor beruflichen Konsequenzen haben oder einfach nicht die Spaßbremse einer lustigen Runde sein wollen. Oder auch, weil sie vielleicht selbst schon einmal protegiert worden sind und irgendwie beschämt geahnt haben, dass es dabei nicht nur allein um ihre Leistung ging. Es ist zutiefst menschlich, dass man das eher von sich weisen wird, um sich und seine Karriere vor dieser Anrüchigkeit zu schützen. Aber wenn es erfahrenen Frauen nicht gelingt, bedingungslos einzuräumen, dass das nicht in Ordnung ist, wie sollen junge Frauen, neu im Beruf, sich trauen? Und wieso empfinden sich so viele Frauen, die sich im besten Fall erfolgreich gewehrt haben, als besonders mutig oder – noch schlimmer – andere, die nichts gesagt haben, als schwach?

Strukturelle Änderungen sind dringend nötig

In großen Konzernen gibt es Frauenbeauftragte, Ombudsmänner und -frauen, Betriebsräte und -rätinnen, die eigentlich auch als Ansprechpartner dienen sollten, für alle Formen der Übergriffigkeit. Leider ist dieses System auch nicht wasserdicht, aber es ist schon bezeichnend, dass eine Vielzahl der traurigen Beispiele, die wir gerade wieder zu hören bekommen, in freien Berufen oder im kleinen Mittelstand stattfinden, wo das Machtgefälle oft am größten ist und es selten offizielle AnsprechpartnerInnen gibt. Wir brauchen – möglicherweise ganz informell – starke Frauen in jedem Büro, an jedem Theater, in Agenturen, Redaktionen und in Werkstätten. Frauen, die sich hinstellen und ihren Kolleginnen klar signalisieren: Komm zu mir, wenn Dir was passiert. Ich stehe an deiner Seite. Und die im besten Fall auch immer mal wieder den Mut haben, zu sagen: Ich bin dort, wo ich jetzt stehe, auch nicht ohne Blessuren angekommen. Ich musste viel hinnehmen und ich möchte dich gerne davor schützen, dass du ähnliches erlebst.

Immer wieder höre und lese ich von Frauen gerade so ähnliche Sätze wie:

„Das ist auch ein schmaler Grat, was die eine als Belästigung empfindet, empfindet die andere vielleicht als Flirt.“

Das klingt so verdammt empathisch – für die Männer, denen es mit uns komplexen Wesen, mit all unseren diffusen Gefühlen und vermeintlich unklaren Signalen, aber auch so schwer gemacht wird. Damn it! Wir beherrschen doch heutzutage die ganze Klaviatur von Sozialkompetenz. „Social skills“ sind in den meisten Lebensläufen eine feste Rubrik. Wieso fällt es uns Frauen dennoch so schwer, es Männern einfach mal zuzumuten, dass sie verdammt noch mal keine Grenzen überschreiten sollen? Wir sprechen über denkende und fühlende Mitmenschen, nicht über hilflose, triebgesteuerte Tierchen, denen wir im Job permanent das Korsett des zivilen Miteinanders aufzwingen.

Belästigung kann auch ganz subtil stattfinden.

Es kommt selbstverständlich immer auf den Kontext an, wann wir etwas als übergriffig empfinden. Und wo die Grenzen liegen, ist eine ganz persönliche Frage. Aber ich weigere mich, zu akzeptieren, dass es an mir liegt, wenn jemand nicht einschätzen kann, wie weit er gehen kann. Man weiß doch auch, welcher Kollege nur Tee trinkt und welche Kollegin Sojamilch in den Kaffee möchte. Man weiß, wer im Freundeskreis Veganer ist und Tiere so abgöttisch liebt, dass es einfach total blöd ist, ihm einen Gutschein fürs Steakhaus zu schenken. Man weiß, wessen geliebter Großvater gerade gestorben ist und hält sich zurück mit Witzen aus dem „Handbuch des lustigen Bestatters“. Wir wissen, wer besonders protektiv mit seinen Kindern ist, wer leidenschaftlicher Kirchgänger und wer Moslem ist und nimmt als Mensch mit gesunder Sozialkompetenz Rücksicht darauf. Und deswegen bestehe ich darauf, dass auch eine Frau einen blöden Spruch machen darf, in dem das Wort „Titten“ vorkommt. Das dürfen dann Kolleginnen – und Kollegen – selbstverständlich auch unlustig oder „too much“ finden. Und trotzdem muss klar sein, dass man ihre Titten trotzdem nicht ungefragt anfassen darf. Und sollte es passieren, dann sollte es nicht den geringsten Zweifel daran geben, dass sie das nicht gewollt, verdient oder irgendwie „provoziert“ hat.

So viel Anstand, Loyalität und Mitgefühl muss man erwarten können – von Männern UND Frauen.

Wie bitte soll sich etwas ändern, solange wir uns nicht trauen zu sagen, wie beschissen und unwürdig wir jede sexuelle Bemerkung im falschen und vor allem im beruflichen Kontext finden? Müssen wir ernsthaft befürchten, jemand könnte der Meinung sein, dass wir uns da haben etwas „gefallen lassen“. Wie soll man sich trauen zu sagen, wie doof selbst in einer intimen Partnerschaft manche Kommentare rüber kommen können, wenn man Sorge haben muss, dass Freundinnen einen hinter vorgehaltener Hand auch ein bisschen zickig im Umgang mit dem Mann finden? Wie schwierig es ist, wenn in vertrauter Runde Witze zu weit gehen, zu sagen: „Hey, das ist überhaupt nicht witzig, das tut weh“, wenn einem andere Frauen signalisieren, auch ganz schön „provoziert“ zu haben?

Wir müssen laut und deutlich werden. Und im besten Fall JEDES MAL etwas sagen, wenn uns etwas verletzt. Das ist so schwer und erfordert so wahnsinnig viel Mut, dass ich bitteschön NIE WIEDER von anderen Frauen hören oder lesen möchte, was mit Opfern eines Übergriffs möglicherweise nicht stimmt. Die Verantwortung für sexuelle Übergriffe oder „Angebote“ den Frauen und ihren Elternhäusern oder irgendwelchen charakterlichen Defiziten zuzuschieben, anstatt denen, die sie verüben, ist vollkommen unakzeptabel.

Titebild: depositphotos.com

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