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#TeamGinaLisa: Nein, das Verhalten von Frauen ist nicht schuld!

Der Prozess gegen Gina Lisa Lohfink sollte heute zu Ende gehen. Am Ende des Tages steht allerdings ein neuer Prozesstermin, ein Befangenheitsantrag gegen die Richterin und ein breites Bündnis der Solidarität.

 

Solidarität mit Gina Lisa Lohfink – und allen anderen Opfern sexualisierter Gewalt 

Eigentlich wollte ich in diesem Text über den Prozesstag im Fall gegen-Gina Lisa Lohfink, die Solidaritätsbewegung vor dem Gerichtsgebäude und die Geschehnisse vor und im Gerichtssaal berichten. Ich wollte etwas zu den Hintergründen erzählen, vom vorangegangenen Verfahren, in dem die beiden Männer der Vergewaltigung freigesprochen wurden und das zu dem derzeitigen Verfahren gegen Gina Lisa Lohfink wegen angeblicher Falschaussage geführt hat.

Eigentlich wollte ich darüber schreiben, welche bewegenden und aufrüttelnden Redebeiträge es bei der Solidaritätskundgebung gab, wie berührend es war, als Gina Lisa Lohfink sich unter Tränen bei ihren Unterstützerinnen und Unterstützern bedankte und diese ihrer bedingungslose Solidarität mit Gina Lisa Lohfink durch ein lautes und durchhallendes „Du bist nicht allein!“ einmal mehr Ausdruck verliehen. 

Eigentlich wollte ich darüber schreiben, dass diese Momente zeigen, dass die Bewegung zu „Nein heißt Nein“ viele unterschiedliche Menschen verbindet, die vieles trennt, aber eben eines eint. Und dass der Umgang mit Gina-Lisa Lohfink in vielen Medien zeigt, dass „Nein heißt Nein“  endlich ausnahmslos und für alle Frauen gelten muss. 

Ich wollte auch darüber schreiben, welche Gräben sich in dem Solidaritätsbündnis, das erst seit gut zwei Wochen existiert, auftun, wenn es zu den Themen Sexarbeit und Rassismus kommt. Ich wollte erklären, dass es nicht nur um „Nein heißt Nein“, sondern auch um „Ja heißt Ja“ gehen sollte. Dass endlich auch Schluss sein muss mit Slutshaming. Und dass sexualisierte Gewalt kein straffreies Verbrechen mehr sein darf, wie es doch momentan in unserem Rechtssystem noch so oft der Fall ist. Ich wollte die verschiedene Aktivistinnen zu Wort kommen lassen. 

Und ich wollte von meinen Beobachtungen im Gerichtssaal berichten. Erklären, dass heute noch kein Urteil gesprochen werden konnte, weil ein Befangenheitsantrag von der Verteidigung gegen die Richterin gestellt wurde. Ich wollte erzählen, wie absurd es war, als die Richterin, trotz vorheriger gegenteiliger Ankündigung, die Öffentlichkeit nicht von der Begutachtung der Videos ausschließen wollte. Und warum Gina Lisa Lohfink und ihre Anwälte daraufhin den Gerichtssaal verließen. Den Verlauf des Prozesstages, im Gerichtssaal und draußen bei der Solidaritätskundgebung, könnt ihr bei uns auf Twitter nachlesen.

Die traurige Realität auf Twitter

Das alles wollte ich schreiben – und dann habe ich die Dinge gelesen, die seit heute Morgen unter dem Hashtag #TeamGinaLisa bei Twitter veröffentlicht wurden. Da ist mir kotzübel geworden. Die menschenverachtenden, stigmatisierenden und sexistischen Aussagen, die sich dort – neben all den wichtigen ernsthaften Solidaritätsbekundungen – sammeln, sind der beste Beweis dafür, dass unsere Gesellschaft immer noch ein großes Problem im Umgang mit sexualisierter Gewalt hat. Sie wird verharmlost, akzeptiert, toleriert, gerechtfertigt und verteidigt. Die Kleidung von Frauen ist schuld, das Verhalten von Frauen ist schuld, die Angst vor der Falschbeschuldigung scheint größer als der Anspruch der Opfer auf die Verurteilung ihrer Peiniger. Lieber werden aus Opfern Täter gemacht. Und das Ganze schadenfroh auf Twitter kommentiert. Die vielen widerwärtigen Kommentare möchte ich hier nicht wiedergeben. Keinen Zentimeter mehr möchte ich diesen Aussagen Platz bieten. Aber, wer bei Twitter #TeamGinaLisa eingibt, kann sich von der traurigen Realität überzeugen.

In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?

Als der Prozesstag heute zu Ende ging, wurde Gina-Lisa Lohfink noch einmal von vielen solidarischen Unterstützern vor dem Gerichtsgebäude in Empfang genommen. „Du bist nicht allein!“ ertönte es einmal mehr beeindruckend laut. Das ist das Bild, das ich ich gerne mit nach Hause nehmen würde. Aber leider sind die traurigen Gestalten mit ihren widerwärtigen Kommentaren auf Twitter nicht wegzuwischen. Unsere Gesellschaft steht vor der Entscheidung, welche Seite sie wählen will. Es bleibt zu hoffen, dass sie sich richtig entscheidet. Die Reform des Sexualstrafrechts, die noch dieses Jahr kommen soll, ist ein wichtiges Signal. Aber die Hass-Kommentatoren auf Twitter und überall sonst zeigen, dass das nur ein erster Schritt sein kann. 

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