Vor allem junge Menschen stellen ihre Identität über Social Media dar und finden dort Inspiration, wie sie sein möchten. Eine Studie hat jetzt untersucht, wie sich die Selbstinszenierung auf die jungen Nutzer*innen auswirkt.
Vorbilder sind wichtiger denn je
Geburtstag, neuer Job, neue Wohnung – ein Post dazu ist schon fast Pflicht geworden, um Familie und Freunde auf dem Laufenden zu halten. Soziale Medien sind ein Teil des Alltags geworden, bilden damit jedoch noch lange nicht die Realität ab. Nur wenige können wohl von sich behaupten, auf Anhieb den richtigen Winkel für ein Selfie zu finden und zufrieden mit dem ersten geschossenen Bild zu sein. Fünf, zehn, fünfzehn Versuche, bevor ein Foto in die Social Media Welt entlassen wird, sind keine Seltenheit.
Die MaLisa Stiftung, die von der Schauspielerin Maria Furtwängler und ihrer Tochter gegründet wurde, hat in einer Studie untersuchen lassen, welche Klüfte sich in den neuen Medien zwischen Inszenierung und Wirklichkeit auftun. Wir haben uns die Ergebnisse bei der Vorstellung der Studie genauer angeschaut und vor Ort mit den Netzaktivist*innen Julia Wenzel und Tarik Tesfu darüber gesprochen, wie wir Medien diverser gestalten können.
Frauen bekommen nicht die Bühne, die sie verdienen
Die wichtigsten Erkenntnisse: Knapp 70 Prozent der 2000 untersuchten Videos auf YouTube stammen von Männern. Frauen und andere diverse Geschlechter sind in den Clips weniger sichtbar. Die männlichen Gesichter, die dabei hauptsächlich in die Kamera blicken, zeigen sich vor allem in fachmännischen Kontexten. Männer deklarieren ihre Inhalte größtenteils als professionell: Sie betiteln sich selbst nicht als Hobby-Gamer oder Musikliebhaber, sondern als Profisportler und Musikexperte. Die Studie kam auch zu dem Ergebnis, dass Männer ein größeres Themenfeld bedienen: Entertainment-, Games-, Musik- und Lehrvideos werden von Männern dominiert.
Frauen tun im Gegensatz zu Männern ihre Inhalte oftmals als Hobby ab. Bei dem Video über tierversuchsfreie Kosmetika wird nicht herausgestellt, wie viele Stunden Arbeit es gekostet hat, die Zutatenliste der Hersteller*innen zu durchforsten. Bei dem Backvideo wird verschwiegen, wie viel Übung es bereits gebraucht hat, bis die Glasur in der perfekten Konsistenz über das Backwerk gekippt werden kann. Erfolgreiche YouTube-Produktionen sind inzwischen alles andere als schnell mal im heimischen Wohnzimmer fertig gedreht. Sie kosten Mühe und Aufwand, fordern Wissen und Können, so die Studie.
„Spontanes, natürliches“ Foto nach 20 Versuchen
Unterm Strich sind es fast immer die gleichen Posen, in die sich Frauen für ein Foto auf Instagram werfen. Den „zufälligen“ Blick über die Schulter oder das „zufällig“ überkreuzte Bein haben die Forscher*innen als die am meisten gewählten Haltungen identifiziert. So aussehen wie die Influencer*innen – das ist der Wunsch, der bei vielen hinter diesen Posen steckt. Dafür nehmen viele User*innen gerne Strapazen auf sich: reisen an die Exakt gleichen Orte, um den gleichen tollen Hintergrund für einen Instagram-Post zu erhaschen; geben auch nach dem zehnten Klick auf den Auslöser nicht auf, um einen noch besseren Winkel zu finden und investieren anschließend eine Menge Zeit in Filter und Hautausbesserung. 63 Prozent der Studienteilnehmerinnen gaben an, dass sie größeren Wert darauf legen schlank zu sein, sobald sie Influencer*innen folgen.
Das Nachahmen der Vorbilder auf Social Media führt, laut der Studie, dazu, dass Inhalte immer gleichförmiger werden. Vielfalt gehe verloren. So hellen sich etwa 69 Prozent der Teilnehmerinnen der Studie, die Heidi Klum folgen, die Zähne genauso auf, wie sie es in dem Instagramfeed des Topmodels gesehen haben. 100 Prozent der Mädchen, die Dagi Bee folgen, optimieren ihre Haut, genauso wie es die YouTuberin in ihren Videos vormacht.
Inhalte diverser gestalten
Doch was können wir tun, um die neuen Medien vielfältiger zu gestalten? Dazu haben wir nach der Präsentation der Studie mit den Netzaktivist*innen Julia Wenzel und Tarik Tesfu gesprochen. Julia von dem feministischen Talkformat Auf Klo weist darauf hin, dass „Likes und Shares die Währung in den Sozialen Netzwerken sind“. Denn auch wenn die gekünstelt inszenierten Bilder glänzend schön in unseren Timelines erscheinen, könnten wir immer noch selbst entscheiden, wem wir folgen. Julia, die selbst auf Instagram über 22.000 Follower*innen hat, hat so zum Beispiel ihren Feed umsortiert. Sie abonniert vielfältige Künstler*innen, Aktivist*innen und Menschen mit unterschiedlichen Aussehen, Hintergründen und Lebensrealitäten.
Auch Tarik wünscht sich, dass wir uns einmal mehr umschauen, was für großartige Inhalte Menschen in unserem nahen Umfeld produzieren. „Die meisten haben so viele Leute im Bekannten- und Freund*innenkreis, die geilen Content machen”, sagt der Netzaktivist, „da muss es nicht immer der Blick nach oben zu den großen Influencer*innen sein.“
Die Ergebnisse der Studie lassen darauf schließen, dass vielen jungen Mediennutzer*innen das Verständnis dafür fehlt, dass das was Influencer*innen in den neuen Medien präsentieren, zu einem großen Teil inszeniert ist. Der Blick auf das eigene Spiegelbild und die Bildergalerie mit Selfies fällt demnach kritischer aus. Apps, um optisch die Beine zu verlängern oder den Bartwuchs dichter erscheinen zu lassen nehmen mehr Speicherplatz auf den Smartphones ein als all die lustigen, peinlichen, unperfekten Schnappschüsse. Dabei hätte die normiert inszenierte Social Media Welt gerade diese so dringend nötig.
Die ausführlicheren Statements von Julia und Tarik findet ihr hier im Videoformat.
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