„Und was machst du so am Wochenende?“ Diese Frage umschifft Sarah immer gerne, um nicht schief angeschaut zu werden. Denn sie ist einfach gerne allein – und dabei so gar nicht einsam.
Was, du willst nicht ausgehen?
„Und, was machst du so am Wochenende?“ Ok, heute drücke ich mich um die Antwort nicht herum. Aber um es vorweg zu nehmen: ich werde nicht antworten, dass ich feiern oder einen über den Durst trinken gehe oder irgendwelche anderen Ausgehpläne habe. Meine Antwort wird eine andere sein. Und das liegt ganz einfach daran, dass ich introvertiert bin. Für manche wirke ich damit wie ein Mensch vom Mars. Ich dagegen, finde mich ziemlich in Ordnung so.
Ständig dieses: „Wie, du gehst nicht feiern heute Abend, ist doch überall viel los?“ Und: „gerade in Berlin muss man doch was machen!“ Genau das sind die Reaktionen, die mich zum Marsmenschen machen. Warum bekomme ich nach meiner üblichen Antwort nur immer diese mitleidigen Blicke zugeworfen? Ich verpasse nichts. Liebe Extrovertierte, wenn ihr euch nur die Mühe machen würdet, meine Perspektive einzunehmen. Meine Seite der Medaille ist nicht trist und langweilig, sondern eben so bunt und fröhlich, wie eure. Mir fehlt es an nichts – außer eurem Verständnis und eurer Toleranz.
Welche Situationen genau für mich schwierig sind? Nun, das ist in vier simplen Beispielen erklärt – und wenn ihr die dann kennt, wäre es toll, wenn ihr mich nicht länger wie ein Marsmännchen behandelt.
1. Wie, du gehst heute nicht feiern?
Egal ob ich zum Ausgehen eingeladen werde oder privat mit viel lauter Musik und viel Flüssignahrung das Wochenende genießen soll – das wird nicht funktionieren.
Und, das ist jetzt ganz wichtig: ich sage nicht ab, um dich zu beleidigen oder dich in deiner Rolle als Gastgeber zu kränken. Warum also mache ich das?
Stell dir mein Engergielevel einfach mal als einen Benzintank vor. Morgens ist er gut gefüllt, doch schon während ich zur Arbeit fahre, verliere ich jede Menge Treibstoff. Weil alles da draußen so trubelig und alles so furchtbar laut ist. Doch die Fahrt geht weiter. Im Büro gibt man dann vielleicht auch noch hier und da ein bisschen Treibstoff an die Kollegen ab, um zu helfen und auch das eigene Gehirn verbraucht einen Haufen Energie, um die Konzentration in der lauten Umgebung aufrecht zu erhalten. Dann ist Feierabend – und auch die Rückfahrt verbraucht wieder viel zu viel Kraft. Zu Hause angekommen ist der Tank fast leer. Und damit auch die Energie, die ich für Aktivitäten mit viel Lautstärke und viel Trara gebraucht hätte.
Ja, manchmal frustriert es mich, dass mir die Energie für weitere Aktivitäten im Dschungel da draußen fehlt. Aber ich funktioniere eben einfach anders. Und wenn ich mich dann in die Küche stelle und für Freunde koche, dann ist für mich Entspannung. Und ich verbringe auch einen schönen Abend – mit weniger Menschen aber guten Freunden.
2. Ich kann leider nicht so lange vorplanen
Das Leben ist eine Ansammlung an zufälligen Ereignissen. Ich möchte nie das Gefühl haben, etwas verpasst zu haben – auch wenn ich das eigentlich öfter tue. Zumindest in den Augen der Außenstehenden. Wenn du mich fragen solltest, ob ich in sechs Monaten an dem Freitag um 19.00 Uhr Zeit habe, kann ich dir meistens nur ans Herz legen, mich noch einmal zwei Tage vor dem Event anzusprechen oder besser noch: am gleichen Abend.
Ich plane meine sozialen Aktivitäten nicht im Voraus, weil ich mir meine Freiheit bewahren möchte. Denn ich weiß eben nie, wie voll der Tank am Ende des Tages oder der Woche noch ist.
3. Bitte keinen Smalltalk!
Warum ich gemütliche Abende im Restaurant bevorzuge, hat einen weiteren wichtigen Grund: Oberflächliche Gespräche geben mir oft das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Tief im Inneren sehne ich mich nach sinnhaften Konversationen. Natürlich weiß ich auch die Nutzen und Vorteile von Smalltalk zu schätzen, aber das nur, wenn ich die Menschen nicht länger als eine halbe Stunde kenne. Ich möchte dich besser kennen lernen, ich möchte auf einer Welle schwimmen und mich darüber freuen, etwas dazu gelernt zu haben. Das ist der Grund, warum ich tiefgründige Gespräche liebe – und die kann man eben nicht bei lauter Musik im Club führen. Mir fehlt es im Alltag, diese Aha-Erlebnisse zu haben und hinter die Kulissen der Menschen zu schauen. Mich faszinieren Menschen, die sich trauen, etwas Persönliches von sich zu erzählen. Und eben auch an dem interessiert sind, was mich bewegt. Diese Momente sind oft still und finden nicht in Gruppen statt – und doch sind sie eben nachhaltiger, als jede durchzechte Nacht.
4. Ich bin meine eigene Tankstelle
Ich komme noch einmal zum Benzintank zurück. Und wenn wir bei diesem Bild bleiben, dann erkläre ich mich am besten wenn ich euch sage: Ich bin meine eigene Tankstelle. Ich tanke Energie, indem ich mit mir alleine bin – zu Hause. Und wenn du trotzdem versuchst mich auf eine gemütliche Runde einzuladen, wird mir das nicht helfen aufzuladen. Es ist, als würdest du Diesel in den Benzin-Tank kippen. Und das schon alleine mit der Erwartungshaltung, die du damit mir gegenüber entwickelst. Es mag komisch für dich sein, aber ich bin mir meist selbst genug und brauche diese Zeit, um am nächsten Morgen wieder loszulegen.
Zwischen Bedürfnis und Anspruch
Ständig bin ich hin- und hergerissen zwischen meinem Bedürfnis nach Ruhe und dem Anspruch, den die überdurchschnittlich extrovertierte Gesellschaft an mich stellt. Viel Zeit alleine zu Hause zu verbringen, ist für mich ein Grundbedürfnis – und meiner Meinung nach sollte man das dringend bei der Maslow-Pyramide ergänzen.
Ich tanke auf, indem ich kreative Dinge tue. Rezepte entwickeln, koche, zeichne, schreibe und lese, mich inspirieren lasse, Pläne schmieden und über Träume nachdenke. Ich kann einfach wahnsinnig gut allein sein und das ist überaus positiv, wie ich finde. Ich weiß ja, dass all die lieben Menschen da sind, um mich herum sind – wenn auch nicht genau in diesem Moment. Das macht aber nichts.
Ich laufe zur Höchstform auf, wenn ich die Wohnung für mich habe. Denn dann, kann ich so richtig ich selbst sein. Ich gehe früh morgens joggen, ich arbeite meine To-Do-Listen ab, räume die Wohnung auf und stoße neue Projekte an. Das ist Erfolg und macht mich glücklich. Denn Glück hole ich mir aus meinem eigenen Inneren und nicht von Außen.
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