Foto: Pixabay

Als Mutter im Job-Interview: „Das ist doch schön, dass Sie sich etwas dazuverdienen möchten!“

Elina hat ein sechs Monate altes Baby – und ein Vorstellungsgespräch, das sie fassungslos zurücklässt.

Heute sehe ich wie eine Erwachsene aus

„Das ist doch schön, dass Sie sich etwas dazuverdienen möchten!“ Das hat er nicht wirklich gerade gesagt, das kann nicht sein. Meint er das ernst? Ich hab mich verhört, ich muss mich einfach verhört haben.

Gerade heute hab ich mir doch solche Mühe gegeben, bei diesem Vorstellungsgespräch wie eine Erwachsene auszusehen, die alles unter Kontrolle hat! Ich habe ein business-fähiges Kostüm an, ein stylisches, mit einem lockeren Boyfriend-Blazer und einem knielangen Faltenrock. 80s meets 20s.

Ich hab mich auf Instagram inspirieren lassen, und einfach mal gestern Abend ein OUTFIT zusammengestellt, und es mir rausgelegt! Ich habe zum ersten Mal in drei Jahren etwas gebügelt, nämlich die Bluse, die ich anhabe, die ich sogar endlich quasi zumachen konnte, ohne Knöpfe durch die Gegend zu sprengen! Und alles ist sauber! Kein Fleck, kein Popel, keine Kotze, kein Blut, nicht mal Kacka! Ich bin geschminkt, der Lidstrich ist on point, versteht ihr mich, sogar der Lidstrich ist perfekt!

tiptop vorbereitet zum Vorstellungsgespräch

Meine Haare liegen, ich fühle mich stark, ich habe in Ruhe gefrühstückt und einen HEISSEN Milchkaffee getrunken. Keinen lauwarmen, und auch keinen alten, den man auf der Waschmaschine gefunden und trotzdem schnell geext hat, weil man ja an manchen Tagen nicht einmal Zeit hat, sich einen beknackten Kaffee aus der scheiß Pad-Maschine rauszudrücken. Ich wollte nicht nur mental gestärkt in dieses Vorstellungsgespräch zu gehen, ich wollte koffeiniert und satt sein. Ohne Flecken.

Auf dem Weg hierher, zu dieser Krankenversicherung und ihrer dünn besetzten Kommunikationsabteilung, fühlte ich mich normal, wie all die anderen Menschen auch, die jeden Morgen einfach so aus dem Haus und arbeiten gehen. Wie nennt man die? Ach ja, Männer meistens, und kinderlose Frauen, oder Frauen mit älteren Kindern. Komm ich da auch mal irgendwann an? Wird das alles irgendwann wieder normal? Wann muss ich nicht mehr bei jeder Treppe denken, sprech ich wen an, oder hilft mir jemand, diesen scheiß Kinderwagen hoch- beziehungsweise runterzuschleppen? Oder Menschen, die nicht im Rollstuhl sitzen, oder einen Kinderwagen dabeihaben, oder übertrieben viel Gepäck oder offensichtlicherweise gebrechlich oder alt sind, erklären, dass es am Hauptbahnhof auch Rolltreppen gibt, die funktionieren?Crazy, oder? Und dass ich mit meinem BABY, das nicht laufen kann, und im Kinderwagen liegt (ja, es wird auch manchmal getragen, psssch), auf diesen Fahrstuhl angewiesen bin.

Vollgepumpt mit Selbstbewusstsein

Wann muss ich nicht mehr nachdenken, ob ich genug zu essen dabei habe oder ob ich gleich in irgendeinem Café auf der Toilette stillen muss, weil ich nicht weiß, ob meine Brüste in diesem Etablissement erwünscht sind! Brüste, die seit einem halben Jahr nicht mehr mir gehören, sondern diesem Wesen, das ich damit ernähre! You’re welcome, Kind. Brüste, die ich nur mit Hilfe eines Sport-BHs und meines Yoga-Tops unter diese Bluse bekommen habe, damit ich unter Umständen nicht zu sexy wirke oder auslaufe, denn auf so etwas muss ich ja achten als professionell wirken wollende Frau!

Auf all diese Dinge habe ich geachtet, ich war vollgepumpt mit Selbstbewusstsein, und antwortete mit Witz und Charme und Expertise diesem Mann, der keine Ahnung hat, was ich durchgemacht habe, um hier so entspannt aussehend zu sitzen. Bei einem Bewerbungsgespräch, zu dem dieser Horst dreißig Minuten zu spät kam, das heißt dreißig Minuten, die ich mehr Zeit gehabt hätte, mich nicht hetzen zu müssen! Sie hatten meine Handynummer, sie hätten mir Bescheid sagen können!

Kann ich das, von meinem Kind getrennt sein?

Das ist ein großer Moment für mich hier, ich weiß doch noch nicht einmal, ob ich arbeiten möchte, und ob ich das kann, emotional, einfach so, sechs Stunden von dem Kind getrennt zu sein, und ich dachte doch, es ist kein Problem, Papa ist da, und ich kann abpumpen, und es ist doch wichtig, für die Gleichberechtigung und das Männerbild und die Zukunft, dass ich hier sitze, und jeder seine sieben Monate Elternzeit macht, weil wir beide gleich viel Wert sind, für unser Kind und unsere Gesellschaft und den Feminismus!

Und jetzt sitz ich hier und erzähle von meinen Erfahrungen, und erwähne mein Kind nicht, und mache alles richtig, ich lächle, und habe Fragen vorbereitet, und ich bin klug, und ich habe zwei Abschlüsse, von zwei namhaften Universitäten, eine davon Elite, und die Standard-Auslandssemester an einer renommierten amerikanischen Uni hab ich auch hinter mir, und ich bin qualifiziert und würde diese Teilzeitstelle mit links wuppen, doch jetzt sitze ich hier, und spüre, wie meine Kinnlade sich langsam zu senken beginnt, ich bin fassungslos. Ich muss ihn falsch verstanden haben. Das hat er so nicht gemeint, wie ich es wieder verstanden haben will.

„Das ist doch schön, dass Sie sich etwas dazuverdienen möchten!“

– „Wie bitte?“

„Na, so ein bisschen arbeiten gehen, ein bisschen Geld für sich haben und auch mal aus dem Haus rauskommen, ist für Mütter doch auch schön! Ich habe da Verständnis, meine Frau ist auch immer nebenher arbeiten gegangen. Also denken Sie nicht, dass Sie hier im Nachteil wären, weil Sie ein Kind haben.“

Elina Penner schreibt regelmäßig für Hauptstadtmutti, ansonsten bei sich zu Hause auf Schnitzel und Schminke. Wir freuen uns, dass wir ihren Text bei uns veröffentlichen können.

Mehr bei EDITION F

Die Einsamkeit der berufstätigen Mutter. Weiterlesen

Ein Leben mit Kindern besteht aus mehr als Familie und Beruf.Weiterlesen

Familien: Das Hamsterrad als Dauerzustand. Weiterlesen

Anzeige