In ihrer Twentysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche über den Tagtraum vom Auswandern.
Das süße Leben in der Ferne
Und dann läuft man durch einen Ort, so klein und unaufgeregt, dass man jeden Grashalm am Rande der Straße wahrnimmt, streicht über die weiß getünchten Hausfassaden und freut sich über die vielen bunten Blumen, die vor jeder Haustür arrangiert wurden. Geht auf Wegen, die von reich behangenen Granatapfel- und Olivenbäumen eingerahmt sind, riecht wilden Thymian und Salbei. Nickt der Katze zu, die sich blinzelnd in der Sonne aalt.
Geht weiter und spürt erst kleine Kiesel an den Fußsohlen, bevor man in den warmen Sand
eintaucht, der die Füße beim Laufen gar nicht recht loslassen will. Lässt sich in kaltes, klares Wasser fallen, nur um einige Zeit später mit Blick auf die Berge den Körper in der Sonne wieder aufzuwärmen. Trinkt in der Hitze lauwarm gewordenes Wasser, reißt sich ein Stück Brot ab, isst etwas würzigen Feta und viel zu salzige Oliven, die die Lippen prickeln lassen. Und genau dann ist der Moment erreicht, in dem man verdammt glücklich ist und sich fragt: Warum lebe ich dort und nicht hier?
Strand statt Stress
Da saß ich nun und fragte mich, was ich in dem hier fast künstlich wirkenden Leben zuhause verloren habe. Was ich mir da aufgebaut habe und ob das so richtig ist. Ein Leben, in dem ich viel funktioniere und viel zu selten ohne einen Gedanken gen Horizont schauen kann – schon alleine, weil es gar keinen Horizont, sondern nur das nächste Haus gibt – in dem ich mich selbst meist viel zu wenig spüre. Nie wirklich Zeit habe, mich zu fragen: Was brauche ich wirklich? Was will ich gerade überhaupt? Und was ist viel zu viel?
Ich, die nie ans Auswandern gedacht hat, verstehe auf einmal diese ganzen Aussteiger, die man hier auf Kreta immer wieder sieht und trifft und spricht – und die einfach genug hatten, von dem da draußen. Die sich töpfernderweise auf einem kleinen Eiland niedergelassen haben. Die eine Haut haben, die von vielen heißen Sommern und salzigem Wasser erzählt. Hände haben, die nicht von Schreibtischarbeit zeugen und deren Geschichten vom Einfachen handeln. Und dass es so einfach dann doch nicht ist. Die kein Superfood kennen, sondern sich aus purer Gewohnheit vom fantastischsten Essen der Welt ernähren.
Die sich einfach niedergelassen, sich das Leben hier erst angeeignet und dann übernommen
haben. Die davon erzählen, wie die Uhr nun anders tickt. Wie die Natur plötzlich wieder zum Lebensbestandteil wird. Als Urkraft spürbar. Und du blickst auf die Gebirge, in denen die griechische Mythologie ihre Wiege hat. Spürst, dass hier mehr ist als der Wind und die goldene Sonne. Und musst dann lachen, weil das nun alles zu pathetisch wird.
Ist das Leben hier wirklich so viel besser?
Und als ich gerade dachte, dass mir mein Herz überläuft vor Sehnsucht nach dem, was echt scheint, was so einfach und so reizvoll ist, da denke ich auch schon an Efgenia und an ihren Onkel Ilias, an die von der ganzen Familie betriebenen Taverne. Denke an den langen Abend, an dem wir alle zusammen saßen und viel zu viel lachten, tranken und aßen. Und daran, wie Efgenia nur davon erzählte, wie sehr sie darauf hinfiebert, diesem kleinen Bergdorf zu entkommen, dass für sie die Freiheit dort wartet, wo mehr möglich ist. Wo die Uhren nicht nach der Sonne ticken, das Leben und der Umsatz nicht von der Witterung abhängt. Daran, wie Ilias von seinem Leben erzählt, das 24/7, sieben Tage die Woche, für immer, in dieser
schönen kleinen Taverne spielt.
Der leise und leicht bitter lacht, wenn man ihn fragt, was er heute, an seinem Geburtstag machen wird und sagt: „Das, was ich jeden Tag mache, ich werde hier sein und die Urlauber bedienen, die hier vorbeikommen.“ Wird den Gastgeber nicht nur spielen und doch manchmal schon, weil auch er vielleicht manchmal einfach nur an diesem Strand liegen will und sich fragen, was da draußen noch so wartet und ob er in seinem Leben nicht mal falsch abgebogen ist. Aber dazu kommt es nicht.
Trotzig schüttele ich die Gedanken ab, schaue auf das glitzernde Wasser und sage: „Vielleicht sollte ich mein Leben in Deutschland hinter mir lassen, und die Frau werden, die hier das Geld für die Strandliegen abkassiert. Ich nehme mir einfach ein paar Bücher mit, bin den ganzen Tag am schönsten Ort der Welt und wechsle nur ab und an ein paar Geldscheine.“ Meine Freundin schaut mich lachend an. „Ich gebe dir eine Woche, dann würdest du hier verrückt werden, und dich in den Trubel zuhause zurückwünschen.“ Ich lache nun auch und weiß, dass sie Recht hat.
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