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Wie die erste gemeinsame Wohnung unsere Beziehung zerstörte

Nachdem Stefan, 26, und Lea, 22, vier Jahre zusammen waren, zogen sie in ihre erste gemeinsame Wohnung. Nach drei Monaten schmiss sie den ersten Teller nach ihm.

Projekt erste gemeinsame Wohnung

In meinem Freundeskreis wird das Thema „erste gemeinsame Wohnung“ immer öfter heiß diskutiert. Wenn Sabrina, 28, davon erzählt, dass sie am liebsten morgen mit ihrem Freund ein Haus bauen würde, packt Lea, 22, jedoch die blanke Panik. Sie beschreibt es wie eine Schlinge, die sich um ihren Hals legt und immer enger wird. Mittlerweile hält sie sich ein bisschen zurück, würde aber Freundinnen wie Sabrina am liebsten davon abraten, diesen Schritt zu wagen. Sie selbst hatte sich an das Projekt „erste gemeinsame Wohnung“ gewagt und sagt heute, dass diese Entscheidung nicht nur ihre Beziehung zerstörte, sondern auch einen großen Teil ihrer Selbst.

Wie alles begann

Als Lea ihren damaligen Freund Stefan, 26, kennenlernte, war sie gerade 16. Wenn ich sie heute reden höre, kann ich fast nicht glauben, dass dieses Mädchen mal romantisch war. Mit Stefan hatte sie große Pläne. Sie überlegten sich, wie ihre gemeinsame Zukunft aussehen sollte, dachten sich schon mögliche Vornamen für ihre vier Kinder aus und stritten darüber, ob es eher eine natürliche Geburt oder ein Kaiserschnitt werden sollte. „Ich war überzeugt, dass ich mit Stefan zusammenbleiben werde. Ich wollte unbedingt diese gemeinsame Zukunft mit Kind, Hund und weißem Gartenzaun“, erzählt Lea, wenn sie an damals denkt. Im Gegensatz zu heute habe ihr diese Zukunft damals keine Angst gemacht.

Nach dem Abi reisten Lea und Stefan ein halbes Jahr durch Kanada. Er legte dafür extra ein Urlaubssemester in der Uni ein. Sie kauften sich dort ein Auto, ließen sich tätowieren, verbrachten jeden Tag und jede Nacht miteinander. „Wir waren ständig unterwegs, haben viele neue Menschen getroffen und es gab keinen klassischen Alltag. Deswegen hat das auch so super funktioniert“, weiß Lea heute. Und gerade weil alles so gut funktioniert hatte und die beiden auch schon vier Jahre zusammen waren, planten die beiden in Kanada ihre erste gemeinsame Wohnung. Über den Vater einer Freundin hatten sie die Aussicht auf eine schöne 72-Quadratmeter-Wohnung im Kölner Stadtteil Sülz, die nach ihrer Rückkehr auch gleich bezugsfertig sein sollte. „Uns wurden Fotos der Zimmer zugeschickt und wir nutzten die letzten Tage in Kanada dazu, uns die Zimmer schon gedanklich einzurichten und um uns genau zu überlegen, wo wir was hinstellen werden.“

Zurück in Köln folgte der Umzug. Die Wohnung war groß genug für Stefan und Lea, es gab ein Schlafzimmer, eine gemütliche Wohnküche, ein Wohnzimmer und sogar noch ein kleines Arbeitszimmer, das beide abwechselnd als Rückzugsort nutzen wollten. Vor dem Mehrfamilienhaus gab es auch eine kleine Grünanlage, auf die man von der Küche aus gucken konnte. „Die fand ich auf Anhieb klasse. Ich habe noch zu Stefan gesagt, dass er im Sommer dort super lernen könne, weil er immer so gerne draußen war.“

Soll das alles sein?

Diese Grünanlage hasste Lea nach einer Woche. Wenn sie den Abwasch machte und nach draußen schaute, sah sie Grün, einige Menschen, aber vor allem viele Kinderwagen. Dieser Platz schien der perfekte Ort für alle frisch gebackenen Muttis zu sein, die sich dort täglich über Windeln und Fläschchen austauschten.

„Manchmal stand ich am Fenster und beobachtete die Mütter mit ihren Kindern. Es war ein bisschen so, als würde ich meine Zukunft da draußen sehen. Aber ich war gerade 20!“

Das Zusammenleben verlief die ersten beiden Wochen trotzdem noch wie erwartet. Lea arbeitete tagsüber, Stefan ging in die Uni. Am Abend hatte Stefan meistens schon gekocht, sie aßen gemeinsam, unterhielten sich, tranken Wein oder guckten einen Film. Im Grunde, so sagt Lea heute, war alles wie immer. Schon vor Kanada lebte Lea überwiegend in Stefans WG, es gab dort eine Art von Alltag. Nur eben ein bisschen anders. An den ersten Schlüsselmoment erinnert sich Lea nur zu gut.

Es war ein Samstag, Stefan hatte tagsüber Bundesliga geguckt und Lea war mit ihren Freundinnen in der Stadt gewesen. Abends lagen sie zusammen auf dem Sofa, als sie sich entschieden, dieses auch nicht mehr zu verlassen. War zwar Samstag, aber Party musste ja jetzt auch nicht sein. Dann fing Stefan an, ein bisschen an Lea rumzufummeln. „Vor allem ich war immer sehr sexuell, aber mit der Zeit wird das ja dann doch etwas weniger. Von mehrmals am Tag bis ein paar Mal die Woche wurde es irgendwann vielleicht noch einmal die Woche. Das war aber okay.“ An diesem Abend, als Stefan offensichtlich mit Lea schlafen wollte, war der erste Gedanke, den sie hatte: Na los, dann haben wir das ja auch abgehakt. „Ich war furchtbar erschrocken darüber. Es war, als hätte mir dieser Moment die Augen geöffnet.“ Ab dem Zeitpunkt begann Lea, ihr Leben aus einer anderen Perspektive zu sehen. Sie versuchte zu ergründen, warum sie diesen Gedanken gehabt hatte und ob etwas falsch lief.

„Ich sah dieses Leben. Ich sah Stefan und mich, ich fühlte mich ganz schnell ganz schön alt. Es war, als wäre ich über Nacht innerlich um zwanzig Jahre gealtert. Ich fragte mich das erste Mal, ob es das jetzt gewesen sein sollte.“

In der Sackgasse

Stefan machte eigentlich nichts falsch. Im Gegenteil. Er liebte Lea und er liebte das Zusammenwohnen. Doch sie wurde von Tag zu Tag wütender auf ihn. Sie hasste es, wenn das Essen auf dem Tisch stand, wenn sie von der Arbeit kam. Sie hasste die allabendliche Frage „Und, wie war dein Tag?“ und sie hasste es, wenn er schon an den nächsten gemeinsamen Urlaub dachte. Stefan merkte schnell, dass etwas nicht stimmte. „Meine Gefühle waren noch die gleichen und ich wollte ihn nicht verletzen. Ich versuchte aber trotzdem, ihm meine innere Leere, die sich langsam ausbreitete, zu erklären.“ Stefan strengte sich an. Er plante, dass sie mindestens einmal die Woche ausgehen mussten, um dem Alltag zu entfliehen. Manchmal, erinnert sich Lea heute grinsend, tat er so, als habe er nicht kochen wollen. „Ich wusste, dass er mir das Gefühl geben wollte, wir wären nicht in unserer Beziehung eingeschlafen. Aber ich wusste auch, dass er gerne gekocht hätte, damit ich essen konnte, wenn ich hungrig aus dem Büro kam.“ Am Anfang sah Lea die Bemühungen und schätzte das sehr. Die Abende, an denen sie ganz spontan dem Alltag entfliehen wollten, waren auch schön, aber diese Freude darüber hielt keinen Monat. Schnell kam Lea dieses ganze Getue albern vor. Wo sollte das denn nur hinführen, wenn sie schon mit 20 ihren Alltag so planen muss, dass es nicht langweilig wird.

Nach insgesamt drei Monaten lebten Stefan und Lea nach ihrer Beziehungs-To-do-Liste. Montags Kino, donnerstags Sex, sonntags Hausputz. Obwohl beide nach wie vor engen Kontakt zu ihren Freunden pflegten, fühlte sich Lea gefangen in einer Welt, in die sie noch nicht hineinpasste. Und mittlerweile auch nicht mehr passen wollte. Stefan fühlte sich wohl in diesem Leben, aber für Lea versuchte er, sich zu verstellen. „Anfangs wusste ich das zu schätzen, aber dann machte mich das irgendwann auch nur noch sauer, weil ich ja merkte, dass er nicht mehr er selber war. Einmal sei sie ausgeflippt, weil Stefan Tupperware im Internet bestellt hatte. „Ich habe die ganzen Dosen auf den Boden geworfen und in meinem Wahn auch zwei Teller nach ihm geschmissen. Ich konnte nicht mehr.“

Am nächsten Tag zog Stefan zu seinem besten Freund. Eine Woche später zog er aus der gemeinsamen Wohnung aus. Das ist jetzt zwei Jahre her. Lea und Stefan haben sich bis heute nicht wiedergesehen. Mit seinem Auszug zerbrach auch die Beziehung. „Stefan verkörperte für mich das Bild der Frauen, die ich aus unserem Küchenfenster beobachtete. Obwohl ich noch Gefühle für ihn hatte, wusste ich genau, wie unsere Zukunft aussehen würde. So sicher ich immer war, dass ich genau das wollte, so sehr schreckte mich das mittlerweile ab.“

Die Wunden sitzen tief

Lea konnte sich bis jetzt nicht mehr auf einen Mann einlassen. Schon beim Kennenlernen stellt sie klar, dass sie nicht auf der Suche nach einer festen Beziehung ist und es lieber locker angehen lässt. Im Gegensatz zu vielen anderen meint sie diese Ansage auch so. Gemeinsam ausgehen und Sex ja, auf dem Sofa kuscheln und Filme gucken nein. Diese Art von Nähe kann sie nicht ertragen, zu schnell fühlt sie sich eingeengt und zu schnell fühlt sich das zu ernst an. Als sich Lea das letzte Mal verknallte, schlief der Mann sogar zwei Nächte hintereinander bei ihr. Das wäre eigentlich nicht möglich gewesen.

„Als ich morgens aufstand und in meinen Kühlschrank sah, entdeckte ich Obst und einen Multivitaminsaft, den er mitgebracht hatte. Ich schmiss ihn aus meinem Bett, aus meiner Wohnung und gleich aus meinem Leben.“

Als ich sie frage, ob sie sich trotzdem manchmal nach dieser Nähe sehne, fängt sie an zu weinen. Natürlich wünsche sie sich manchmal, dass sie auch mal länger neben jemandem liegen könne, ohne gleich in Panik zu verfallen. Dass sie ihr Bett gerne mit jemandem teile, wenn auch nur für eine Weile. Und natürlich wünsche sie sich manchmal, sich Hals über Kopf zu verlieben. Aber dann, und das ginge ganz schnell, fühle sie wieder die Schlinge um ihren Hals. „Wenn mir jemand begegnet, der mir echt gut gefällt, sehe ich unser Leben in fünf Jahren. Voller Routine, voller Langeweile, voller Eintönigkeit. Spätestens dann sind all meine Schmetterlinge im Bauch verflogen.“

Obwohl sie noch daran glaubt, sich irgendwann wieder verlieben zu können, träumt sie nicht mehr von einer langen gemeinsamen Zukunft. „Obwohl ich nie heiraten werde, möchte ich schon gerne Kinder haben. Aber ich weiß, dass auch der Vater meiner Kinder irgendwann mein Exfreund sein wird.“

Der Originaltext von Antonia Rosner ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.

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