Sture Mütter, die dem Vater den Umgang mit dem gemeinsamen Kind verwehren – dieses Bild habe sich etabliert, kritisiert Carola Fuchs. Sie habe ganz andere Bedürfnisse, als sich zu rächen.
Ausschlafen – reicht das schon?
„Hahaha! Bedürfnisse! Guter Witz!“, wirst du dir vielleicht bei der Überschrift gedacht haben. „Ein einziges Mal ausschlafen und eine Mahlzeit in Ruhe, das ist alles was ich mir wünsche, seitdem ich alleinerziehend bin.“ Wenn dem so ist, dann sieht oder sah deine Bedürfnispyramide vielleicht so aus?
Abraham Maslow und seine Pyramide
Seit Abraham Maslow und seiner berühmten Pyramide wissen wir, dass erst alle Grundbedürfnisse befriedigt sein müssen, ehe man sich dem Tüpfelchen auf dem i, der Selbstverwirklichung widmen kann:
Diese Hierarchie konnte ich bedingungslos unterschreiben – zumindest bis zum Tag von Katjas Geburt. Von diesem Tag an nahm das Wohlergehen meiner Tochter die breite Basis ein. Erst wenn es dem Kind gut ging, war an weitere Bedürfnisse zu denken und auch die waren anders gewichtet als vorher.
Das Bedürfnis nach Schlaf belagerte auf einmal eine komplette Etage, dicht gefolgt von dem großen Wunsch ungestört essen zu können. Über solche Flausen, wie das Streben nach Selbstverwirklichung, konnte ich nur herzhaft lachen. Schemenhaft erinnerte ich mich daran, dass ich diese Verwandlung bei anderen frisch gebackenen Müttern mit großer Skepsis zur Kenntnis, und gleichzeitig als Gegenargument für eigene Kinder genommen habe. Ich konnte es mir schlichtweg nicht vorstellen, meine Bedürfnisse derart hintenanzustellen. Aber Mutter Natur arbeitet mit allen Tricks und sorgte mit ordentlichen Oxytocin-Ausschüttungen bei der Geburt und beim Stillen dafür, dass auch ich mir plötzlich nichts Dringenderes und vor allem Schöneres vorstellen konnte, als mich um diesen kleinen Wurm zu kümmern.
Her mit der Unterstützung!
Drei Monate und eine seltsame Verwandlung des Kindsvaters von Dr. Jekyll in Mr. Hyde später, hatte ich von jetzt auf gleich den Status „alleinerziehend“ inne. Das brachte mich im Zusammenhang mit der umstrukturierten Pyramide an den Rand der Erschöpfung: Kind, Arbeit, Haushalt, 24 Stunden Bereitschaft – dafür reichte mein Energiebudget nicht immer aus. Es gab Tage, da wünschte ich mir schon um 11.00 Uhr vormittags, es wäre bereits 19.30 Uhr und Katja würde schlafen.
Natürlich nahm ich jede Unterstützung meiner Eltern dankbar an, denn Katja war bestens aufgehoben und ich konnte schlafen und essen. Thomas, Katjas Vater, hatte ein paar Monate nach der Trennung wieder glaubhaft das Wesen von Mr. Hyde angenommen und ich war mir zu hundert Prozent sicher, dass er wenn überhaupt, dann mir an die Gurgel gehen, aber Katja niemals ein Haar krümmen würde. Deswegen wäre ich nicht im Traum darauf gekommen, irgendeines seiner ohnehin raren Angebote auszuschlagen, sich für ein paar Stunden um Katja zu kümmern.
Als er dann fast zwei Jahre nach unserer Trennung vorschlug, Katja alle vierzehn Tage für das ganzes Wochenende inklusive zweier Übernachtungen zu sich zu nehmen, sah ich goldene Zeiten auf mich zukommen. Und die ersten Mama-hat frei-Luxus-Wochenenden kostete ich von der ersten bis zur letzten Sekunde aus. Es war eine Wohltat, sich wieder auf Katja freuen zu können, anstatt die Betreuung teilweise als Belastung zu empfinden.
Doch dann gab es Anzeichen, dass die Basis meiner persönlichen Bedürfnispyramide wackelte. Katja ging es auf einmal nicht mehr gut! Wenn ich sie von Thomas abholte, weinte sie im Auto: „Ich hab so viel Heimweh gehabt. Wie die Vögel vom Barbapapa. Ich hab gedacht du kommst nie mehr wieder.“ Plötzlich musste ich so lange an ihrem Bett sitzen bleiben, bis sie eingeschlafen war; versuchte ich mich vorher in den Feierabend zu schleichen, schrie sie Mordio: „Mama, nicht weggehen. Du musst immer da bleiben!“ Nachts rief sie mehrmals nach mir und Händchen halten war angesagt, bis sie wieder für ein paar Stunden eingeschlafen war. Vor lauter Schlafmangel stolperten wir beide bald wie Zombies durch den Alltag. Sogar die Tagesmutter sprach mich besorgt an, weil Katja immer apathischer wurde.
Deswegen war mir vollkommen klar, dass das vierzehntägige Wochenend-Freiheitsparadies zugunsten von Katjas Wohlergehen noch ein bisschen warten muss und es besser ist, wenn Thomas sie nur tagsüber oder für nur eine Übernachtung zu sich holt.
Aus Rache kein Umgang?
Für Thomas kam das aber nicht in Frage. Seine Bedürfnispyramide war anscheinend eine andere. Die zwei Übernachtungen hatten Priorität. Er war der Auffassung, dass Kinder weinen, aber auch wieder aufhören. „Von deren Launen darf man sich nicht gängeln lassen, sonst kommt man in Teufels Küche. Genau da liegt nämlich das ganze Dilemma. Nur weil du auf ihr Weinen reagierst, veranstaltet sie überhaupt den ganzen Terror. Wärst du konsequent und würdest sie sich selbst überlassen, würde sie bald Ruhe geben.“, lautete seine Antwort. Und als er Katja eins abends nicht wie vereinbart nach Hause brachte und mir am Handy nur mitteilte, dass er gar nicht wisse, was er heute noch täte und ob er überhaupt zu sich nach Hause fahren würde, bekam ich es richtig mit der Angst zu tun? Ich war mir plötzlich überhaupt nicht mehr sicher, dass er Katja wieder heil zu mir zurückbringen würde. Deswegen sah ich mich gezwungen, den Umgang zu unterbrechen, bis er sich wieder zu unseren Vereinbarungen bekannte.
Aber anstatt mir das zu versichern, reichte er beim Amtsgericht den Antrag auf Umgangsregelung ein, in dem er genau das forderte, was wir eh vereinbarten hatten und woran er sich nicht gehalten hatte. Das bestätigte mich nur in meiner Annahme, dass er vorübergehend nicht ganz bei Sinnen ist und ich hoffte, das hohe Gericht würde ihm klarmachen, dass sich auch Väter an Regeln halten müssen.
Doch dort schloss man sich der Behauptung des Klägers an, ich würde den Umgang zwischen Vater und Kind aus Rache sabotieren wollen.
Das Bild von rachsüchtigen Müttern
Ja, ich war verletzt, als die Beziehung zwischen Thomas und mir bald nach der Geburt unserer Tochter Katja zerbrach und manchmal wünschte ich mir nichts sehnlicher, als ihm dabei zuzuwinken, wie er im Generationenraumschiff gen Mars flog. Denn ich fühlte mich aufs Schändlichste um das kleine Familienglück betrogen, welches ich mir so schön ausgemalt hatte. Aber niemals hätte sich daraus ein Rachegefühl entwickeln können, das mein großes Bedürfnis nach ein paar freien Stunden in diesem Round-the-clock-Job als Alleinerziehende hätte toppen können.
Einzig und allein die Angst um Katja ließ dieses Bedürfnis in den Hintergrund treten!
Trotzdem ist in unserer Gesellschaft genau diese Vorstellung von rachsüchtigen, umgangsverweigernden Müttern in den letzten Jahren arg in Mode gekommen. Auch kürzlich war sie wieder da, die Feststellung, dass eine Mutter ganz perfide an der Vater Tochter-Beziehung gesägt hat. Und zwar mit Erfolg! Der Regisseur Douglas Wolfsperger war bei Markus Lanz im ZDF eingeladen. Das Mitleid mit dem „entsorgten Vater“ war groß und Herr Lanz stellte fest, dass hier Manipulation des Kinds von Seiten der Mutter offensichtlich sei.
Ich stellte dagegen fest, dass ich keine Meinung dazu hatte. Ich kenne weder den Fall, noch Herrn Wolfsperger, noch seine Exfrau.
Kein Platz für Rache!
Ich weiß nur, dass in meiner Bedürfnispyramide niemals Platz für Rache war. Katjas Wohlergehen dagegen, ist mir auch heute noch – und wahrscheinlich für den Rest meines Lebens – das Allerwichtigste!
Vielleicht wäre für die Familienrichter und die Damen vom Jugendamt eine Fortbildung über den guten alten Maslow und seine Pyramide eine interessante Sache.
Titelbild: Donnie Ray Jones – Flickr – CC BY 2.0
Mehr bei EDITION F
Ein Brief an Paare mit Kindern, die sich trennen. Weiterlesen
Geld oder Liebe – So gelingt die gemeinsame Finanzplanung. Weiterlesen
Das Beste, was dir passieren kann? Ein Zwischenruf aus dem Leben mit Baby. Weiterlesen