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Weniger fordern, mehr erreichen – warum Führungskräfte ihr Team stärken, indem sie es loslassen

Schneller, höher, weiter: Der Effizienzdruck wird von Führungskräften oft an ihre Mitarbeiter*innen weitergegeben. Oder sie glauben daran, dass die Produktivität im Team steigt, wenn sie die Anforderungen regelmäßig steigern. Diese Heransgehensweise führt jedoch eher ins Burnout. Wie gelingt es besser?

Das Team im Blick

Mit Beginn des neuen Jahres stellen sich viele die Frage, wie sie ihre Aufgaben im Job, im Ehrenamt oder Zuhause besser organisieren können. Wo liegen die Knackpunkte? Muss ich mich mehr anstrengen? Brauche ich andere Prioritäten? Wie organisiere ich mein Team? Wie führe ich besser?

Für die einzelne Person ist es in der Regel einfacher, dabei nur auf sich selbst zu schauen, statt auf eine Gruppe von Menschen. Sich selbst kann man einfacher ändern als ein Team … oder nicht? Diese Herangehensweise ist zum einen fehleranfällig, da der Blick auf sich selbst eben nur eine Perspektive bietet, zum anderen kann sie vorhandene Sichtweisen verstärken. Menschen, die zu Selbstkritik neigen, sind dann mit sich strenger als sie es sein müssten, andere, die hingegen lieber Fehler bei anderen suchen, fokussieren sich darauf, wo Kolleg*innen härter arbeiten sollten. Wer nur auf sich oder auf andere schaut, landet zudem meistens bei der Idee, sich selbst oder eben die Arbeitsweisen der anderen schlicht optimieren zu müssen. Der Blick geht dann vor allem nach oben, statt auch zu den Seiten.

Doch das Mantra von „höher, schneller, weiter“ erreicht eben keine langfristigen Verbesserungen – weder für die einzelne Person, noch für die Gruppe. Kraftressourcen sind endlich und ein Team entwickelt man nur systemisch, also wenn man das Zusammenspiel der Mitglieder betrachtet und das Team insgesamt entwickeln möchte, statt jedes Teammitglied für sich. Gerade deswegen ist gute Teamführung so komplex und fordert die Führungspersonen umso mehr heraus, je größer und je vielfältiger ein Team wird. Zu guter Führung gehört mehr als jedes Teammitglied gut zu kennen und Einzelpersonen in der beruflichen Entwicklung stärken zu wollen – man muss in der Lage sein, die Dynamik des Teams zu verstehen, vorherzusehen und auch den eigenen Führungsstil immer wieder anzupassen und zu hinterfragen.

Warum „Leading bei example“ schiefgehen kann

Die Organisationspsychologin und Führungskräfte-Coach Merete Wedell-Wedellsborg beschreibt in einem Beitrag für die Harvard Business Review einen entscheidenden Schritt in der fachlichen Entwicklung einer Führungskraft, den diese machen sollte, um ihr Team langfristig zu entwickeln, für Zufriedenheit zu sorgen und die Mitarbeiter*innen damit davor zu schützen, in ein Burnout zu geraten: den Wechsel von „Ego-Drive“ zu „Co-Drive“.

Gerade junge Führungskräfte, so Wedell-Wedellsborg, machten ihre ersten Karriereschritte durch hohes Engagement im Job. Sie setzten sich hohe persönliche Ziele, hätten viel Energie und würden stets die berühmt-berüchtigten „150 Prozent“ geben. Ihr bisheriger Erfolg beruhe also vor allem auf den eigenen Leistungen und ihrem eigenen Antrieb. Sofern genau diese Dinge bislang die Karriere vorangetrieben hätten, neigten diese Führungskräfte dazu, sich selbst als Vorbild zu sehen und zu glauben, sie könnten andere mit ihrer Energie und ihrem Biss dauerhaft anstecken. Sie machten dann ihr eigenes Erfolgsrezept zu ihrem Führungsstil.

Diese Annahme ist ein Fehler. Denn das so genannte „Leading by example“ birgt die Gefahr, dass man dabei zum einen selbst an die eigenen Grenzen geht und sich erschöpft, weil man alle Kraft und Inspiration aus sich selbst ziehen will, zum anderen kann dieser Führungsstil nicht auf unterschiedliche Bedürfnisse im Team eingehen. Zudem kann Führungskraft, die stets energiegeladen ist, mitunter sogar Verwirrung im Unternehmen stiften, da nicht mehr klar ist, zu welchem Zeitpunkt die Mitarbeiter*innen tatsächlich alles geben sollten und wann wiederum ruhig und routiniert gearbeitet werden könne.

Vielleicht kennen Sie diese Chef*innen, die vor Ideen sprühen, bei denen alles dringend und wichtig ist und selbst bei Aufgaben, die mehr Zeit haben oder diese Zeit gut gebrauchen könnten, Druck erzeugen. Diese Führungskräfte haben nicht nur ein Problem darin, Prioritäten zu setzen und zu kommunizieren. Damit, dass sie „Energie versprühen“ mit „Druck und Dringlichkeit erzeugen“ verwechseln, erschöpfen sie schließlich ihre Mitarbeiter*innen bis hin zum Burnout. Tatendrang kann ansteckend sein, aber auf Dauer bewirkt er als Instrument der Führung das Gegenteil, zu diesem Schluss kommt auch Wedell-Wedellsborg in ihrem Text.

Vom „Ego-Drive“ zum „Co-Drive“

Junge Talente müssen ihre Fähigkeiten ständig unter Beweis stellen. Das macht es mitunter schwer, in die nächste Phase der beruflichen Entwicklung zu wechseln, bei der es nicht mehr vordergründig um sich selbst geht und man nicht mehr allen beweisen muss, gut zu sein. Das Konzept „Co-Drive“ erfordere nun, so die Organisationspsychologin Wedell-Wedellsborg, dass man sich selbst für einen Moment vergesse und sich dafür voll und ganz den Mitarbeiter*innen widme. Die sogenannte „Executive Maturity“, also die Reife einer Führungskraft, sei unter anderem dann erreicht, schreibt sie, wenn es den Personen vor allem darum gehe, andere dabei zu unterstützen, sich zu entwickeln und ihre Aufgaben gut zu machen, statt sich um die eigene Entwicklung zu kümmern. Das bedeutet also: Gute Führungskräfte sollten ihren Mitarbeiter*innen die Weiterentwicklung ermöglichen und müssen dafür loslassen können.

Für den Co-Drive müssen Führungskräfte also verstehen, dass sie nicht selbst  permanent das Tempo vorgeben, sondern ihr Team befähigen müssen, einen eigenen Antrieb zu entwickeln. Der*die Chef*in ist nicht der Motor, das Team „fährt“ von selbst. Das Paradox ist also: Indem man sich selbst zurücknimmt, kann das Team Fortschritte machen. Wer sich also wundert, warum Mitarbeiter*innen trotz Micro-Management keine Fortschritte machen oder schneller arbeiten, könnte hier einen Ansatz gefunden haben: Übertriebene Kontrolle und Eingriffe in die Arbeit können ein Team hemmen, selbst dann, wenn man denkt, man wollte das Team doch eigentlich nur motivieren und deswegen täglich eine E-Mail schreibt, die die Bedeutung des Projekts betont. Zum einen reagieren Mitarbeiter*innen auf Micro-Management oft genervt, da sie das Gefühl bekommen, ihnen werde nicht vertraut, zum anderen, so führt es Wedell-Wedellsborg aus, könne ein Team abhängig werden von der Präsenz der Führungskraft.

Das Team befähigen, sich selbst zu führen

In der Praxis könnte das so aussehen: Ein Team wird also aktionistisch, wenn der*die Vorgesetzte etwas fordert oder da ist, die Phasen der Abwesenheit nutzt das Team dann zur Erholung, weil es das Führungsverhalten tatsächlich als anstrengend erlebt. Auf diese Art und Weise kann ein Team nicht lernen, sich selbst zu führen und auch dann gut zu arbeiten, wenn die Führungskraft nicht ansprechbar ist. Co-Drive bedeutet also auch, dass man als Vorgesetze*r darauf hinarbeiten muss, entbehrlich zu sein und auch Entscheidungen zu delegieren. Wer entbehrlich sein möchte, muss folglich die eigenen Mitarbeiter*innen so weiterbilden, dass sie verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen können und das notwendige Wissen mit ihnen teilen. Dass Führungskräfte versuchen, sich über ihr Wissen abzugrenzen und es nicht zugänglich machen, zeigt also, dass sie eher am Ego orientiert sind als am langfristigen Erfolg des Teams.

Während Führungskräfte zwar nicht darauf beharren sollten, alle Entscheidungen selbst zu treffen, macht Wedell-Wedellsborg in ihrem Konzept klar, dass Co-Drive sich jedoch vom klassischen Verständnis der Team-Arbeit unterscheidet und keinesfalls bedeute, lediglich intelligent zu delegieren. Sie versteht Co-Drive auch als Etablierung von mehr gemeinsamen Entscheidungen im Team, was auch mehr Meetings bedeuten könne, aber vor allem offene Herangehensweisen an mögliche Lösungswege und das Zulassen von konstruktiver Kritik – auch bezüglich Ideen und Verhaltensweisen der Führungspersonen. Man kann ihre Ausführung also so verstehen, dass Führungskräfte ihr Team auf der einen Seite „laufen lassen“ sollten, zu Co-Drive jedoch auch gehört, wieder mehr Teil des Teams zu werden und demokratischer zu führen, statt top-down. Was die Organisationspsychologin hier als Co-Drive beschreibt, findet sich in vielen Konzepten zeitgemäßer Führung bzw. ihren Schlüsselfaktoren: Weniger Ego, Offenheit für Kritik, mehr Vertrauen in und mehr Mitsprache für Mitarbeiter*innen sowie Unterstützung bei ihrer beruflichen Entwicklung.

Mit weniger mehr erreichen

Führungskräfte, die es schaffen loszulassen und ihr Team befähigen, eigenständig zu arbeiten, werden nicht nur feststellen können, dass ihre Mitarbeiter*innen insgesamt besser arbeiten und zufriedener werden, sondern auch selbst erleben, dass sie die Freiheit, Energie und Zeit zurückgewinnen, die sie für ihre Führungsaufgaben brauchen. Um als Führungskraft möglichst gut zu arbeiten und das Unternehmen weiterzubringen, ist also mehr Druck auf sich und andere, vor allem der dauerhafte, der falsche Weg. Wer mehr erreichen will, sollte immer wieder darüber nachdenken, an welchen Stellen er*sie weniger machen möchte und wie man Mitarbeiter*innen so entlasten kann, dass sie ihre Energie dort einsetzen, wo es wirklich wichtig ist.

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