Foto: Flickr | www.GlynLowe.com | CC BY 2.0

Erklärt es mir: Warum wählen so viele junge Frauen CDU?

Als letzte Partei hat am vergangenen Wochenende die Union ihr Wahlprogramm vorgestellt. In ihrer Politikkolumne hat Helen sich auf die Suche nach Gründen gemacht, warum junge Frauen diese Partei wählen sollten. Ob sie welche gefunden hat …

Was steckt im Wahlprogramm der Union? 

Warum sollen junge Menschen und speziell junge Frauen die CDU wählen? Eigentlich könnte diese Kolumne auch schon wieder vorbei sein, denn eine Partei, bei der 225 von 309 Abgeordneten am vergangenen Freitag mit „Nein” gegen die Ehe für alle gestimmt haben (von denen eine die ach so fortschrittliche Kanzlerin war), ist für mich eigentlich schon wegen dieser diskriminierenden Haltung unwählbar. Oder um die junge, österreichische Journalistin Hanna Herbst auf Twitter zu zitieren: „Es ist für mich wirklich ein großes Rätsel, wie man in derselben Welt aufgewachsen ist wie ich und gegen die #Ehefüralle sein kann.”

Die Realität ist nun aber einmal, dass junge Frauen häufig die CDU wählen. Bei der Bundestagswahl 2013 stimmten 44 Prozent der wahlberechtigten Frauen für die Union. Und Spiegel Online zeigte in einer Umfrage im Januar 2017, dass 39 Prozent der befragten Frauen (dagegen 35,1 Prozent Männer) und 32,8 Prozent der 18- bis 29-Jährigen sowie 39,1 Prozent der 30- bis 39-Jährigen ihr Kreuz für die Kanzlerin machen würden. 2013 war die CDU/CSU stärkste Partei unter den Erstwählern. Sie ist also nicht nur Partei der Rentner, sondern anscheinend auch hoch im Kurs bei jungen Frauen. Warum ist das so? Kann das am Wochenende vorgestellte Programm „für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben” Antwort geben?

Die Kernthemen, die schon vor Vorstellung des Programms am Montag durchsickerten: niedrigere Steuern, höhere Kinderfreibeträge und mehr Polizisten (15.000) für die innere Sicherheit. Außerdem haben Merkel und Seehofer gemeinsam das Ziel gesetzt, bis 2025 (also dem Ende der übernächsten Legislaturperiode) die Vollbeschäftigung, was faktisch eine Arbeitslosenquote von unter drei Prozent bedeutet, zu erreichen. Dafür müsste die derzeitige Erwerbslosigkeit von circa fünfeinhalb Prozent noch einmal halbiert werden. Die Union verspricht also Wohlstand und Sicherheit für alle. 2021 soll es den Menschen besser gehen als jetzt. Klingt nett – das Wahlprogramm liest sich aber doch eher wie eine richtig gute Runde Bullshit-Bingo für Minijobber ( <3 Peter Tauber), Alleinerziehende, Kinder von Migranten und Geflüchteten:

Das große Überschriften-Bullshit-Bingo 

„Gute Arbeit auch für morgen – Vollbeschäftigung für Deutschland”: Ja liebe Minijobber, da ihr ja selbst schuld seid, weil ihr nichts Ordentliches gelernt habt, freut euch doch darauf, dass die Union ihr Erfolgskonzept im Sinne einer weiteren schwarzen Null fortführen wird. Fast zwei Drittel aller Minijobber sind Frauen (laut einer Bertelsmanns-Studie aus dem Jahr 2012 waren es damals 63 Prozent). Das Arbeitsmarktprogramm der Union kann also eigentlich nicht der Grund sein, warum junge Frauen oft die CDU wählen.

„Familien und Kinder im Mittelpunkt – Familie entlasten”: Ja liebe Alleinerziehende, start to think big, mit der Union an der Spitze könnt ihr euch auf 25 Euro mehr Kindergeld freuen. Eure existenziellen Ängste gehören dann also endgültig der Vergangenheit an. Darüber hinaus will die Partei, die laut Wahlprogramm das Unterhaltsvorschussgesetz reformiert hat (Bundesfinanzminister Schäuble, CDU, stemmte sich lange dagegen), aber auch noch die „gesellschaftliche Wertschätzung für Familien verbessern” und extra nur für euch Beratungsmöglichkeiten schaffen, damit ihr dann noch irgendwann zurück in den Beruf finden könnt. Ein bisschen Beratung, schon ist er da, der Traumjob … oder nicht? 89 Prozent der Alleinerziehenden sind Frauen. Wählen die wirklich eine Partei, deren beste Antwort auf ihre oft prekäre Situation, ein Beratungsangebot zum Wiedereinstieg in den Beruf ist? 

„Menschen in Not helfen, Migration steuern und reduzieren, abgelehnte Bewerber konsequent zurückführen”: Keine Sorge, liebe Geflüchtete, wenn ihr also wirklich aus einem ganz, ganz schlimmen Kriegsgebiet (nur vielleicht nicht Afghanistan) kommt, dann seid ihr hier total willkommen – zumindest temporär. Aber so richtig migrieren ist dann doch eigentlich schon eher schwierig – außer ihr seid so richtige Fachkräfte, für euch hat sich die Union sogar ein ganz eigenes Gesetz überlegt, das „Fachkräfteeinwanderungsgesetz”. Ansonsten gilt bei der Union allerdings: „Eine Einwanderung in die sozialen Sicherungssysteme lehnen wir ab.” Man kann nur wiederholen: Menschen flüchten nicht ohne Grund – doch statt sich mit den Ursachen zu befassen, spricht das Programm der CDU von den „menschenverachtenden Aktivitäten der Schleuser“. Doch was man nun im Wahlprogramm der Union liest, trägt zur Stigmatisierung von Geflüchteten und Migranten bei und liest sich an vielen Stellen verachtend. Gerade als Teil einer Generation, die mit allen Vorteilen offener Grenzen aufgewachsen ist, trägt man eine Verantwortung denjenigen Menschen gegenüber, die unseren Schutz brauchen. 

Generationenschnitt für die doppelte Staatsbürgerschaft 

Und dann noch ein bayrisches Schmankerl für alle Kinder von Migranten: Nach dem ihr nun euer ganzes Leben in diesem Land strukturell benachteiligt worden seid, immer wieder Alltagsrassismus ausgesetzt seid und euch immer und immer wieder die Frage anhören müsst: „Wo kommst du eigentlich her, also wirklich?” findet die CDU/CSU nun reicht es mit der doppelten Staatsbürgerschaft auch wieder. Im Wahlprogramm fordert sie deshalb einen sogenannten „Generationenschnitt”, der euch zwingt, euch für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden. Wer wissen will, wie sich das anfühlt, wenn man einen Teil seiner Identität abgeben soll, kann sich bei Deutschland 3.000 ein super Video dazu anschauen.

Ok, hier wird es knifflig, denn junge Frauen sind nicht gleich weniger rassistisch als junge, mittelalte und alte Männer. Da kommen wir eher zu meinem Ausgangspunkt zurück: Ich kann nicht verstehen, dass Menschen meiner Generation, die unter solch privilegierten Voraussetzungen groß geworden sind, tatsächlich eine Politik der Abschottung und Abschiebung wählen. Haben so viele junge Frauen Angst vor Privilegienverlust und ein Sicherheitsbedürfnis, das sie über Menschlichkeit stellen würden?

Wenn man sich das CDU-Wahlprogramm anschaut, finden sich tatsächlich ein paar brauchbare Punkte, die hier  nicht unerwähnt bleiben: 5 Milliarden Euro sollen in die Digitalisierung von Schulen gesteckt werden und 1,5 Millionen Wohnungen sollen in den nächsten vier Jahren gebaut werden. Ob Geringverdiener und Familien sich diese allerdings leisten können werden, bleibt offen. Familien, die selber Wohneigentum bauen, sollen allerdings bis zu zehn Jahre lang 1.200 Euro pro Jahr und Kind „Baukindergeld” erhalten.

Ansonsten soll die Bundeswehr gestärkt werden (mehr Bundeswehr, aber kein Wort zur Aufarbeitung der rassistischen Strukturen innerhalb) und es soll keine Steuererhöhungen geben (was die Union von SPD, Linken und Grünen unterscheidet). Außerdem soll die verdachtsunabhängige Schleierfahndung (Hi, Alltagsrassismus) ausgebaut werden. Alles im allen bleibt alles, so wie es ist – nur besser oder so ähnlich …

Ein Wahlprogramm für (junge) Frauen sieht anders aus 

Der CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat mit seinem Tweet zu Minijobbern in den letzten Tagen viel negative Kritik einstecken müssen – allerdings nicht von seiner eigenen Partei. Bei der Betrachtung des Wahlprogramms denke ich mir, eigentlich hat er nichts anderes gemacht, als das Wahlprogramm kurz und knackig zusammenzufassen.

Warum sollten junge Frauen die CDU wählen? Im Wahlprogramm wird uns ein ganzer Abschnitt gewidmet: „Frauenpolitik weiter stärken”. Mehr als eine Überschrift haben wir dann aber doch nicht verdient, denn konkrete Vorhaben werden in diesem Punkt nicht angekündigt. Warum also wählen junge Frauen die CDU? Reicht es, dass die Partei eine Frau an der Spitze hat? Sind viele junge Frauen schon zufrieden damit, wenn einige wenige Frauen es nach ganz oben schaffen können, ohne sich dabei aus dem Sicherheitsnetz der traditionellen Familien- und Gesellschaftsmodelle befreien zu müssen? Denn auch das muss festgehalten werden, für junge heterosexuelle deutsche Frauen, die ein klassischen Familienmodell leben wollen, bietet die aktuelle Politik der Union ein gewisses Sicherheitsnetz – zumindest bis zur Scheidung. Die Politik der Union widerspricht sich in sehr vielen Punkten mit meinem Verständnis der Sozialisation, Lebensrealität und Verantwortung junger Frauen.

Der 26-jährige Jungstar der CDU, Diana Kinnert, verkörpert vielleicht genau diesen Widerspruch. Sie ist jung, homosexuell, für die Legalisierung von Cannabis und setzt sich für den Umweltschutz ein. Trotzdem wählt sie nicht nur die CDU, sondern ist sogar aktives Parteimitglied. In einer Partei, die gerade mit 225 Abgeordneten dagegen gestimmt hat, dass sie selbst einmal heiraten dürfen soll. Warum ist Diana Kinnert, warum ist jemand wie Jenna Behrends, die sich öffentlich gegen den Sexismus innerhalb der Berliner CDU wehrte, Politikerin in dieser Partei, warum wählen so viele junge Frauen die CDU? Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Bitte erklärt es mir.

Titelbild: Flickr | www.GlynLowe.com | CC BY 2.0

 

Mehr bei EDITION F

Die SPD-Führung 2017: Willkommen im Herrenclub. Weiterlesen

Fragen einer jungen Wählerin: Wie viel Gerechtigkeit steckt im SPD-Wahlprogramm? Weiterlesen

Bundestagswahlkampf: Ist die CDU noch einzuholen? Weiterlesen

Anzeige