Rassismus in Deutschland gibt es nicht? Von wegen. Dominik Lucha sammelt und teilt die Geschichten Betroffener.
„In der 7. Klasse hatten wir in Biologie das Thema ‚Gene‘ und wie dominant diese sein können. Meine Lehrerin hat mich als Beispiel genommen und mir gesagt, dass man Kinder wie mich – die halb afrikanisch sind – ‚Bastarde‘ nennt. Und da ich dazu ein uneheliches Kind bin, sei ich ein ‚doppelter Bastard‘. Sie hat dann gelächelt und das vor der ganzen Klasse. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte und hab einfach nichts gesagt. Bis heute beschäftigt mich das.“
Es sind Geschichten wie diese, die oft nicht sichtbar werden, weil niemand sie erzählt. Weil von Rassismus betroffene Menschen, wie der- oder diejenige hinter dieser Geschichte, sie vor Angst oder Scham verschweigen und weil Beteiligte es meistens ebenso wenig thematisieren. Das zumindest ist das Feedback, das Dominik Lucha von vielen zu seinem kürzlich geschaffenen Instagram-Account „Was ihr nicht seht“ erhält. „Schwarze Menschen und People of Color reden nicht oft über Rassismus“, sagte er im Gespräch mit jetzt. „Auch wenn dein bester Freund Schwarz ist, kann es sein, dass du davon nichts erfährst. Weil er die Erfahrungen einfach in sich hineinfrisst.“
Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd und der dadurch entfachten Debatte fragte der 29-jährige Student Freund*innen ganz gezielt nach ihren Rassismuserfahrungen. Weil sich so viele meldeten, startete er vor einigen Wochen den Instagram-Account „Was ihr nicht seht“, um diese unsichtbaren, aber alltäglichen Rassismuserfahrungen sichtbar zu machen.
Fast 80.000 Menschen folgen dem Account
Innerhalb weniger Tage folgten etliche Menschen den Account und teilten die Posts, mittlerweile hat er fast 80.000 Follower*innen. Dominik Lucha postet dort nicht mehr nur die Geschichten seiner Freund*innen, sondern die aller möglicher Menschen, die ihm auf Instagram schreiben. Mittlerweile bekommt er etliche Zuschriften, mehr als 100 Posts wurden schon veröffentlicht.
„Dafür gehen im Moment die Nächte drauf“, verrät er in einem Interview mit dem Tagesspiegel. Dabei befindet sich der Medienmanagement-Student gerade eigentlich im Endspurt seiner Masterarbeit. Unter den Posts finden sich Sätze wie „Woher kommst du wirklich?“ und „Sie können aber gut Deutsch“, aber auch die Geschichten von aggressiven, zutiefst rassistischen Angriffen. Teil dieser Geschichten sind oft auch diejenigen, die Zeug*innen des rassistischen Ereignisses werden – aber keine Stellung beziehen.
Alltagsrassismus sichtbar machen
„Ich möchte mit ,Was ihr nicht seht‘ einen Ort schaffen, an dem sich zum einen Menschen mit ihren rassistischen Erlebnissen nicht alleine fühlen“, sagt er in einem Erklärvideo auf Instagram. „Zum anderen sollen alle verstehen, dass es diese Erlebnisse gibt. Ich möchte die Realität des täglichen Rassismus zeigen. Damit die Menschen, die davon nicht betroffen sind, bewusster durch die Welt gehen, damit sie sich selbst hinterfragen, damit sie ihre Umwelt aufmerksamer betrachten und damit sie ihre Kinder antirassistisch erziehen.“ Denn, so Dominik Lucha: Es reicht nicht zu sagen, man sei kein*e Rassist*in. „Wir müssen zu Antirassisten werden.“
Der Originaltext von Laura Dahmer ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.