Ist mein Sexleben eigentlich frei? Wie finde ich heraus, auf was ich eigentlich stehe? Und wie lege ich die lästigen Schamgefühle dabei ab? Unsere Autorin Katharina Rein weiß: Wenn wir guten, selbstbestimmten Sex haben wollen, müssen wir darauf unsere ganz individuellen Antworten finden. Wie sie zu freierem Sex gefunden hat, erfahrt ihr in der Kolumne.
Dass der Weg zu freiem Sex nicht einfach ist, sich aber lohnt, zeigt eine Umfrage der sexpositiven Erotik-Community JOYclub. So ist die sexuelle Entwicklung für zwei von drei Frauen besonders wichtig – und nicht nur das: Sie lässt Frauen auch selbstbewusster lieben und befreit von alten Denkmustern.
Doch was ist der zentrale Grund für die Unfreiheit? – Zum Teil ist sie sicher der Intoleranz der Gesellschaft beim Thema Sex und dem damit einhergehenden Schamgefühl geschuldet.
Mir persönlich stand lange Zeit eher die Angst vor der Intoleranz meiner Sexpartner als die der Gesellschaft im Weg. Bis Anfang 20 drehten sich meine Gedanken beim Sex vor allem um eins: die Performance für mein Gegenüber. Kein Wunder, schließlich bestanden meine Referenzen dafür, wie Sex auszusehen hat, zum Großteil aus Mainstream-Pornos, in denen auch heute noch fast ausschließlich die Lust von Männern inszeniert wird. Die Stimme in meinem Kopf war so mächtig wie der Druck, den ich spürte: Gefällt dem Typ, was ich gerade mache? Bin ich sexy genug? Oh mein Gott, was, wenn mir gleich die Puste ausgeht?
Ich war experimentierfreudig und bediente doch nur die Lust der anderen, aus Angst davor, abgelehnt zu werden.“
Katharina Rein
Meinen Sexpartnern ging es ähnlich, was die Sache nicht gerade besser machte. Hartes Gerammel in Brezelstellungen ohne Sinn und Verstand, Analsex ohne jegliches Vorspiel (oder gar Gleitgel!) – you name it, I’ve been there. Grenzen kommunizieren? Raum für die eigene Lust schaffen, verstehen und einfordern, was ich möchte? – Leider Fehlanzeige.
Damals spürte ich, dass etwas verdammt schief läuft. Ich war experimentierfreudig und bediente doch nur die Lust der anderen, aus Angst davor, abgelehnt zu werden. Was fehlte, war der Zugang zu mir selbst, zu meinen Bedürfnissen. Und das Selbstbewusstsein, genug Raum einzunehmen, um Sex auf Augenhöhe zu haben.
Ein entscheidender Faktor für meine persönliche Entwicklung zu freierem Sex war das Eintauchen in die sexpositive Community. Zuerst auf Partys in einschlägigen Berliner Clubs wie dem KitKat, später online im JOYclub, dem größten deutschen Erotikportal, bei dem ich, mit kurzen Pausen, mittlerweile seit sieben Jahren aktives Member bin. Hier traf ich zum ersten Mal auf Menschen, die sich ohne Zwang in einem geschützten Raum begegneten und sich in Foren und Chats offen über ihre Vorlieben und Kinks austauschten. Es ging klar um Sex und doch stand plötzlich nicht mehr die Performance für andere im Mittelpunkt, sondern das, was ich erleben und lernen wollte oder eben nicht wollte.
Obwohl ich meine Grenzen in dieser neuen Umgebung intensiver austestete, gab es weniger Grenzüberschreitungen als davor, weil ich meine eigene Stimme gefunden hatte. Nicht nur online, sondern auch offline.”
Katharina Rein
Egal wie ausgefallen oder „tabu“’. Auf dem eigenen Profil, wo man die sexuellen Vorlieben in Kategorien wie „Steh ich drauf“ über „Geht gar nicht“ bis „Möchte ich ausprobieren“ deutlich machen kann. Oder im Date-Bereich, der es Mitgliedern erlaubt, Fantasien in konkrete Gesuche zu verwandeln, um gleichgesinnte Sexpartner*innen zu finden. Männer, Frauen, queere Menschen, zu zweit, zu dritt, in Gruppen, von Fetisch bis „Vanilla“: Grenzen setzen hier nur die eigene Kreativität – und die Communityregeln. Das erste Mal auf so ein Gesuch antworten oder gar selbst eins aufgeben? Für mich eine sehr empowernde Erfahrung.
So traf ich zum Beispiel auf T., mit der ich als Geburtstagsüberraschung für ihren Freund eine heiße Nacht zu dritt im Hotel verbrachte. Oder auf H., mit dem sich aus einem Sextreffen im Whirlpool eine ebenso intensive wie unkomplizierte Freundschaft+ entwickelte, die bereits über ein Jahr andauert.
Obwohl ich meine Grenzen in dieser neuen Umgebung intensiver austestete, gab es weniger Grenzüberschreitungen als davor, weil ich meine eigene Stimme gefunden hatte. Nicht nur online, sondern auch offline. Und nicht zuletzt deshalb, weil JOYclub einen möglichst sicheren Space für alle schafft und im Magazin, in Livestreams und Online-Kursen zu diversen Themen rund um Sex, Konsens, Fetisch, Erotik und Beziehungen aufklärt. So kommen beispielsweise Fotos, die in Chats gesendet werden, verschlüsselt an und Member entscheiden selbst, was sie sehen möchten.
Am Ende muss Jede*r für sich selbst herausfinden, was dabei hilft, sich von gesellschaftlichem Druck, Intoleranz und Schamgefühl zu emanzipieren und wie weit er*sie beim Entdecken der eigenen Sexualität gehen möchte. Meine Faustregeln für freieren Sex: Mehr darüber reden, was Lust macht, immer auf das eigene Bauchgefühl hören und sich nicht von anderen beirren oder drängen lassen. Denn Sex ist nur dann wirklich frei, wenn du dich wohlfühlst.