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Zugenäht, aber ohne Trost – über den Schmerz, mein Kind durch eine Eileiterschwangerschaft zu verlieren

Unsere Chefredakteurin Teresa ist mit ihrem zweiten Kind schwanger, als sie nachts mit unerträglichen Schmerzen in die Notaufnahme muss – in dieser Nacht verliert sie nicht nur ihr Baby, sondern auch den Glauben daran, in einer emotionalen Grenzsituation im Krankenhaus gut aufgehoben zu sein.

Eine verirrte Schwangerschaft

„Mama, du hast da lila“, sagt meine zweieinhalbjährige Tochter, die neben mir im Badezimmer steht und fröhlich mit ihrer Zahnbürste im Mund herumhüpft. Seit vier Wochen verfärbt sich der Bluterguss, der meinen Schambereich kurz nach der Operation nahezu komplett in ein fast schwarzes Lila getaucht hatte, nur langsam in ein zarteres Violett. Mein blasser Hautton hellt es nach und nach auf, es hat sich an seinem oberen Rand schon zu einem Gelbgrün verfärbt. Mit den roten Schamhaaren, die im Krankenhaus, als ich schon in Narkose lag, nur auf der rechten Seite komplett rasiert wurden, bildet das Ganze ein eigenartiges Farbfeuerwerk, das meine Tochter so sehr fasziniert, dass sie es jeden Tag anschauen will: „Kann ich dein Lila sehen?“

Mich hingegen schmerzt die Schwellung so sehr, dass ich im Auto, mit dem wir durch Sizilien fahren, 14 Tage nachdem mein Eileiter platzte, die Zähne zusammenbeißen muss, da die leichten Erschütterungen kein angenehmes Vibrieren erzeugen, sondern mein kompletter Schoß wehtut. Meine Tochter schläft stets fünf Minuten, nachdem sie in den Kindersitz geklettert ist, ein. Sie erinnert die Fahrt an ihre Zeit im Bauch und im Kinderwagen, wenn er über die holprigen Berliner Bürgersteige fuhr. Ich beiße die Zähne zusammen, während ich mir die karge Spätsommerlandschaft anschaue.

Seitdem meinem zweiten Kind der Eileiter, indem es sich eingenistet hatte, zu klein geworden ist, bestehe ich nur noch aus Schmerzen. Erst nur mein Bauch, jetzt der ganze Mensch. Die Trauer über das abrupte Ende der Schwangerschaft, von der wir etwa zwei Wochen wussten, kommt und geht in Wellen, wie Wehen, nur ohne Ziel. Das medizinische Wissen, das ich an dem Tag mit ein paar Suchanfragen aus dem Internet gesaugt hatte, war in meinem Fall wortwörtlich Segen und Fluch zugleich. Ich hatte die Vorahnung, als die ersten Krämpfe kamen, als ich mit dem Fahrrad nach der Mittagspause in der Augustsonne zurück ins Büro fuhr. „Bitte keine Fehlgeburt“, dachte ich, und ging hastig zur Toilette, nur um zu sehen, dass kein Blut floss. Ich verdrängte die Schmerzen und die Angst.

Am Morgen danach geht es mir nicht gut. Ich bringe meine Tochter zur Kita, radele ins Büro und kann mich nicht konzentrieren.

„Was, wenn es wirklich eine Eileiterschwangerschaft ist? Aber ich blute doch nicht. Dehnen sich die Mutterbänder beim zweiten Kind eher?“

Mittags habe ich das Gefühl, nicht mehr bei mir zu sein, mir ist schummrig. Klar, die Schwangerschaftsmüdigkeit, tröste ich mich noch einmal. Dieses Mal habe ich sie wohl doch. Ich fühle mich schlapp und sage meinen Kolleginnen, dass ich Kreislaufprobleme habe. Das ist das erste Mal in fast zehn Jahren Beruf, dass ich wegen Kreislaufproblemen das Büro verlasse. So etwas bekomme ich doch nicht! Ich bin sportlich, ich esse gesund, ich bin selten krank und gehe gern an meine Grenzen. Heute geht es nicht. 24 Stunden später werde ich über mich selbst denken und beinahe lachen, um der Situation den Ernst zu nehmen: „Das erste Mal, als du wegen Kreislaufproblemen aus dem Büro gegangen bist, war es, weil du innere Blutungen hattest.“ Vielleicht wäre ich lieber dramatisch zusammengebrochen. Vielleicht hätte ich dann nicht die ganze Nacht in der Notaufnahme verbracht, ohne dass nur ein einziges Mal ein Arzt vorbeikam.

Nachdem ich das Büro verlassen habe, schiebe ich den Gedanken, das Baby könne mir wehtun wollen, weiter weg. Meine Frauenärztin hat schon geschlossen, auf dem Weg nach Hause googele ich die Gynäkologiepraxen in der Nachbarschaft und entscheide mich aus einer Mischung aus Scham, Angst und Sturköpfigkeit dagegen, eine fremde Ärztin aufzusuchen. Ich googele noch ein bisschen und habe ein schlechtes Gefühl. Am frühen Abend sind die Schmerzen wieder fast weg, mit großer Anstrengung unter meinem Wunsch vergraben, dass es dem winzigen Embryo gut gehen möge. Mein Freund kommt, massiert mich, vielleicht wird doch alles gut. Irgendwann schlafe ich ein. Das Stechen im Bauch weckt mich kurz vor zwei. Ich bin tough. Ich bin entschlossen, auch diese Sache durch Willensstärke und Schmerztoleranz aus der Welt schaffen zu können. Zwanzig Minuten schaffe ich das, ich gehe zur Toilette – kein Blut – wecke meinen Freund und sage: „Wir müssen in die Notaufnahme fahren.“ Er weiß: Wenn Teresa von sich aus ins Krankenhaus will, dann ist es wirklich ernst. Wir ziehen uns an, ich werfe eine Wasserflasche, ein Knoppers und ein Ladegerät in meine Tasche und wir rufen ein Taxi.

Der Verdacht

Gleich in der ersten Notaufnahme sage ich: „Ich bin schwanger und ich glaube, es könnte eine Eileiterschwangerschaft sein.“ Sie schicken uns weg, das Krankenhaus hat keine Gynäkologie. Die Fahrt bis zum Virchow-Klinikum kommt mir endlos vor, das Gelände ist nachts so verlassen und dunkel, dass das Setting anmutet, als beginne gleich ein Horrorfilm in einem Krankenhaus. Als wir die Notaufnahme finden, die nicht an der Frauenklinik ist, wo der Taxifahrer uns abgesetzt hat, müssen wir über eine Sprechanlage unser Anliegen schildern, dann bittet uns jemand herein. Ich soll in einen Becher urinieren, für einen Schwangerschaftstest. Da ich seit ein paar Stunden nichts getrunken habe, ist allein das schwierig, zudem habe ich Schmerzen – und ich bin sehr sicher, schwanger zu sein. Zwei Wochen ist es her, dass ich drei oder vier positive Tests in der Hand hatte. Mein Körper sagt mir zudem, dass ich schwanger bin.

Ich werde wieder raus in den Wartesaal zu meinem Freund geschickt. Draußen ist es stockdunkel. Mit uns wartet eine ältere Frau, deren Mann drinnen behandelt wird. Ich werde nach einigen Minuten wieder hereingerufen zum Blutdruckmessen, der Pfleger fragt mich, ob ich mich wieder setzen will oder liegen, und ich will liegen, eigentlich will ich vor allem einen Arzt, der mir sagt, dass ich irgendetwas habe, mit dem ich und das Kind lebend das Krankenhaus verlassen. Ich muss zwei Mal fragen, damit mein Freund von außen zu mir gelassen wird. Ich sitze auf einer Liege im Flur, mein Freund steht neben mir. Ein verwirrter, alter Mann ruft mit heiserer Stimme alle 45 Sekunden um Hilfe und wird vom Personal weitgehend ignoriert. Es sind wenige Patienten in der Notaufnahme, wenig Personal, niemand wirkt gestresst, außer den alten Patienten, die nicht einordnen können, wo sie sind und was passiert.

Sechs Stunden lang warten

Ich weiß sechs Stunden lang nicht, was passiert, außer, dass die Schmerzen kaum zu ertragen sind. Als würde mir ein scharfes Messer in den Bauch gestoßen und dann ein paar Mal herumgedreht. Im Gegensatz zu Wehen gibt es keine regelmäßigen Pausen, die Mischung aus Schmerz, Stress, Schlafmangel, Angst und das schlechte Gefühl, das ein Ignoriert-werden in einer medizinischen Notlage erzeugt, führen mehr und mehr dazu, dass mir übel wird. Mein Freund fragt am Schwesternzimmer immer wieder nach, wann ein Arzt käme, und wird vertröstet. Der Gynäkologe operiere, heißt es gegen halb vier, es gäbe keinen zweiten Arzt. Irgendwann schicke ich meinen Freund wieder nach vorn, um nach einem Schmerzmittel zu fragen. Niemand hat in der Zeit, in der wir da sind, mich irgendetwas gefragt oder mir etwas angeboten. Als der Pfleger mit meinem Freund zurückkommt, übergebe ich mich das erste Mal von der Liege auf den Fußboden, weil die Schmerzen kaum noch auszuhalten sind. Meine Kotze bleibt dort, bis ich ein paar Stunden später abgeholt werde. Das Schmerzmittel bekomme ich wortlos an den Arm gehangen, zwei Stunden später, als die Schmerzen wieder so stark werden, dass ich kaum noch kann, bekomme ich noch mal etwas, keine Ahnung, was.

Die Gewissheit, dass ich dieses Krankenhaus ohne Baby verlassen werde, wächst mit den Stunden, in denen niemand kommt um zu fragen, wie es mir geht oder mir sagt, wie es weitergehen wird. Das Alleingelassensein an einem Ort, an dem mir geholfen werden soll, das Gefühl, nicht wichtig genug zu sein, um schnell Hilfe zu bekommen, war in jedem Fall traumatisch. Wie sehr es mich aus der Bahn geworfen hat, begreife ich mit jeder Woche, die danach verstreicht.

Um sechs Uhr ist der Gynäkologe immer noch in der OP, wie ich es überhaupt bis acht Uhr schaffe, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls flehe ich meinen Freund an, noch einmal rüber in die Gynäkologie zu gehen, die um diese Uhrzeit öffnet. Ich fühle mich gefangen in einem zeitlosen, gnadenlosen Schauspiel, in dem es nun egal ist, wie lang und wie stark die Schmerzen noch werden, denn nach sechs Stunden Warten in der Ungewissheit habe ich kein Zeitgefühl mehr, ich weiß nur, dass es nicht gut ausgehen wird. Ich habe meinen Freund in der Zeit immer wieder weggeschoben, ich kann mich nicht trösten lassen, denn jede Berührung fühlt sich unter meinen Schmerzen an, als würde man mich über eine Klippe stoßen. Ich will nichts mehr, als fest in den Arm genommen werden und kann nur immer wieder meinen Freund anfauchen, bitte etwas zu tun – aber mich bloß nicht anzufassen.

Ein Herzschlag, aber am falschen Ort

Ich schätze, er ist 15 Minuten weg und als er wiederkommt, sagt er, die Gynäkologie schicke nun jemanden, um mich zu holen. Sie wussten nicht einmal von meinem Fall, jetzt geht es vergleichsweise schnell. Man schiebt mich auf der Trage etwa 300 Meter weiter. Dort stehe ich wieder im Flur, lasse mir von meinem Freund einen Kakao bringen, weil ich schon zittere vor Erschöpfung, und warte noch einmal 20 Minuten, die mir zu lang vorkommen. Die junge Ärztin, die mich dann untersucht, bestätigt den Verdacht. In der Gebärmutter ist keine Schwangerschaft, der Embryo befindet sich außerhalb. Als ich einige Tage später entlassen werde, lese ich im Arztbrief, dass er einen Herzschlag hatte. Der Schmerz und die Trauer legen sich in feinen Schichten übereinander.

Während der Untersuchung steht ein grauer Sichtschutz zwischen mir und meinem Freund, auch, als der Oberarzt noch einmal die gleiche Untersuchung vornimmt, um die Diagnose seiner Kollegin zu bestätigen. Wie seltsam, dass der Mensch, den du jetzt am nächsten bei dir haben willst und der den Ort, an dem die Ärzte nun stehen und reden, so viel besser kennt als sie, auf der anderen Seite des Sichtschutzes steht. Ich bin zu schwach, um diesen Umstand in Frage zu stellen und zu sagen, dass ich ihn neben mir will und dass ich kein Problem damit habe, dass er sieht, wie ein Vaginalultraschall aussieht. Damit sieht er auch nicht, im Gegensatz zu mir, für ein paar Sekunden das Baby, das sich aus dem für ihn zu klein gewordenen Eileiter befreit hat und das zu diesem Zeitpunkt in einer Suppe aus Blut in meinem Bauchraum schwimmt, die den Ärzten Stress auf die Stirn schreibt.

Lebensgefahr

Noch im 19. Jahrhundert war eine Eileiterschwangerschaft die häufigste Todesursache junger Frauen. Platzt der Eileiter und die Blutungen können nicht gestillt werden, verblutet die Schwangere innerlich. Erst 1884 wurde die erste Eileiterentfernung (Salpingektomie) durch einen Chirurgen durchgeführt, noch bis in die 1930er-Jahre lag die Sterblichkeit von Schwangeren bei dieser Diagnose bei über zehn Prozent. Eine Eileiterschwangerschaft ist eine häufige Komplikation, ein bis zwei von 100 Schwangeren trifft es. Die befruchtete Eizelle nistet sich dabei noch im Eileiter, durch den sie in die Gebärmutter wandern soll, ein, wo sie nach kurzer Zeit keinen Platz mehr hat.

Durch Schwangerschaftstests und Ultraschall wird so eine extrauterine Schwangerschaft heute in der Regel sehr früh festgestellt, manchmal endet sie von allein, ohne dass es zu Komplikationen kommt. Sie kann auch mit dem Zellgift Methotrexat medikamentös behandelt werden oder – gerade in einem fortgeschritteneren Stadium – kann die Schwangerschaft im Eileiter mit einer Bauchspiegelung so operiert werden, dass der betroffene Eileiter noch erhalten bleibt. Teilweise muss der betroffene Eileiter jedoch entfernt werden, in schweren Fällen verliert die Frau sogar den Eierstock. Trotz der guten Operationsmöglichkeiten bleibt die Eileiterschwangerschaft eine der häufigsten Todesursachen, die direkt mit einer Schwangerschaft in Verbindung stehen.

Hätte ich nicht schon ein Kind und hätte mich deshalb nicht mit vielen Themen rund um die Geburt auseinandergesetzt und würde ich nicht zwei Frauen kennen, die wegen einer Eileiterschwangerschaft schon operiert wurden, hätte ich nicht so schnell den Verdacht gehabt, es könne auch mich betreffen. Die Diagnose hätte mich im Moment ihrer Feststellung härter getroffen.

Eine Not-OP

Der Oberarzt möchte sofort operieren, er und die Ärztin versuchen es zu überspielen, sind jedoch ziemlich sauer auf die Kollegen in der Notaufnahme, die mich herumliegen ließen. Da ich den Kakao getrunken habe, könnte eine sofortige Narkose zu gefährlich sein, wir müssen warten, aber keine sechs Stunden, mehr als drei will der Arzt die OP nicht hinauszögern. Ich werde auf die Station gebracht, bekomme mehr Schmerzmittel und warte. Vorher muss ich noch den Vater meiner Tochter anrufen. Ich bin mit ihm nicht mehr zusammen, unsere Tochter wäre heute ohnehin bei ihm gewesen, doch er muss ja wissen, dass ihre Mutter im Krankenhaus ist. Als er nicht drangeht und schreibt, er sei in einem Meeting, schreibe ich nur zurück: „Ich bin im Krankenhaus und werde gleich notoperiert.“ Er ruft sofort zurück, und als ich aussprechen muss, was passiert ist und passieren wird, laufen endlich die Tränen und gehen in einen Weinkrampf über. Mit diesem Baby werde ich nicht nach Hause gehen. Das macht in diesem Moment die Sehnsucht nach meiner Tochter umso größer. Sie ist doch der Beweis, dass es nicht sein kann, dass dieses Baby stecken geblieben ist und sterben wird, denke ich.

Doch beide Kinder, das eine, das lebt, das andere, das es nicht mehr geben wird, stehen für die extreme Verletzlichkeit, die es bedeutet, ein Baby auf die Welt bringen zu dürfen. Es ist ein Wunder, das zu erleben, und dieses Mal ein Wunder, es zu überleben. Bei einer Eileiterschwangerschaft stellt sich die Frage nicht, ob man das Kind hätte retten können oder woran es gestorben ist. Die Schwangerschaft muss entfernt werden, damit die Schwangere nicht an ihr stirbt. Ich bin noch hier.

Abtreibung? Fehlgeburt?

Ist das Ende einer Eileiterschwangerschaft dann ein operativer Schwangerschaftsabbruch? Eine Fehlgeburt?

Ich kann nicht beurteilen, wie ich mich nach einer Abtreibung oder einer Fehlgeburt gefühlt hätte, denn die Erfahrung habe ich bislang nicht gemacht. Doch die Empfindungen und Gedanken, die ich nach dem Ende meiner Schwangerschaft habe, passen für mich weder zum einen noch zum anderen, besonders weil der Embryo in meinem Bauch kurz vor der OP noch lebte, auch wenn das bei der Mehrheit der Eileiterschwangerschaften nicht der Fall ist. Die britische Organisation „The Ectopic Pregnancy Trust“ (mit Abstand das beste Informationsportal, das ich finden konnte), versucht (ebenfalls) eine alternative Definition auf die Frage, wie man die Behandlung einer Eileiterschwangerschaft fassen könnte:

„Eine Eileiterschwangerschaft ist kein Schwangerschaftsabbruch und kann niemals als solcher betrachtet werden;  denn der Begriff des Schwangerschaftsabbruchs beschreibt im Allgemeinen die Entscheidung, die eigene Schwangerschaft zu beenden. Eine Eileiterschwangerschaft ist ein lebensgefährlicher Zustand, der, wenn er nicht medizinisch behandelt wird, das Leben der Mutter beenden kann. Sie sollte ebenso nicht mit einer Fehlgeburt verwechselt werden, die in der Regel nicht lebensgefährdend ist, und auch nicht mit einem selbstgewählten Abbruch, der eine chirurgische Prozedur ist, um eine entwicklungsfähige Schwangerschaft zu beenden, oder dem Abbruch einer Schwangerschaft, wenn der Fötus nicht lebensfähig ist.“

Bleibt wenigstens der Eileiter?

Als ich zum OP gefahren werde, fragt mich die Ärztin, etwa so alt wie ich selbst, ob ich die „EU“ sei, die noch dazwischengeschoben wurde. Sie fragt nicht nach meinem Namen und scherzt weiter, man würde die Patienten nun einmal nach ihrer Diagnose ansprechen. Ich mag prinzipiell Galgenhumor, aber dieses Mal nicht. Ich habe nicht mal den Nerv zu fragen, warum meine Eileiterschwangerschaft „EU“ heißt und googele es später. Operationen sind würdelos, ist mein einziger Gedanke, man wird behandelt wie ein Einsatzfeld, nicht wie ein Mensch. Der Operationssaal ist grell, ich liege auf dem Tisch, die Arme zur Seite ausgestreckt wie gekreuzigt und werde in eine Schieflage manövriert, sodass ich das Gefühl habe, nun gleich nach unten zu rutschen – meine Zugänge werden dann schwungvoll aus den Armbeugen fliegen und das Blut wird spritzen. Unter dem OP-Hemd bin ich nackt, ich fühle mich ausgeliefert, niemand sagt nur ein versöhnliches Wort zu mir. Mir laufen die Tränen rechts und links das Gesicht hinab, ich bin leer und verzweifelt, und als die OP-Schwester fragt, warum ich denn weine, bringe ich den einzigen Gedanken, den ich fassen kann, schluchzend hervor: „Die schneiden mir gleich mein Baby aus dem Bauch.“ Dass ich zwei Minuten später das Gas einatmen kann, mit dem das Licht für mich ausgeht, empfinde ich als Erlösung.

Bin ich traumatisiert? Ich bin noch immer unentschieden, ob die Erfahrung, im Krankenhaus so lange ignoriert und schlecht behandelt worden zu sein oder der Verlust des Kindes schwerer wiegen, oder beides in der Summe so erdrückend ist. Das sind nur zwei Teile der Wunde. Denn ein verlorenes Kind ist immer auch der Verlust einer ausgemalten Zukunft, die für die Zeit, in der man schwanger war, vor deinem Auge und vielleicht auch vor dem deines Partners oder deiner Partnerin entstanden ist. Der Traum ist zerplatzt wie der Eileiter, ertränkt von dem halben Liter Blut, der schon in meinem Bauchraum war, als die Bauchspiegelung begann. Ich vermute, noch mehr Blut verloren zu haben, noch sechs Wochen nach der OP bin ich schlapp, noch blasser, als ich als Rothaarige ohnehin schon bin, außer Atem nach zwei Stockwerken, mir ist oft schwindelig.

Als ich nach der OP aufwache, sind wenigstens die Schmerzen weg. Mein Bauch ist verbunden, ich liege auf dem Rücken und darf und kann mich nicht aufrichten. Noch bin ich dem gegenüber gleichgültig. Ich will eigentlich nur wissen, wie die OP verlaufen ist, ob, wenn schon nicht das Baby, der Eileiter es geschafft habe. Als ich die Schwester frage, ob heute noch ein Arzt vorbeikäme – es ist früher Nachmittag – entgegnet sie mir: „Das glaube ich nicht.“

„Ich wüsste schon ganz gern, was mit meinem Eileiter ist.“

„Ich weiß es, aber ich darf es Ihnen nicht sagen.“

Später kommt doch noch der junge Chirurg vorbei. Er entschuldigt sich für meine Nacht in der Notaufnahme und klärt mich über die Blutsuppe in meinem Bauch auf und dass der Embryo schon so groß war, dass er sich selbst Platz schaffen musste. Dennoch hätten sie den Eileiter erhalten können. An viel mehr erinnere ich mich nicht, außer, dass mir dabei sehr schwindelig wurde, und dass ich noch Wochen später mit mir herumtrage, dass ich ihn gern gefragt hätte: „Wo ist mein Kind jetzt? Haben Sie es in den Müll geschmissen?“ Auch die Diskrepanz, dass er sich zwar für die Nicht-Behandlung in der Notaufnahme entschuldigt, aber weder er noch jemand anderes vom Personal mir sagen, es täte ihnen leid, dass ich das Kind verloren habe, fällt mir erst später auf. Ich bin zugenäht, Trost spendet niemand.

„The best is to come“

Als ich am nächsten Abend das erste Mal mit Hilfe aufstehen darf, stehe ich auf einmal in einer Lache Blut, die Schwester bemerkt es zuerst. Auf meinen türkisfarbenen Schlappen sind lauter rote Spritzer. Als sie das Nachthemd anhebt spritzt das Blut noch einmal mehr, zu viel Druck auf der Naht. Ich werde zurück aufs Bett gelegt und nehme das Schauspiel distanziert wahr, auf meinem Bauch und dem Nachthemd bildet sich innerhalb von Sekunden eine Blutlache und ich fühle mich wie in einer Szene in „Emergency Room“, in der jemand mit einem Bauchschuss behandelt wird. „Jetzt verblute ich doch noch ganz“, denke ich, „geht das gut?“ Aber schon wenig Blut sieht eben nach viel aus. Der Druckverband, der dann angelegt wird, schnürt mir die Luft ab. Eine halbe Stunde später bitte ich die Schwester, mein Korsett ein wenig zu lockern, um wieder atmen zu können. Trotz des Schlafmittels, das ich mir geben lasse, liege ich lange wach.

Am nächsten Morgen laufen mir im Bett lautlos die Tränen herab. Mein Frühstück steht unberührt neben mir, ich bin schwach und doch ohne Hunger. Meine Zimmernachbarin, die in der Nacht dazu kam, fragt mich: „Why are you crying?“ Sie stammt aus Uganda und muss ihre Schmerzen seit ihrer Ankunft veratmen, sie hat Myome in der Gebärmutter, aber sie ist die erste Person hier, die mich aufrichtig und mitfühlend anschaut.

„I’ve lost the baby“, antworte ich und beginne heftiger zu schluchzen.

„Do you believe in God?“, fragt sie.

„No, I don’t.“

Sie verfällt in einen beruhigenden Monolog darüber, dass Gott einen Plan hat für alle und am Ende immer alles gut wird. Wie ein Mantra wiederholt sie den Satz:

„The best is to come. The best is to come“, und „It will come to you, when it’s ready.“

Vielleicht ist es doch nicht falsch, an etwas zu glauben, denke ich und bin dankbar, dass mir eine glückliche Fügung diese Frau aufs Zimmer geschickt hat, die über die Mauer meiner atheistischen Kühle geklettert ist und den Schmerz ein wenig lockern kann.

Ich denke oft an sie zurück, meine erste Trauerberaterin. Etwas, das es im Krankenhaus nicht gibt. Kein Wort dort vom Personal dazu, wie es mir in der nächsten Zeit eventuell emotional gehen wird, wohin ich mich wenden kann, wenn es mir nicht gut gehen sollte. An diesem Text habe ich über Monate hinweg immer wieder geschrieben, geweint, mal nur die ersten Teile gelesen und nicht weiterschreiben können, und mehr geweint.

„Nein, ich will ihn“

„Denkst du noch oft daran?“, fragt mich mein Freund nach einigen Wochen. „Ich denke jeden Tag daran“, antworte ich. Ich sehe jeden Tag die Narben, kann mehrere Wochen nur weite Hosen mit Gummizug tragen, mein Zyklus ist völlig aus dem Takt, ich vermisse das Kind. Etwa sechs Wochen nach der Operation las ich das Buch von Ariel Levy über ihre Fehlgeburt, was mir auf der einen Seite zu viel war, weil die Ähnlichkeit der Empfindungen meine abebbende Trauer wieder hervorholte, auf der anderen Seite konnte ich lesen, dass es einer anderen Frau genauso ging wie mir. Ich wollte nicht irgendein Kind zurück, ich wollte dieses Kind. Ich kann die schwangeren Bäuche anderer Frauen sehen, ohne Neid zu empfinden, denn darin ist nicht mein Kind. Ich kann mich für sie freuen und gleichzeitig von meiner Trauer erdrückt werden. Immer wieder drifte ich kurz in den Gedanken ab, das Baby könne noch da sein.

Es sei nicht passiert.

Ist das alles so passiert?

„Du wirst ein anderes Baby bekommen“, sagte mein Vater verzweifelt; auch er weinte.

„Nein, ich will ihn.“ Es war die primitive Wahrheit. Heftig, urtümlich, grenzenlos, rasend sehnte ich mich nach dem einen Menschen, den ich geschaffen hatte.“

(Ariel Levy, Gegen alle Regeln)

Vier Monate später

Mein Freund und ich wohnen noch nicht zusammen. Als ich schwanger wurde, wollte ich auf keinen Fall umziehen, weil ich eine entspannte Schwangerschaft wollte und kein Kistenchaos. Ich wollte das Baby zuhause bekommen, in der Wohnung, in der ich schon zuhause bin. Nach unserem Urlaub, nicht mehr schwanger, beginnen wir, nach Wohnungen zu suchen. Beschäftigungstherapie. Vier Zimmer wollen wir. Die Suche ist zäh. Nachdem wir schon mehrere Absagen für Wohnungen bekommen haben, prophezeit mir der Glückskeks vom Büro-Lunch eine Glückssträhne. Ich schaue ihn vorwurfsvoll an und klebe ihn an das Fach auf meinem Schreibtisch. Dann kommt das Glück tatsächlich zurück. Ende Dezember werden wir in eine Fünfeinhalb-Zimmer-Wohnung umziehen, mal schauen, ob wir irgendwann doch mehr werden als drei.

Im Oktober habe ich einen Waldorf-Puppen-Kurs mitgemacht, für mich eine exotische Umgebung, denn Handarbeiten gehören sonst nicht zu meinen Hobbys. Doch ich brauchte Ablenkung, etwas, das ich sonst nie tue und mich an nichts erinnert. Es war wie ein kleiner Ausflug ins Schweigekloster, bis abends um neun nähte ich konzentriert an der Puppe, die noch ein wenig kleiner ist als ein neugeborenes Kind. Auf der langen S-Bahn-Fahrt von Zehlendorf zurück in den Wedding dachte ich: „Jetzt werde ich verrückt, ich nähe ein Ersatzbaby.“ Bis Mitternacht saß ich mit ihr auf meinem Bett und knüpfte ihre Haare an. Ich vermisste mein Baby, doch ihm mit der Puppe eine Form zu geben, hatte auch etwas Versöhnliches. Eine neue Trauerphase, vielleicht. Drei Tage lang hatte ich Rückenschmerzen, weil ich mit der Nadel so lange gebeugt über der Puppe saß. Vor ein paar Tagen habe ich sie in grün-glitzerndes Geschenkpapier gewickelt und meiner Tochter zu ihrem dritten Geburtstag geschenkt. Mein Dezemberkind. Sie drückte sie gleich fest an sich.

„Das ist Emma, Mama.“

Danke an Julia und Joanna, ohne die dieser Text nicht entstanden wäre.

Titebild: depositphotos.com

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