Stillende Mütter sind auf dem internationalen Laufsteg angekommen. Endlich? Was auf den ersten Blick danach aussieht, dass sich für Eltern etwas bewegt, erhöht im Kern vor allem den Druck auf Frauen, perfekt zu sein.
Marketing ist kein Empowerment
Fühlt ihr euch auch so ,empowered‘, dass ihr fast platzt vor Glück? Wer braucht schon echte Solidarität und reale Verbesserungen, wenn Marken spielend leicht dafür sorgen, dass sich alle besser fühlen können – einfach durch Zuschauen oder besser noch: dadurch, etwas zu kaufen. Die neueste Farce bei falsch verstandenem Empowerment ist die Idee des Magazins Sports Illustrated, das das Model Mara Martin auf den Laufsteg schickte, die dabei ihr wenige Monate altes Baby stillte, während das Unternehmen bei der „Miami Swim Week“ ihre eigene Bademoden-Kollektion vorstellte.
Puh, Brüste auf dem Catwalk, gewagt, gewagt. Und laut einer Mitarbeiterin des Magazins eine ganz spontane Idee … wie spontan das wirklich war, kann man unschwer daran erkennen, dass der Bikini des erwachsenen Models nur einen Träger hatte und sich damit leicht stillen ließ, das Baby ein auf den Bikini abgestimmtes Höschen trug und außerdem kleine Lärmschutzkopfhörer aufhatte. Jaja, das andere Elternteil hatte bestimmt gerade keine Zeit …
Doch die Idee, durch diese ungewöhnlichen Laufsteg-Bilder Aufmerksamkeit zu bekommen, hat für das Magazin voll funktioniert: Das stillende Model hat international Schlagzeilen gemacht und Sports Illustrated wird nun sowohl von Medien als auch Menschen in sozialen Netzwerken überschwänglich dafür gelobt, dieses „Tabu“ gebrochen zu haben und mit der Entscheidung, Mara ihrem Kind auf dem Laufsteg die Brust geben zu lassen, dazu beigetragen zu haben, dass Stillen in der Öffentlichkeit mehr Akzeptanz erfährt. Ja, Marken sind so mutige, selbstlose Aktivist*innen!
Pack die Brüste ein!
Es stimmt, dass stillende Mütter überall in der Welt immer wieder auf Menschen treffen, die sie und ihre hungrigen Kinder am liebsten an Orte verbannen würden, an denen sie niemand sieht: in die eigenen vier Wände, auf Restaurant-Toiletten, versteckte Parkbänke und Abstellkammern in Unternehmen, in denen Milch abgepumpt werden kann. In den USA ist es tatsächlich an vielen öffentlichen Orten verboten, einem Baby die Brust zu geben. In Deutschland gibt es zwar keine gesetzlichen Regelungen, die das Stillen verbieten – im Gegenteil: sogar gesetzlich garantierte Stillpausen für arbeitende Mütter – doch es gibt ausreichend andere Möglichkeiten, stillende Müttern zu signalisieren, dass sie nicht erwünscht sind. Aus Scham und Rücksicht zögern Frauen, ihrem Kind an öffentlichen Orten die Brust zu geben, bedecken sich und ihr Kind mit Bergen aus Tüchern und entschuldigen sich … aber, wofür eigentlich?
Die Diskussion über öffentliches Stillen wird nicht zuletzt durch die Beiträge von Eltern-Blogger*innen seit einigen Jahren wieder verstärkt geführt. Mütter wehren sich gegen Ausgrenzung und engagieren sich dafür, dass Mutterschaft und die Beziehung von Eltern und Kindern ganz selbstverständlich in der Öffentlichkeit stattfinden können. Da Eltern-Themen viele Menschen erreichen und Mütter und Väter zudem eine kaufkräftige Zielgruppe sind, ist es nur logisch, dass Marken versuchen, diese Themen für den Verkauf der eigenen Produkte zu nutzen. Was jedoch selten gelingt, ist, dass dieses vermeintlich soziale Engagement von Marken das ursprüngliche Anliegen der betroffenen Gruppen in die Richtung bewegt, die ursprünglich verfolgt wurde. Wer gesellschaftlich und politisch als Unternehmen etwas bewegen möchte, könnte zum Beispiel ganz einfach Geld an Organisationen spenden, die sich schon lange mit den Themen beschäftigen und langfristig etwas bewegen möchten, das vielen Menschen nützt.
Stillen ist jetzt glamourös!
Denn wird Stillen tatsächlich normaler, wenn Models es auf Laufstegen tun, berühmte Schauspielerinnen Stillfotos auf Instagram posten oder die Vogue eine stillende Frau auf ihr Cover hebt? Auf diese Weise wird Stillen zu einer glamourösen Aktivität, das Baby zu einem schicken Accessoire, Stillen wird als etwas Begehrenswertes dargestellt, etwas Supermodelesques, das man nun tun muss – es reicht nicht, nur schön, straff und gutgelaunt zu sein. Damit erhöht sich nicht nur der Druck für Frauen, die sich durch den Alltag mit Baby eher wie ein Zombie fühlen und tiefe Augenringe haben, die Stilisierung des selbstbewussten, fröhlichen Stillens ist letztlich auch Selbstoptimierung für Mütter: Kannst oder möchtest du nicht stillen, hast du versagt. Stillen wird damit auch zu einem Lifestyle-„Produkt“, das man braucht, um mitreden zu dürfen. (Und nein, bitte jetzt keine Mamas oder Papas, die auf dem Laufsteg einem Kind die Flasche geben, um die nicht-stillenden Mamas zu „empowern“.)
„Die Realität des Stillens sieht für die meisten Mütter anders aus: nachts um halb drei, erschöpft und zerzaust, Spuckflecken auf dem Nachthemd und mit hungrig schreiendem Baby. So geht es in den ersten Wochen allen Müttern, auch Supermodels.“
Wandel braucht mehr
Die Art und Weise, wie Stillen in bislang unberührtem Terrain wie dem Laufsteg als etwas Revolutionäres dargestellt wird, dem nun die Kraft innewohnt, alles zu verändern, verzerrt zudem den Blick auf den Alltag, wie viele Mütter ihn nach wie vor erleben. Denn durch die Marketing-Geste eines Unternehmens ändert sich für die stillenden Mütter, die rätseln, wo sie in Ruhe und ohne angewiderte Blicke ihr Baby stillen könnten, rein gar nichts. Dass plötzlich Restaurant-Betreiber*innen und Arbeitgeber*innen damit werben, stillfreundlich zu sein und gemütliche Stillplätze einrichten oder ihren Gästen sagen „Wenn du mit stillenden Müttern nicht klarkommst, iss doch woanders“, ist nicht zu erwarten. Und auch Menschen, die ein stillendes Model „mutig“ oder „inspirierend“ finden, aber über normale Mütter im Café bislang gedacht haben, „Kann die Alte bitte ihre riesigen Brüste wieder einpacken?“, werden wohl kaum von heute auf morgen ihre Einstellung wirklich verändern können.
Die Scham, die Mutterschaft auf körperlicher Ebene auslöst, ist riesig. Dass sie weniger wird, nur weil auf Instagram nun Frauen auch Fotos von sich mit Dehnungsstreifen zeigen, ist eine Selbsttäuschung, weil wir so gerne hätten, dass es wahr wäre. Doch der Druck, einer bestimmten Schönheitsnorm zu entsprechen, ist ungebrochen und wird eher mehr als weniger.
Wie ihr Körper nach einer Schwangerschaft aussehen könnte, beschäftigt Frauen schon, bevor sie überhaupt versuchen schwanger zu werden. Wie ihr Körper zurückzuführen sein wird in seine zuvorige Beschaffenheit, planen Schwangere schon, bevor das Baby geboren ist. Erst vor ein paar Wochen bemühte sich eine PR-Agentur kurz vor dem Muttertag darum, unsere Redaktion für ein Interview mit einer plastischen Chirurgin zu gewinnen, die ein „Mommy Makeover“ anbietet. Allein aus diesem Begriff spricht so viel Verachtung und Objektifizierung des Frauenkörpers, den man wie ein Auto in die Generalüberholung schicken kann. In der Pressemitteilung konnte man lesen, die Ärztin berate „immer mehr Frauen, die sich nach einem Mommy Makeover, der Trend-Behandlung aus den USA, erkundigen“. Die ästhetische Operation könne Frauen „zum ungetrübten Mutterglück verhelfen“.
Und ja, für die ein oder andere Frau, bringt eine Brust- oder Bauchstraffung eine gewisse Erleichterung und versöhnt sie mit ihrem Körper – für eine Zeit lang. Aber Empowerment ist das nicht.
Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder nicht. Schaut doch mal vorbei!
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