Brüste raus! Zum ersten Mal bringt ein Modemagazin eine stillende Frau aufs Cover. Warum das wichtig ist.
Zum ersten Mal eine stillende Frau auf dem Cover
Mehr als 20 Jahre hat es gedauert, bis nach dem ikonischen Vanity-Fair-Cover, das Demi Moore im siebten Monat schwanger zeigte, ein großes Magazin den nächsten Schritt gegangen ist. Die Juni-Ausgabe (2015) der australischen Elle zeigte eine Frau, die ihr Kind stillt. Das Model Nicole Trunfio, bekleidet mit einer offenen Wildlederjacke und ihr weniger Monate alte Sohn, der an ihrer Brust saugt.
Magazin-Titel mit schwangeren Frauen hat es seit der Vanity-Fair-Ausgabe aus dem Jahr 1991 viele gegeben. Britney Spears, Celine Dion, Brooke Shields und viele Supermodels und Schauspielerinnen sind mit Babybauch auf Titel von Vogue, Grazia, Harper’s Bazaar und anderen Hochglanzmagazinen gewesen. Ob mit Kleid oder nahezu nackt: Schwangere Körper sind in der Welt der Mode mittlerweile normal und werden gefeiert. Das italienische Modelabel Dolce & Gabbana schickte im Frühjahr unter dem Titel „Viva la Mamma“ werdende Mütter sowie Frauen mit ihren Kleinkindern über den Catwalk.
Zugegeben: Das Bild von Nicole Trunfio und ihrem Baby ist immer noch ein perfektes Magazincover, auf dem das Stillen nahezu in den Hintergrund tritt. Eine wunderschöne, schlanke, langhaarige Frau mit professionellem Makeup und der Kopf des Kindes verdeckt selbstverständlich ihre Brustwarze. Kontrovers genug, um darüber zu sprechen, aber nicht provokativ genug, um konservative Leserinnen oder Werbekunden zu verschrecken. Die Realität des Stillens sieht für die meisten Mütter anders aus: nachts um halb drei, erschöpft und zerzaust, Spuckflecken auf dem Nachthemd und mit hungrig schreiendem Baby. So geht es in den ersten Wochen allen Müttern, auch Supermodels.
Doch Magazintitel sind nach wie vor ein mächtiges Medium. Wo die Mainstreamtitel des Modejournalismus noch immer aus einem kleinen Repertoire von Schönheitsidealen wählen, ist jede Abweichung davon eine starke Botschaft. Eine stillende Frau auf einem Magazin abzubilden sagt klar und deutlich: Öffentliches Stillen ist okay!
Doppelter Standard für nackte weibliche Oberkörper
Australien und auch in Deutschland stehen dieser Botschaft zumindest keine legalen Hürden entgegen. In den USA ist Stillen an öffentlichen Orten jedoch in vielen Staaten verboten, und diese Haltung findet sich auch in der Zensurpolitik sozialer Netzwerke wie Instagram und Facebook wieder, die Fotos, auf denen die Brustwarzen von Frauen zu sehen sind, löschen und Nutzerinnen dafür sperren. Die Gleichberechtigungskampagne „Free the nipple“ hat sich diesem Thema angenommen, um zu beenden, dass der nackte weibliche Oberkörper einem doppelten Standard unterliegt.
Doch wie sieht es in Deutschland aus? Stillen ist in Cafés zwar nicht verboten, doch so alltäglich und akzeptiert, dass Frauen es frei und gern tun, ist es auch noch nicht. Vielen, die in der letzten Zeit Eltern geworden sind, schrillt der Satz aus dem bekannten taz-Text zu den Macchiato-Müttern im Ohr: „Entschuldige, Tanja, mir wird schlecht, ich kann nicht mehr zu dir kommen, wenn die hier ihr ganzes Gehänge rausholen.“ Und weil viele die Kinder- und Mütterfeindlichkeit so verinnerlicht haben, überwiegt das Gefühl, sich für den Hunger des Babys und die damit verbundene entblößte Brust entschuldigen zu wollen, so als seien öffentliche Plätze für Personen reserviert, die vermeintlich zivilisierter aus Tassen, Flaschen oder Fläschchen trinken.
Deswegen gibt es dann spezielle Stillshirts und Stillschals und Tücher, die man über Brust und Baby wirft um ein kleines Zelt zu bauen, damit dem blauen Himmel der blanke Busen erspart bleibt. Oder man bleibt eben gleich ganz daheim.
Die Brust muss bedeckt werden?
Ich weiß wie es mir ging, als ich die ersten Male mit dem Baby aus dem Haus ging: Es tat mir gut, selbst wenn nur ich und das Kind auf dem Sofa eines Cafés saßen, weil ich das Gefühl hatte wieder mehr am Leben teilzunehmen, raus aus der Monotonie des eigenen Wohnzimmers. Doch in einem Café zu stillen fühlte sich unbehaglich an. Die Brust ist etwas, das eine Frau bedecken muss, das lernen Mädchen von klein auf aus ganz unterschiedliche Gründen: um sich nicht zu gefährden, nicht unterschätzt zu werden, nicht so auszusehen, als würden wir unsere schönen Brüste mögen und gern der Sonne aussetzen.
Frauen kennen ihre Brüste nur als sexualisierten Körperteil; ein paar Monate Schwangerschaft reichen nicht aus, um das Wissen abzustreifen, das wir seit der Pubertät verinnerlicht haben. Ein Baby stillen zu wollen ist dann ein echtes Dilemma. Bloß sich selbst nicht verletzlich machen, indem man ein heiliges Stück Fleisch den Blicken fremder Menschen aussetzt, bloß diejenigen nicht verletzen, die Brüste zwar gern auf Werbeplakaten und im Dirndl sehen, aber nicht wenn Babymünder mit ihnen Kontakt aufnehmen. Das eine mal sind Brüste geil, das andere Mal ekelhaft. Bestechende Logik, made in Germany and around the globe.
Von daher gebührt der Respekt der australischen Elle, die ein Stillfoto so stark und schön fand, dass sie es für den Titel auswählte. Respekt für jede Frau, die sich traut in der Öffentlichkeit zu stillen, obwohl es immer noch blöde Kommentare und Blicke, Verbote oder sogar Gesetze dagegen gibt. Stillen ist dann hoffentlich irgendwann so normal, wie einen Latte Macchiato oder ein Bier zu trinken. Und zwar nicht am eigenen Küchentisch.
Genauso normal wie ein Kind zu stillen ist übrigens auch, das nicht zu tun. Vielleicht weil eine Frau es nicht kann, nicht will, und Mütter wirklich keinen weiteren Druck über das Credo brauchen, Stillen sei aber nun mal das Allerbeste fürs Kind. Unter „Chillen statt Stillen“ hat Nicole von Horst kürzlich einen großartigen Text dazu geschrieben.
Und wie Stefanie Lohaus und Tobias Scholz wissen: Papa kann auch stillen. Das nächste Cover, auf das wir uns freuen: Prinz William füttert Charlotte mit dem Fläschchen.
Titelbild: Mothering Touch – Flickr – CC BY 2.0
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