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Hängende Brüste? Im Gegenteil: Stillen hat mein Körpergefühl verbessert

Mindestens sechs Monate aber doch bitte nicht länger als ein Jahr! Klar, dass es auch fürs Stillen ungeschriebene Regeln und Vorurteile gibt.

So lange!?

Bevor ich mein Kind bekam, erzählte ich beim Thema Stillen immer folgende Anekdote: „Meine Mutter hat mich zweieinhalb Jahre gestillt. Zweieinhalb Jahre! Allergien, Neurodermitis und Depressionen habe ich trotzdem bekommen.“ Gut, das waren die 80er, als alle Mütter noch quasi Hippies waren und zudem ist meine Mama nach meiner Geburt mehrere Jahre aus ihrem Beruf ausgestiegen – damals, als man mit einem Einkommen noch eine fünfköpfige Familie locker ernähren konnte – da hatte man ja Zeit dafür, sich vom Kind ständig die Bluse aufknöpfen zu lassen.

Dann wurde ich selbst Mama und ehrlich gesagt, habe ich mir vorher wenig Gedanken darüber gemacht, ob und wie lange ich stillen würde. Hauptsache nicht so lange, wie meine Mutter. Meine Devise wie in so vielen Dingen war dabei: „Das wird schon, ich lasse das auf mich zukommen.“ Mein Einstieg ins Still-Business war dann wenig entspannt: Der Milcheinschuss verfünffachte das reguläre Volumen meiner Brüste, so dass der Still-BH, den ich vorab gekauft hatte, viel zu klein war. „So sieht es also aus, wenn man sich ein Kilo Silikon in die Brüste pumpen lässt“, dachte ich mit schmerzverzerrtem Blick in den Spiegel. Die Kinderärztin im Krankenhaus scherzte: „Frau Bücker, Sie könnten hier ja die ganze Station versorgen.“ Immerhin wusste ich nach dieser ersten Woche, wie ein Leben mit großen Brüsten ist. Ich vermisste meine kleinen Exemplare, die keinen BH benötigten und beim Sport niemals im Weg waren. Eine dauerhafte Brustvergrößerung ist die Milchproduktion (zum Glück) nicht, mit den Monaten kehrten sie in etwa auf ihr Ausgangsmaß zurück und fertigten die Nahrung für das Baby quasi im Hintergrund.

Ich hatte das Glück, dass das Stillen für mein Baby und mich von Anfang an gut funktioniert hat. Von blutigen Brustwarzen, ständigen Schmerzen oder dauernd durchnässten Shirts kann ich nicht berichten. Ja, es war zunächst anstrengend und ein Energieräuber. Die ersten zwei Wochen fühlte ich mich wie ein Zombie, auch wegen des Schlafentzugs, und dachte, ich müsste jeden Moment zusammenklappen. Liebevoll nannte ich das Baby meinen „kleinen Milchegel“, wenn sie satt und schläfrig von der Brust abfiel – es satt, ich ausgezehrt. Für mich war und ist das Stillen dennoch ein Geschenk, weil ich in Haushaltsdingen sehr faul bin und dazu Fläschchen anzurühren, zu spülen und zu sterilisieren nur sehr bedingt Lust gehabt hätte. „Brust raus, Baby satt“ ist wirklich praktisch.

Aber doch nicht im Café!

Während über die Akzeptanz von öffentlichen Stillen immer wieder und in fast jedem Industrieland diskutiert wird, hatte es sich für mich nach wenigen Wochen tatsächlich völlig normalisiert, auch, weil ich mit einem dicken Fell gesegnet bin und es mir leicht fiel, die Bedürfnisse meines Babys vor eventuell peinlich berührten Cafégästen zu priorisieren. Die lustigste Reaktion erlebten wir diesen Sommer, als mein Kind – mittlerweile etwa eineinhalb – auf meinem Schoß saß und trank, während ihr Vater und ich unseren Kaffee draußen in einem Café in Berlin-Mitte tranken. Ein junges Paar kam vorbei, der Frau entgleisten alle Gesichtszüge und sie sagte sehr laut und schockiert in einem breiten amerikanischen Akzent „Oooh my god! Oh my god!“ und hob noch die Hand vors Gesicht, um ihren Blick zu schützen. Ich zuckte lachend mit den Schultern: Wenn du stillst und dich nicht über Monate in der Wohnung einsperrst, hat eh die halbe Stadt schon einmal deine Brüste gesehen. Wer hätte davon jemals geträumt? Das „Oh my god“ ist bei uns Zuhause mittlerweile zum Running-Gag avanciert, wenn ich stille oder gerade ohne Shirt durch die Wohnung laufe.

Manche Mütter mögen ihre Brüste nach Schwangerschaft und Geburt weniger, als vorher. Dass das Körpergefühl schlechter wird, wird medial aber fast schon vorausgesetzt, jedenfalls, wenn man klassische Frauen- und Elternmedien konsumiert. Zuletzt habe ich sogar „sponsored Posts“ (das heißt, von Werbekunden bezahlte Texte) für ästhetische Brustkorrekturen auf Mama-Blogs gesehen.

Die Angst, dass der Körper sich durchs Kinderkriegen verändert, begleitet vermutlich den überwiegenden Teil der Frauen. Ich kann mich an Zeiten als jüngere Frau erinnern, da war die „Angst vor dem Fettwerden“ für mich ein Grund, niemals ein Kind bekommen zu wollen. Ich war mir sicher: „Eine Schwangerschaft ruiniert deinen Körper.” Die erste Überraschung: Sie tut es nicht.

Meinen Körper … mag ich nun mehr

Erstaunlich finde ich nun, dass ich mich jetzt, beinahe zwei Jahre nach der Geburt meines Kindes, so wohl in meinem Körper fühle wie noch zu keinem Zeitpunkt in meinem Leben, seitdem ich Brüste bekam. Insbesondere das Stillen und die neue Normalität, in der Öffentlichkeit, vor Freunden, Familie und Kolleginnen blank zu ziehen, hat dazu beigetragen, dass ich mir insgesamt weniger Gedanken darüber machen, wie mein Körper aussieht. Man könnte sagen: Es ist für mich normaler geworden, einen Körper zu haben, der einfach da ist, während für Frauen weltweit die Norm existiert: Der Körper ist da, um ihn zu verbessern, schlanker, straffer und stärker zu machen. Ja, Frauen (bei Männern weiß ich es nicht) ziehen durchaus beim Sex den Bauch ein und machen sich Gedanken darüber, wie sie gerade aussehen. Ich habe hingegen nie gedacht: „Sehen meine Brüste beim Stillen eigentlich gut aus?“ Dass sie auf einmal etwas viel Cooleres können, hat ihr aktuelles Aussehen bedeutungslos gemacht

Vor zwei Wochen saß ich stillend im Sand eines Strands von Sardinien, als mir klar wurde: „Das wäre das erste Mal, seitdem ich Brüste habe, dass ich mich auch oben ohne einfach an den Strand legen würde.“ Eigentlich würde ich nun, nach fast zwei Jahren Stillen, eigentlich überall ohne Scham topless herumlaufen, obwohl meine Brüste ein wenig von ihrer jugendlichen Sportlichkeit kleiner Brüste eingebüßt haben. Ich habe nun ein unkompliziertes Verhältnis zu ihnen. Sollten sie also einmal krank werden, würde ich sie im Handumdrehen hergeben. Wir hatten eine gute Zeit.

Gibt es ein „zu lang“?

Unsere neue unkomplizierte Beziehung erklärt daher auch mit, warum ich IMMER NOCH stille. Denn obwohl es mir nichts ausmacht, wirklich überall zu stillen, fühle ich mich regelmäßig unter Rechtfertigungsdruck zu erklären, warum mein Kind „Mama, das!“ sagt und mir kurzer Hand den Ausschnitt noch ein Stück weiter herunterzieht. Als ich kürzlich nach meinem Erziehungsstil gefragt wurde, beschrieb ich ihn als „Attachment Parenting meets Rabenmutter“. Seitdem sie fünf Monate alt ist, besucht meine Tochter eine Kita und ich bin sechs Monate nach ihrer Geburt in Vollzeit in meinen Job zurückgekehrt. Als ich das tat, dachte ich, dass es sich mit dem Stillen wohl über kurz oder lang von selbst erledigen würde. Wie sollte das denn gehen, wenn ich das Baby so wenig sehen würde? Es ging. Brüste sind nämlich zusätzlich zu all ihren anderen Vorzügen auch noch ziemlich intelligent und können sich merken, wann sie von einem Kind gebraucht werden, und wann nicht. Das Modell „Stillen nach Bedarf“ funktioniert für mein Kind und mich also seit fast 24 Monaten ganz hervorragend – und selbstbestimmt auch von Seiten des Kindes. Während sie vor ein paar Monaten noch immer an die Brust wollte, wenn ich sie aus der Kita abholte, fordert sie mittlerweile nachmittags immer ein Croissant ein. Muttermilch will sie vor allem als „Absacker“ nach dem Abendessen, ab und an nachts und wenn sie krank oder sehr müde ist. Sie stillt sich Stück für Stück ab, in ihrem Tempo.

Als ich in diesem Sommer mit meiner Tochter auf dem Spielplatz saß und sie auf meinem Schoß an der Brust eine kleine Pause machte, kam eine andere Mutter auf mich zu, ihr Kind vielleicht vier oder fünf, die mir zuraunte: „Lass dich nicht beirren und mach, was für euch richtig ist. Wir haben das auch sehr lange gemacht.“ Ich war irritiert: Sah ich aus, als würde ich eine Aufmunterung brauchen? Wir saßen immerhin nicht verschämt und unter Tücher gehüllt in einer stillen Ecke des Spielplatzes. Ihre Solidarität mit mir erzählte wohl vor allem über die Erfahrungen, die sie als Mutter gemacht hat, die lange stillte: Sie hat Unverständnis, Kritik und vielleicht sogar Ablehnung erfahren.

Vielleicht sind diese Erfahrungen aber auch an mir vorübergegangen, weil ich als Vollzeit berufstätige Mutter kaum Berührungen mit anderen Müttern bis auf enge Freundinnen habe und tagsüber eben selten auf Spielplätzen bin, wo andere Eltern tuscheln könnten. Vielleicht tun sie es, wenn sie uns sehen, ich habe es jedenfalls direkt noch nicht zurückbekommen. Das einzige Indiz dafür, dass ich eventuell als seltsam wahrgenommen werde: Ich sehe keine anderen Frauen, die Kinder im Alter meiner Tochter noch stillen. Hier aus der Norm zu fallen, ist aber für mich kein Grund, nun nicht mehr zu stillen. Der Zeitpunkt dafür, wird sich irgendwann ergeben. Schauen wir mal. Bis dahin schmunzle ich darüber, dass ich nun eine zweite Gemeinsamkeit mit meiner Mutter habe – neben unserer Vorliebe für Kleider in Leopardenmuster.

Lesetipps

Die Stillmütter der Nation und ich – eine Flaschenkind Geschichte – bei Grosse Koepfe.

Über verschüttete Milch weinen – bei „kleiner drei“.

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