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Wird mein Kind Fortnite-süchtig, weil es seinen Schulweg nicht allein bewältigen durfte?

In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Wie lässt man die eigenen Kinder los?

Post-Holiday-Syndrom

Als am Montag die übliche Mühle mit dem Beginn des neuen Schuljahres und Kita-Wiedereröffnung nach der Schließzeit begann, fand ich prompt einen Newsletter in meinem Postfach, der mich über das so genannte „Post-Holiday-Syndrom“ aufklärte, das auch bei Kindern vorkomme: Für Familien sei dieser Start nach dem Ende der Sommerferien oft hart, es sei eine Zeit der Umstellung, der Reizbarkeit, der Erschöpfung. Eltern sollten Verständnis für ihre Kinder haben, die in dieser Phase eher ungemütlich daherkommen könnten.

In der Kita jedenfalls kamen mir alle Eltern heute besonders gut gelaunt vor, ich glaube, diese Art von ausgelassener Gutgelauntheit bemerkt zu haben, die sich gern mit Erleichterung paart: Puh, zwei Wochen mit Biegen und Brechen durchgebracht, egal wie schön es war. Dass man nun gegen neun Uhr erstmal wieder ohne ein potentiell übellauniges Kleinkind mit Eulenrucksack und eigenen Plänen im Kinderkopf auf der Straße steht, das hat durchaus auch was für sich.

Wie füllt man Ferien vernünftig?

Gleichzeitig stolperte ich auf Spiegel Online über diesen Text, der sich mit einer interessanten These beschäftigte, die wiederum der „Economist“ ausführlich behandelte: Die Sommerferien, ist da, mit Verweis auf acht Stunden „Fortnite“ spielende oder sich mit Instagram zudröhnende Teenager, zu lesen, seien einfach viel zu lang und gehörten kräftig gekürzt. Dafür spreche im Übrigen, dass Kinder bis zu einem Viertel dessen, was sie im vorherigen Schuljahr gelernt hätten, während der langen Sommerpause wieder vergessen würden.

Der SPON-Autor wiederum schlägt den klassischen, und sicherlich auch korrekten Bogen, und landet bei der Tatsache, dass Kinder heute nicht mehr in der Lage seien, sich vernünftig selbst zu beschäftigen, weil es ihnen von frühestem Alter an nicht mehr ermöglicht würde, Dinge allein zu bewältigen.

Mittlerweile ist es eine klassische „Opa/Oma-erzählt-vom-Krieg“-Geschichte, wenn Eltern von Kita- oder Grundschulkindern heute in Erinnerungen schwelgen, wie sie damals in den Achtzigern bereits ab der ersten Klasse Bus und U-Bahn in Berlin allein benutzten, um zur Schule zu gelangen.

Unser falsches subjektives Sicherheitsgefühl

Die Studienlage dazu ist eindeutig und jedem zumindest schwammig ein Begriff: Die Welt (in Deutschland) ist für Kinder heute erwiesenermaßen ein viel sichererer Ort als vor einigen Jahrzehnten, die Zahl der Sexualmorde und minderjähriger Verkehrstoter etwa ist rapide gesunken. Aber, und das werden sicher viele der Eltern, die hier mitlesen, kennen: Das subjektive Sicherheitsgefühl ist ein anderes, was womöglich zum Beispiel damit zu tun hat, dass sich fürchterliche Geschichten, die speziell für Kinder eher nicht gut ausgehen, in fiktiven Formaten einer enormen Beliebtheit erfreuen.

Auch ich kenne das Gefühl, unglaublich froh zu sein, dass meine Kinder noch in einem Alter sind, in dem ich sie guten Gewissens wie ein Schatten überallhin begleiten kann. Aber beim Grundschulkind könnte da demnächst mal eine Änderung bevorstehen, denn auch ich sehe ein, dass ein Kind nicht bis zur sechsten Klasse von einem Elternteil zur Schule gebracht werden sollte. Ich bin vielleicht kein gutes Beispiel, denn ich erinnere mich noch gut daran, dass ich als etwa 15-Jährige schon den Telefonhörer in der Hand hatte, um die Polizei zu rufen, als meine 7-jährige Schwester wenige Minuten nach der erwarteten Zeit immer noch nicht vom Klavierunterricht zurückgekehrt war. Ich war durchaus in der Lage, mir auszumalen, was auf dem etwa hundert Meter langen Weg an etwa vier anderen Häusern vorbei alles passieren könnte. (Der Klavierlehrer hatte im Übrigen einfach mal ein paar Minuten überzogen).

Fortnite-süchtig kann auch ein unabhängiges Kind werden, oder?

Andererseits habe ich das enorme Bedürfnis, in der Frage des Loslassenkönnens eine sehr entspannte Haltung zu entwickeln, denn: Indem die Kinder endlich, endlich, endlich mal was allein machen, könnte man sich als Eltern ja final mal ein bisschen mehr Luft verschaffen im Alltag, der tatsächlich bei so vielen ein kompliziertes Jonglieren mit Terminen, Kursen, Playdates und Abholkonstruktionen ist. Und: Eigentlich ja schön, wenn man die Wahl hat, denn mir ist natürlich bewusst, dass es viele Menschen gibt, die es sich ganz einfach nicht aussuchen können, ob sie ihr Kind auf Schritt und Tritt begleiten wollen.

Den Zusammenhang zwischen zu wenig Autonomie im Kita- und Grundschulalter und späterer Instagram- und Fortnite-Sucht würde ich spontan ja eigentlich anzweifeln, weil ich als Kulturpessimistin natürlich davon ausgehe, dass auch jene Kinder gerne Instagram- und Fortnite-süchtig werden, die schon im Alter von sechs Jahren den Schulweg allein bewältigt haben…aber das ist ja nun wieder ein anderes Thema. Vielmehr freue ich mich über Anregungen und Erfahrungsberichte aus eurem eigenen Alltag: Wie schafft ihr es, eure Kinder loszulassen, und nicht vor verschlossenen Turnhallen- oder Musikschulentüren mit den Hufen zu scharren, eine Brezentüte und eine Trinkflasche bereit zum Anreichen in der Hand? Das würde mich wirklich interessieren.

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