Foto: Don O'Brien | flickr | CC BY 2.0

Weihnachtsfamilienchaos? Anleitung zum friedlich sein

Aussichtsreiche Strategie für einigermaßen harmonische Feiertage: Die Neurosen wuchern lassen.

Es gibt da diese schöne Zeile aus einem Lied von „Element of Crime“: „Wo die Neurosen wuchern, will ich Landschaftsgärtner sein.“ Die Stelle fiel mir ein, als ich darüber nachdachte, warum sich eigentlich vor Weihnachten alle mit fast schon masochistischen Zügen gegenseitig mit Szenarien der anstehenden Feiertags-Strapazen versorgen.

Wenn nicht in der Kernfamilie, so lauert zumindest in der weiteren Verwandtschaft das Potenzial für den ein oder anderen Schlagabtausch. Die Provokationen fangen ja oft schon im Vorfeld an – wenn beispielsweise die Schwester eine bezaubernde Karte mit wie Orgelpfeifen aufgereihter Kinderschar verschickt und der beiliegende Familienbrief davon kündet, dass die kleine Sophie bei „Jugend musiziert“ den vierten Platz im Segment „Querflöte“ errungen hat, während man selbst keine einzige räudige Karte verschickt hat.

Man könnte denken: Wir wollen es doch nicht anders – denn viel von dem Ärger, der rund um Weihnachten ansteht, hat weniger mit den anderen zu tun und mehr mit uns selbst. Je näher uns jemand steht, desto schneller sind wir genervt. Oder hat schon mal jemand darüber nachgedacht, einer befreundeten Arbeitskollegin, die ständig an den Nägeln kaut, das mit nur schlecht unterdrückter Aggression in der Stimme an den Kopf zu werfen? Beim Ehemann hätte man da schon weniger Hemmungen. Und an Weihnachten ist man in der Regel mit lauter Menschen zusammen, die einem eher nahestehen. Es ist uns gar nicht bewusst, aber viele der Konflikte entstehen nur, weil man es nicht hinkriegt, die Neurosen in der Familie einfach mal in Ruhe blühen zu lassen. Also: Die Karte mit den dauergrinsenden Orgelpfeifen demonstrativ an den Kühlschrank pinnen und unsere Anleitung zum friedlich sein lesen:

1. Sich selbst nicht für den Maßstab halten

Es ist noch gar nicht so lange her, da kochte man seinen Glühwein noch aus einer dunkelroten Flüssigkeit, die laut Tetrapak-Beschriftung Wein darstellen sollte. Ein paar Jahre später und ein Weinseminar im Frankreichurlaub später denkt man plötzlich, man könnte sich über Papa erheben, der nichts von Parker-Punkten hält und für den der Bordeaux von Aldi zu 2,99 Euro immer noch State of the Art ist. Und dass Mutter Zitronensäure aus einem zitronenförmigen Plastikbehälter statt echte Bio-Früchte benutzt, macht einen wahnsinnig. Statt dem inneren Drang nachzugeben, den Eltern jetzt mal zu erklären, wie der Hase läuft in Sachen Rotwein und Zitrusfrüchte, könnte man ja auch einfach mal die Klappe halten. Niemanden fällt ein Zacken aus der Krone, wenn er sich ein paar Tage lang nach den Gebräuchen anderer richtet.

2. Sich nicht ständig benachteiligt fühlen

Der große Bruder, der früher schon den Hintern nicht hochgekriegt hat, fläzt auf dem Sofa, während man selbst eifrig und emsig schmutziges Geschirr in der Küche stapelt? Zeit für einen Ausraster, also ist man einfach mal wieder zwölf und kreischt „Der soll gefälligst auch mal was helfen!“. Das ist natürlich albern, aber es ist so schön einfach, sich in die Rolle des Kinds zu flüchten, das man einmal war – besonders zu Hause und an Weihnachten. Aber vielleicht versucht man es trotzdem lieber mit ein bisschen Selbstbeherrschung.

3. Sich nicht ärgern lassen

Ein paar Klassiker: „Und, hast du ‘nen Freund?“; „In der Branche verdient man aber schlecht, oder?“; „Dir hat’s im letzten Jahr geschmeckt, das sieht man!“; „Ihr könntet jetzt aber auch mal langsam Kinder kriegen“ – alles definitiv Grenzüberschreitungen und Unverschämtheiten – aber wäre es nicht vielleicht besser, sich das als gute Anekdoten für die Zeit nach Weihnachten aufzuheben, anstatt beleidigte Leberwurst zu spielen?

4. Sich nicht in starre Pläne hineinsteigern

Man hatte sich das ganz entzückend ausgemalt: Weihnachten mit den lieben Kleinen in der Kirche, Kindergottesdienst, Krippenspiel, wie niedlich! Wenn man sich also wenige Minuten nach Beginn des Gottesdienstes fluchtartig und leise Entschuldigungen murmelnd durch Menschenmengen in Richtung Ausgang wühlt, weil sich ein renitenter Dreijähriger, der leider zur Familie gehört, schreiend auf dem Boden wälzt, könnte man: Sich die Laune vermiesen lassen – oder versuchen, es sportlich zu nehmen: Sonst klappt im Alltag je auch beileibe nicht alles, wieso sollte es gerade an Weihnachten mit all dem Erwartungsdruck anders sein? Also Schwamm drüber.

5. Problemgespräche vertagen

Keine Familie ist im Laufe des Jahres von eher unschönen Ereignissen verschont geblieben, der ein oder andere Konflikt kokelt also bei jedem Weihnachtsfest vor sich hin – Mutter trinkt zu viel, Bruder kifft zu viel, Schwester arbeitet zu wenig (also gar nicht) – die Frage ist nur, ob man diese Themen ausgerechnet an den ohnehin so mit Emotionen aufgeladenen Tagen ansprechen sollte.

6. Nicht provozieren

Von Schwiegermutters Übereifer genervt? Die Rache: Eine Viertelstunde zu spät zum Gänsebraten geschlurft kommen, weil der Aufbau des Playmobil-Beuteschiffs keinen Aufschub geduldet hatte. Kann man sich auch einfach sparen, diese Art von Kleinkrieg.

7. Nicht zu viel erwarten

Der elfjährige Neffe straft einen mit Todesverachtung, weil man es gewagt hat, von seinem offiziellen Wunschzettel („ein iPad“) abzuweichen? Das eigene Kind schreit seit fünf Minuten „Blödmann! Penner!“, weil man sich geweigert hatte, einer Vierjährigen den „Prinzessin Lillifee“-Kosmetikkoffer zu schenken? Wenn es irgendwie geht: Nicht persönlich nehmen. Auch und gerade Kinder befinden sich an Weihnachten in einem Ausnahmezustand – wieso sollten sie sich besser benehmen als die Erwachsenen?

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