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Wenn Frauen von ihrem (Ex-)Partner getötet werden: das ist kein Beziehungsdrama, sondern Mord

147 Frauen wurden 2017 in Deutschland von ihren Partnern oder Ex-Partnern umgebracht. Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn diese Morde als „Beziehungs-” oder Eifersuchtstaten” deklariert werden? Das fragt sich unsere Redakteurin Helen Hahne in ihrer Kolumne „Ist das euer Ernst?”.

Zahlen, die wütend machen sollten 

Gestern, am 18. Juli 2018, besuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel das Hilfetelefon im Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben in Köln. Das Hilfetelefon gibt es seit 2013. Damals wurde es eingerichtet, um Gewalt-Opfern ein niedrigschwelliges Beratungs-Angebot zu schaffen. 143.000 Mal haben die Berater*innen seit dem Start per Telefon, Chat oder E-Mail beraten. 81.795 der Personen waren selbst von Gewalt betroffen. Die anderen Anrufer*innen waren unterstützende Personen und Fachkräfte. Alleine 2017 wurden 37.445 Beratungen durchgeführt. In 60 Prozent ging es um häusliche Gewalt. 

Zahlen, die für sich sprechen und die auch zur neuesten Kriminalstatistik für Deutschland, die im Mai 2018 vorgestellt wurde, passen: 2017 wurden 147 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern umgebracht. Im gleichen Zeitraum wurden 11.282 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung angezeigt.

Und diese Gewalttaten gegen Frauen werden in der Regel dann in der öffentlichen Debatte sprachlich marginalisiert. Zu den beliebtesten Schlagzeilen-Begriffen gehören „Familien-” und „Beziehungsdrama” – was sich als Pendant zum „Sex-Skandal“ bei sexualisierter Gewalt lesen lässt. Zudem werden weibliche Opfer häufig degradiert und/oder (unreflektiert) „Victim-Blaming” betrieben. Auf diese sprachliche Ausdeutung der Gewalt weisen gerade Feministinnen immer wieder hin – eine Sensibilisierung für die Thematik und ein echtes Nachdenken über die gelernten Begriffe, die eher verschleiern als benennen, findet aber leider noch nicht wirklich statt. Immer wieder werden Frauen dafür verantwortlich gemacht, dass Männer ihnen Gewalt zugefügt haben. Das sagt eine ganze Menge über den gesellschaftlichen Stellenwert von Frauen aus. 

Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland also bittere Realität. Die Auseinandersetzung mit ihr allerdings findet oft erst dann statt, wenn der Täter für rassistische Stimmungsmache genutzt werden kann. 

Gewalt gegen Frauen ist kein importiertes Problem 

So wird die neueste Kriminalitätsstatistik von rechten Politiker*innen, Publizist*innen und Aktivist*innen instrumentalisiert, um Stimmung gegen Ausländer, Personen mit Migrationsvor- oder Hintergrund, Asylsuchende und Geflüchtete zu machen.

Unter Zuwanderern, damit fasst die Statistik unter anderem Asylsuchende, anerkannte Geflüchtete und Geduldete zusammen, insgesamt werden circa acht Prozent jährlich polizeilich registriert. Das sind exakt genauso viele wie junge deutsche Männer. Und die meisten, die unter die Gruppe der Zuwanderer fallen, sind eben auch jung. Eine erhöhte Anzahl an Straftaten von Menschen, die in der Kategorie „Zuwanderer” zusammengefasst werden hat, so zeigt es der Kriminologe Christian Walburg in seiner Studie, die auf der Kriminalstatistik beruht, zwei Gründe:  Zum einen sind vor allem 2015 und 2016, im Rahmen der sogenannten Flüchtlingskrise und der Nicht-Schließung der deutschen Grenzen deutlich mehr Zuwanderer nach Deutschland gekommen. Damit steigt auch die Zahl der von dieser Gruppe verübten Straftaten sexualisierter Gewalt insgesamt, nicht aber proportional. Zum anderen ist durch die Reformierung des Sexualstrafrechts die Zahl der angezeigten Sexualstraftaten allgemein deutlich gestiegen. Seit 2016 gelten die „Nein heißt Nein”-Regel und der Straftatbestand der sexuellen Belästigung, der auch zum Beispiel „Grapschen” unter Strafe stellt. Auch deshalb kommt es zu einem Anstieg der Zahlen.

Gewalt gegen Frauen ist in Deutschland Alltag 

Gewalt gegen Frauen dürfen wir nicht als importiertes Problem darstellen. Erst am 1. Juli 1997 wurde Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland strafbar. Und das nicht einmal einstimmig: 138 Abgeordnete stimmten gegen das Gesetz – einer von ihnen übrigens Horst Seehofer. 21 Jahre ist das nur her. Und viele der Politiker*innen, die damals gegen die Reform stimmten, gestalten die Politik Deutschlands heute immer noch mit, ohne sich jemals von dieser Abstimmung distanziert zu haben. 

Gleichzeitig sind Frauenhäuser in allen Bundesländern überlastet. Immer wieder müssen schutzsuchende Frauen abgelehnt werden. Ungefähr jede vierte Frau in Deutschland wird im Laufe ihres Lebens von einem meist männlichen Beziehungspartner misshandelt. Gewalt gegen Frauen ist weiterhin an der Tagesordnung, in Deutschland, aber auch in ganz Europa. In England steigt die Anzahl der Gewalttaten gegen Frauen, während einer Fußballweltmeisterschaft so signifikant an, dass der englische Staat sein Beratungsangebot für diesen Zeitraum aufstocken ließ, in Österreich gab es 2018 bereits 16 Femizide (Frauenmorde) und trotzdem werden dort gerade die Gelder für Gewaltsprävention und Beratungsangebote gekürzt.

Wir brauchen einen politischen Wandel 

Aber Gewalt gegen Frauen beginnt früher: In Irland müssen etwa erst Frauen sterben, bevor das Abtreibungsgesetz endlich liberalisiert wird. In Polen wird dieses sogar weiter verschärft. Und wiederum in Deutschland steht das Selbstbestimmungsrecht von Frauen in Bezug auf Abtreibungen und damit ihren eigenen Körper immer noch zur Debatte. Auch das ist ein Ausdruck einer patriarchalen Gesellschaft, die Gewalt gegen Frauen in diesem Ausmaß erst möglich macht.

An den Zahlen wird sich nichts ändern, wenn Angela Merkel zwar öffentlichkeitswirksam das Hilfetelefon gegen Gewalt besucht, gleichzeitig in diesem Land aber eine Politik und eine Berichterstattung stattfindet, die ein patriarchales Gesellschaftssystem auf allen Ebenen unterstützt. Solange, wie in Berlin letztes Jahr, 827 Frauen und 1042 Kinder auf der Warteliste für ein Frauenhaus stehen, solange die Bundesregierung die Istanbul-Konvention nicht in konkrete Maßnahmen übersetzt, aber auch so lange Frauen ihr Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper abgesprochen wird und immer wieder die Frage gestellt wird, welche Verantwortung die jeweilige betroffene Frau denn an der Tat tragen würde, die gegen sie verübt wurde, solange wird sich die Gewaltspirale für Frauen weiterdrehen. 

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