Jede*r hat das Recht, sich als sexuelles Wesen zu verstehen und sich im eigenen Körper zu Hause zu fühlen. In ihrer neuesten Kolumne schreibt Theresa Lachner über den Wert von sexueller Selbstfürsorge und ihren Einfluss auf unsere mentale und körperliche Gesundheit.
Zu Hause, in meinem Körper
„You can take a lot of pain. I can tell“, sagt der Typ neben meiner Massageliege, während er beginnt, mich zu hypnotischem Techno in Positionen zu stretchen, zu denen kein Mensch in der Lage sein sollte. Der Schmerz durchströmt mich, heiß und klar, macht mich wach, fokussiert mich. Wer diesen Schmerz fühlt, schafft es nicht, gleichzeitig an die Steuererklärung zu denken, oder daran, wie man gerade aussieht. Ich atme in den Schmerz hinein und ich bin der Schmerz, bis ich meine Stimme höre, die jetzt „enough“ sagt. „That will be our safeword for today“ sagt der Typ. Ich erkenne seine Griffe aus meiner eigenen Massageausbildung wieder, beschließe, dass er schon weiß was er da tut, und lasse mich darauf ein.
Siebzig Minuten später sehe ich meinen Körper im Spiegel und merke: Ich bin endlich wieder hier. Nicht in einem der vielen Züge, die ich in den letzten Wochen zu viel zu vielen Terminen genommen habe, nicht zu Hause in meinem Bett, das ich krankheitsbedingt gar nicht mehr verlassen wollte, nicht am Motzen darüber, dass nach zwei Wochen ohne Sport meine Jeans nicht mehr richtig passt, und nicht bei irgendeinem dahergelaufenen Typen. Als ich auf die Massageliege geklettert bin, habe ich mich unwohl gefühlt, nicht besonders schön, ziemlich fertig irgendwie. Jetzt bin ich hier, ich bin zu Hause, und alles in mir vibriert. Mein Körper ist so präsent und ich bin dankbar dafür, dass mir Attribute wie „schön“ oder „hässlich“ nur noch absurd vorkommen – er ist einfach, und das ist gut so.
Sexuelle Selbstfürsorge ist quasi ein Menschenrecht
Ich weiß, nicht jede*r von uns hat das Privileg, zur Massage gehen zu können. Und in Zeiten von Corona ist das eh keine Option. Aber wirklich, wirklich jede*r hat das Recht darauf, sich im eigenen Körper als sexuelles Wesen zu Hause zu fühlen – und zwar unabhängig davon wie able-bodied er*sie ist und wie er*sie gerade aussieht. Jetzt. Nicht erst in zehn Kilo weniger. Nicht erst, wenn der Tindertyp endlich zurückschreibt. Es gibt nichts, das wir tun müssen, um uns dieses Recht zu verdienen.
„Sexuelle Gesundheit ist untrennbar mit Gesundheit insgesamt, mit Wohlbefinden und Lebensqualität verbunden. Sie ist ein Zustand des körperlichen, emotionalen, mentalen und sozialen Wohlbefindens in Bezug auf die Sexualität und nicht nur das Fehlen von Krankheit, Funktionsstörungen oder Gebrechen. Sexuelle Gesundheit setzt eine positive und respektvolle Haltung zu Sexualität und sexuellen Beziehungen voraus sowie die Möglichkeit, angenehme und sichere sexuelle Erfahrungen zu machen, und zwar frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt. Sexuelle Gesundheit lässt sich nur erlangen und erhalten, wenn die sexuellen Rechte aller Menschen geachtet, geschützt und erfüllt werden.“
Das schreibt nicht irgendwer, sondern die Weltgesundheitsorganisation WHO. Sexuelle Selbstfürsorge ist also nicht weniger als ein Menschenrecht. Keine Challenge, keine Selbstoptimierung, sondern eine Lebensaufgabe: sich selbst ein gutes Zuhause zu sein.
Selbstbefriedigung macht frei
Es geht darum, den eigenen Körper neugierig zu beobachten, immer besser zu verstehen, was er gerade möchte und ihm genau das zu geben. Darum, sich selbst möglichst wenig zu betäuben, sondern wach zu bleiben, neugierig, uns selbst der*die aufmerksame Lover*in zu sein, den*die wir uns immer gewünscht haben. Bei der Selbstbefriedigung nicht auf den kleinstmöglichen Nenner setzen, sondern auf Umwege, die die Ortskenntnis erhöhen – auf schmecken, streicheln, zwicken. Langsam. Dann: noch langsamer.
Das ist etwas, womit man als Frau grundsätzlich eher selten öffentlich rumprotzt, aber: Ich weiß ziemlich genau, wie ich‘s mir selbst so besorgen kann, dass ich danach mehrere Minuten lang einen Lachanfall mit Schluckauf habe, sich die Nachbarn wundern und mein Bettlaken nass ist. Ich weiß, wer ich bin, was ich brauche und wie ich es mir selbst geben kann. Und das macht extrem frei.
Wenn es einen guten Zeitpunkt gibt, ausgiebig Quality Time mit sich selbst zu verbringen, dann ja wahrscheinlich genau jetzt. Dass die Verkaufszahlen von Sextoys gerade rapide ansteigen, überrascht mich kein bisschen – wir nennen es Home Office. Also gönnt euch, bitte gerne: Ruhe, Neugierde, Aufmerksamkeit, Hingabe. Vielleicht ein Toy, vielleicht eine Stunde Yoga auf der Matte zu Hause, vielleicht etwas ganz anderes. Alles, was eure Körper zum Vibrieren bringt, ist gut. Und mehr noch: es ist euer Menschenrecht.