Sie wird täglich online beleidigt und bedroht. Publizistin und Autorin Ingrid Brodnig erklärt, warum beim Thema Greta Thunberg „alle Hemmungen“ fallen.
Beleidigungen, Drohungen und Hass erlebt Greta Thunberg täglich
Kurz nach ihrer Rede vor den Vereinten Nationen, meldete sich Greta Thunberg auf Twitter. Sie schrieb: „Wie ihr vielleicht bemerkt habt, sind die Hater so aktiv wie eh und je – greifen mich, mein Aussehen, meine Kleidung, mein Verhalten und meine Besonderheiten an. Sie denken sich jede erdenkliche Lüge und Verschwörungstheorie aus.“ Seit ihrer „How-Dare-You-Rede“ hat der Hass gegen die schwedische Schülerin noch weiter zugenommen. Beleidigungen, Vergewaltigungs- und Morddrohungen erhält Thunberg inzwischen täglich. Die Publizistin Ingrid Brodnig fasst die Stimmung gegen Greta Thunberg so zusammen: „Mir fällt weltweit niemand ein, der so viele Aggressionen abbekommt.“
Brodnig ist Autorin und Journalistin, 2016 hat sie das Buch „Hass im Netz: Was wir gegen Hetze, Mobbing und Lügen tun können“ geschrieben. Ihrer Meinung nach kommen mehrere Aspekte zusammen, die den Hass gegen Thunberg verstärken. Die Klimakrise sei ein politisch unglaublich umkämpftes Thema, auf das Gegner*innen oft mit Falschmeldungen reagieren würden, sagt sie. Aber auch ihr Alter, ihr Geschlecht und ihr Asperger-Syndrom werden instrumentalisiert.
Morddrohungen und Vergewaltigungsfantasien
„Jede*r kann grundsätzlich Hasskommentare erleben. Aber je prominenter ich werde, je mehr ich im Fokus der Öffentlichkeit stehe, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit.“ Brodnigs Prognose zufolge ist Greta Thunberg momentan international die Person, die am meisten Aufsehen erregt. Ihre Rede vor der UN habe eine weitere Welle beleidigender und bedrohender Kommentare ausgelöst. „Es ist statistisch nahezu unmöglich, alles zu sammeln, was sie an Beleidigungen erhält.“ Obwohl sie mit Hass im Netz vertraut ist, schockiert es Ingrid Brodnig, wie viele Menschen Greta Thunberg den Tod wünschen. „Das ist nicht einfach nur Häme. Das ist schon wirklich bedrohlich und das sollte man ernst nehmen.“ Brodnig verweist auf die Fälle von Walter Lübcke oder Jo Cox. Beide Politiker*innen wurden Opfer tödlicher Attentaten von Anhängern rechter Ideologien. Die Drohungen gegen Thunberg seien mitunter erschreckend explizit: „Ich glaube, dass man ihren Schutz absolut ernst nehmen sollte.“
Die Recherchegruppe „Die Insider“ veröffentlichte Facebook-Kommentare, die einen Einblick in den bodenlosen Hass bieten, der sich gegen Greta Thunberg richtet. Die Screenshots stammen aus der geschlossenen Facebookgruppe „Fridays for Hubraum“. Unter anderem heißt es dort: „Wenn die ganze Welt so schlecht ist … warum geht das Kind net einfach sterben?“ Ein anderes Gruppenmitglied fragte, wie viel ein Auftragsmord koste.
Sexismus gegen Greta
„Als Person wird man nicht dafür belohnt, wenn man Menschen sagt, es muss sich etwas ändern“, sagt Brodnig. Klimaforscher*innen hätten schon seit Jahren das Problem, dass ihre Forschungsergebnisse angegriffen und bezweifelt würden. „Aber keine*r von denen war so populär wie Greta Thunberg.“ Das hat viel mit Thunbergs medialer Präsenz zu tun; ihre internationale Prominenz mache aus ihr ein Ziel für Hass. „Je berühmter sie wird, je mehr sie zum Symbol wird, desto mehr wird sie auch zur Angriffsfläche.“ Wer Greta niedermacht, mache die gesamte Idee der Klimakrise nieder, so die Logik dahinter. Wer gegen wirtschaftliche Regulierungen ist, sieht Greta als verantwortlich dafür an. Dadurch bekommt die 16-Jährige „die volle Ladung“ der Klimaskepsis zu spüren.
Die Art, wie über „Fridays for Future“ und Greta Thunberg im speziellen geredet würde, sei stark von Sexismus geprägt. Ingrid Brodnig erklärt das am Beispiel des Begriffs Klimahysterie: „Der Vorwurf, hysterisch zu sein, ist eine der klassischen Beleidigungen gegen Frauen.“ Mit dem Begriff würde versucht, Argumente wegzuwischen und Thunberg stattdessen auf einer anderen Ebene anzugreifen. Wo die Argumente nicht reichen, werden vermeintlich geschlechterspezifische Eigenheiten kritisiert. Gretas emotionale Rede vor der UN habe gut zu diesem Feindbildern gepasst, so Brodnig. „Wenn eine Frau Emotionen zeigt, heißt es oft nicht: Die ist ein Mensch und die ist einfühlsam.“ Stattdessen müsste sie sich für ihre Gefühle rechtfertigen oder würde als unseriös dargestellt.
Zu jung, zu präsent, zu autistisch
„Ein Teil der Wut dreht sich auch um ihr Alter.“ Nach der Meinung mancher Kommentator*innen sollten Jugendliche den Mund halten, weil sie bei Themen wie der Klimakrise nichts mitzureden hätten. Das sei Ausdruck eines autoritären Gesellschaftsbildes: Kinder und Jugendliche sollen das Reden lieber den Erwachsenen überlassen. Sichtbar würde diese Denkweise unter anderem, wenn Greta als „Göre“ bezeichnet würde. „Sie ist eine Jugendliche und manche User meinen anscheinend, es ist nicht ihr Platz, so sichtbar zu sein.“ Auch wegen ihres Asperger-Syndroms wird Greta angegriffen. Laut Brodnig ist das leider nicht verwunderlich: „Jede Besonderheit eines Menschen kann gegen ihn verwendet werden.” Die Publizistin schätzt Kommentare, die Gretas Autismus in den Mittelpunkt stellen, als „eine ganz üble Form von Ableismus“ ein.
„Jede Besonderheit eines Menschen kann gegen ihn verwendet werden.“
Ingrid Brodnig
Falschmeldungen, die in der Diskussion um die Klimakrise besonders gängig wären, würden den Hass weiter antreiben: „Bei Greta Thunberg fallen alle Hemmungen.“ Brodnig beobachtet, dass ein Großteil der Wut aus dem politisch rechten Spektrum kommt. International positionieren sich rechte und nationalistische Politiker*innen als Leugner*innen eines menschengemachten Klimawandels und diskreditieren Greta. Aber nicht jede*r, der über sie schimpfe, sei klar dem rechten Spektrum zuzuordnen. „Wenn ich als junge Frau eine gewisse Sichtbarkeit habe, kann ich Sexismus aus allen politischen Richtungen abbekommen“, versucht Brodnig diese Entwicklung zu erklären.
Greta selbst gibt sich von all dem Hass recht unbeeindruckt. In einem weiteren Tweet rief die 16-Jährige die Anhänger*innen von Fridays of Futures dazu auf, den Hass ins Leere laufen zu lassen und sich auf ihre politischen Ziele zu konzentrieren: „Verschwendet eure Zeit nicht damit, ihnen Beachtung zu schenken. Die Welt wacht auf.“
Der Originaltext von Katharina Alexander ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.