Keine Wege, keine Ablenkung, mehr Zeit fürs Kind. Doch auch viele hinterhältige Nachteile. Eine Zwischenbilanz aus dem Home-Office-Alltag.
Raus aus dem Pünktchen-Pyjama
Ich komme von draußen. Hänge Jacke und Tasche auf, fahre den Rechner hoch, setze mich hin. Für mich ist das etwas Besonderes. Denn mein Arbeitsplatz ist nur fünf Meter von meinem Bett entfernt. Ich könnte mich theoretisch in meinem hellblauen Pünktchen-Pyjama an den selbigen setzen. Das tue ich aber nicht. Zumindest nicht mehr. Ich habe festgestellt, dass ein Pünktchen-Pyjama zwar hervorragend mit Angry Birds, Amazon und Netflix harmoniert. Bei Geschäftsberichten, Telefongesprächen und Exposés jedoch Körper und Geist lahmlegt. Und das äußerst erfolgreich.
Als ich mich entschieden habe, von zu Hause aus zu arbeiten, lagen die Vorteile auf der Hand: Keine Anfahrtswege, keine Ablenkung durch Bürolärm, mehr Zeit fürs Kind. Nach neun Monaten Home Office werden nun die Nachteile deutlich: Keine Anfahrtswege, keine Ablenkung durch Bürolärm, mehr Zeit fürs Kind.
Ich geh zur Arbeit – auch im Home Office
Dass die morgendliche Bahnfahrt durch die Innenstadt als räumlicher Puffer absolut notwendig ist, um mich auf die Arbeit einzustimmen und vor allen Dingen meinen privaten Kram zu Hause zu lassen, war mir so nicht bewusst. Es ist nicht gerade von Vorteil morgens in sein Büro zu treten und festzustellen, dass der Rechner über Nacht lief. Nicht wegen der Stromkosten, sondern wegen der Versuchung da weiterzumachen, wo man gestern Abend aufgehört hat: bei der zweiten Staffel von „Orange is the new black“. Oder zu entdecken, dass das Kind seine neuen Wachsmalstifte ausprobiert hat. Auf den hübsch aufgereihten, frisch gedruckten Visitenkarten.
Und auch der Kopf ist noch ganz bei Einkaufsliste und Geschirrspüler, wenn man aus dem Wohnzimmer ins hauseigene Büro tritt. Das Übertreten der Türschwelle ändert gar nichts. Das Umschalten fällt schwer. Kennt ihr das?
Also schaffe ich mir den räumlichen Puffer zwischen Arbeit und Heim jetzt künstlich: Wird das Kind in die Kita gebracht, drehe ich eine Runde um den Block und gehe erst dann zur Arbeit. Dieses künstliche Ritual hat auch den vorteilhaften Nebeneffekt, dass ich mich anziehen muss. Und zwar ordentlich. In einem Bademantel zum Bäcker zu gehen, wäre zwar machbar, auf die Dauer aber etwas entwürdigend – für den Brötchenmann und für mich.
Umgekehrt werden auch die abendlichen Bahnfahrten schmerzlich vermisst. Der heimische Flur zwischen Arbeits- und Wohnzimmer ist als Anfahrtsweg zu kurz, um den Jobstress abzustreifen und wohlgelaunt der Familie entgegen zu treten. Also wird das künstliche Abendritual auch hier durchgezogen. Zumindest so gut es geht. Sind Mann und Kind schon zu Hause, lässt es sich schwer argumentieren, warum Mama aus dem Flur schleicht, um zehn Minuten später in leicht schizophrener Manier zurückzukehren.
Der Feind in meinem Büro
Wie ging das noch mal mit der Spesenabrechnung? Und wer ist bei „Schwiegertochter gesucht“ rausgeflogen? Es ist doch so: Die wirklich wichtigen Dinge lassen sich nicht klären, wenn man mutterseelenallein vor seinem Rechner sitzt. Auch lässt es sich mit den eigenen vier Wänden nicht so gut über die Ansprüche des Chefs echauffieren. Das Allerschlimmste: Der kreative Austausch, bei dem aus einem albernen Plausch eine zündende Idee entsteht, fällt komplett weg. Letzteres ist nicht zu verachten, gerade weil ein Großteil der Home-Officer Kreative sind – Journalisten, Grafiker, Designer.
Klar ist der Lärmpegel eines Großraumbüro auch schon mal in die Höhe geschnellt, wenn quer durch den Raum brüllend nach einem Kollegen gefahndet wurde. Oder wenn die Tischnachbarin mit der Quietsch-Stimme beim Telefonieren einfach nicht zu Potte kam.
Das ist aber nichts im Vergleich zu den akustischen Herausforderungen eines Home Offices. Entweder es ist totenstill, dass ich die Uhr im Nebenzimmer ticken höre, die mich mit jeder vorbeiziehenden Regung daran erinnert, dass ich noch keinen Cent verdient habe. Oder ich werde durch den presslufthammerartigen Waschgang meiner Vintage-Waschmaschine herausgebracht. Gleich muss ich aufstehen und manuell auf den Schleudergang umschalten, denke ich. Das Rädchen klemmt, und die Wäsche würde sonst im dreckigen Wasser versiffen. Die Spülmaschine kann ich auch gleich ausräumen, in der Küche die Einkäufe in den Schrank räumen und die Einkaufsliste für morgen schreiben. Und schon ist es 12 Uhr und man hat abgesehen von Butter, Tampons und Windeln noch gar nichts Ordentliches zu Papier gebracht.
Das Arbeiten zu Hause birgt die Gefahr eines nicht-enden-wollenden Hausarbeitsrattenschwanzes in sich, der einen um ein Vielfaches mehr ablenkt als das büro-gemeinsame Schielen auf Facebook. Die Lösung: Imaginäre Scheuklappen, mit denen ich jetzt morgens an den Wäschebergen, umgeworfenen Bauklotztürmen und herumfliegenden Magazinstapeln vorbeirausche. Die Kunst ist es, den Dreck auch dann demonstrativ zu ignorieren, wenn man mal auf Toilette oder in die Küche muss.
„Du warst doch den ganzen Tag zu Hause“
Dieses Verhalten einem Nicht-Home-Officer beizubringen, ist äußerst schwierig. Mein Mann, selbst Vollzeit-Angestellter, ist da leider keine Hilfe. Im Gegenteil. Wie zufällig, hat sich seine Beteiligung am Haushalt mit meinem Amtsantritt als Selbstständige halbiert. Soll heißen: Wäsche wird nicht mehr gemacht, der Frühstsückstisch nicht abgeräumt („Ich muss schnell los, kannst du das eben machen?“) und auch die Einkäufe werden abgewälzt. Dabei dient ihm der für jeden Freelancer meist gehasste Satz als Ausrede: „Du bist doch den ganzen Tag zu Hause, dann kannst du das zwischendurch machen.“ Es ist eindeutig: Der Mann scheint Arbeit von zu Hause mit Hausarbeit zu verwechseln.
Die Lösung war vergleichsweise einfach: Nachdem er am Abend öfters den unaufgeräumten Frühstückstisch vorfand oder seine Wäsche immer noch nass in der Maschine lag, war der Groschen gefallen.
Beim Thema Kind war das Problem nicht so leicht. Natürlich wollte ich durch die Selbstständigkeit meine freie Zeit selbst einteilen und mehr Zeit mit unserem Kind verbringen. In meiner Freizeit klappt das auch super. Weniger super, ist es, wenn der Mann den Kleinen betreut und Mama gleich im Zimmer nebenan arbeitet. Wie praktisch: „Schaaatz, der Kleine hat die Hose voll und will keine frische Windel! Kannst du kurz helfen?“
Allein die Vorstellung, ich würde mit Kind und Kackwindel in sein Lehrerzimmer marschieren, ihm den Kleinen entgegenstrecken und erklären: „Schaaatz, der Kleine hat die Hose voll, kannst du kurz helfen.“ Absurd. Aber fürs Home Office gerade gut genug.
Wer auch immer behauptet, Facebook und Whatsapp würden durch ihr spontanes Aufpoppen die Produktivität mindern, hat noch nie von zu Hause aus gearbeitet – mit Mann und Kind, die eine Wand weiter „Hoppe Hoppe Reiter“ auf den Boden stampfen.
Nach langen Diskussionen haben zwei Dinge geholfen: Ein Türschild mit der Aufschrift: „Ruhe bitte, Mama arbeitet“. Und die Vereinbarung, dass Mann und Kind nach der Kita noch bis 16.30 Uhr auf den Spielplatz müssen.
„Du arbeitest ja nicht so richtig“
Natürlich ist nicht alles am freiberuflichen Dasein schlecht. Ganz und gar nicht. Man kann sich frei nehmen, wann man will, kann einen Montagmorgen komplett abgammeln und ganz gemütlich die Leere einer Postfiliale um 11 Uhr Vormittags genießen. Gleichzeitig ist gerade dieses Bild Vorlage dafür, dass die Arbeit des Freiberuflers nicht immer für voll genommen wird. Das offenbarte sich mir ein mal mehr bei einer sonst sehr modern denkenden Person – meiner Mutter.
Dass sie als Oma shoppen für ihren Enkel als staatsmännische Aufgabe versteht, ist ja total goldig. Weniger goldig ist es, wenn sie mich immer dann mit „Welche Schuhgröße hat der Kleine jetzt?“-Anrufen bombardiert, wenn ich am Schreibtisch sitze. Der Griff zum Hörer fällt offenbar leicht, wenn Muttern die Gewissheit hat, dass Töchterchen keinen Ärger für private Telefonate bekommt. Und als der Kleine wieder mit einer Erkältung zu Hause lag, wurde mir das Ausmaß der Nicht-Ernsthaftigkeit meines beruflichen Daseins in den Augen meiner Eltern deutlich. „Nimm ihn doch mal für einen Monat raus aus der Kita, damit er sich richtig erholen kann.“ Mama, ich arbeite, antwortete ich. „Ja, aber du arbeitest ja nicht so richtig“, sagte sie und strich mit einem Seufzer dem Enkel über die glühende Stirn. Ich war baff.
Als meine selbstständige Freundin Merle mir dann erzählte, ihr Vater meinte, sie könne keine hohen Honorare verlangen, weil sie ja nicht richtig arbeite, schockierte mich das nicht mehr.
Daher möchte ich bitte allen, die vom „Nichtstun mit viel Geld“ einen Freiberuflers träumen, die folgenden drei Klischees endlich mal verbal aus dem Hirn prügeln. Erstens: Wir arbeiten nicht nur „richtig“, sondern die ganze Zeit und das ganz allein ohne Hilfe von Kollegen. Es heißt nicht umsonst „selbst ständig“. Zweitens: Freiberuflich heißt nicht, dass ich entscheide, wann ich frei mache, sondern selbiges für mich entschieden wird. Egal ob ich gerade auf dem Spielplatz bin, es 21 Uhr ist oder Sonntag. Und Drittens: Freiberufler sind weder ihr eigener Chef, noch haben sie gar keinen Chef. Stattdessen haben sie gleich eine ganze Hand voll. Jeder Kunde ist auch Vorgesetzter, der in der Regel entscheidet, wann, wie viel und für welches Geld gearbeitet wird.
Mein Home ist immer noch mein Office
Und die Moral von der Geschicht? Mein Home ist immer noch mein Office. Aber nur noch zweieinhalb Tage lang. Die andere Wochenhälfte verbringe ich in einer Bürogemeinschaft. Mit echten Kollegen. Und einem Geschirrspüler. Den die Putzfrau ausräumt.
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