Jede elfte Person erlebt sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Auszubildende sind besonders häufig betroffen. Zehn Betroffene erzählen von ihren mehr als unangenehmen Erfahrungen.
Frauen sind doppelt so häufig von Belästigung betroffen wie Männer
Jede*r elfte Arbeitnehmer*in in Deutschland hat in den letzten drei Jahren sexuelle Belästigung erlebt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Antidiskriminierungsstelle, die vergangenen Freitag veröffentlicht wurde. Besonders hilflos fühlten sich demnach Auszubildende und Menschen in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Das Machtgefälle zwischen den Betroffenen und den Vorgesetzten ist in diesen Fällen besonders groß, was Übergriffe begünstigt. Insgesamt gab jede*r fünfte Betroffene an, dass der Übergriff von einem*r Vorgesetzten ausging. In 43 Prozent der Fälle waren Kolleg*innen die Täter*innen. Frauen sind mehr als doppelt so häufig von Belästigung betroffen wie Männer.
In einer anonymen Umfrage wurden Betroffene dazu befragt, ob sie während ihrer Ausbildung sexuelle Belästigung und Übergriffe erlebt haben. Das sind ihre Geschichten:
„Während meines Redakteur*innen-Volontariats durfte ich (24) zwei Tage lang den Mutterkonzern in einer anderen Stadt besuchen und dort den Chef (35) vor Ort kennenlernen. Er hat mich anschließend auf Facebook geaddet und mir zunächst harmlose Fragen zu meiner beruflichen Zukunft gestellt. Er hat mir sogar einen Job angeboten und sich damit mein Vertrauen erschlichen. Irgendwann fragte er plötzlich: ‚Darf ich dich mal etwas Persönliches fragen? Spürt man als Frau eigentlich, wenn ein Kondom beim Sex platzt?‘ – ab da begann er monatelang, mich über gängige Verhütungsmethoden zu befragen, mir ungefragt von seinem Sexleben zu berichten und immer wieder nachzubohren, wie mein Sexleben denn so sei. Er hat mich regelrecht bombardiert mit Texten und teilweise 17 Mal zu verschiedenen Tageszeiten geschrieben, bis ich endlich geantwortet habe. Als ich ihm endlich klar sagte, dass ich keinen Kontakt mehr möchte, hat er nicht eingesehen, was denn das Problem wäre.“
Übergriffige Aufforderungen
„In der Ausbildung mit 16 Jahren bei Siemens gab es einen Mitarbeiter – wahrscheinlich etwa 60 Jahre – der alle weiblichen Auszubildenden aufforderte, sich bei ihm auf den Schoß zu setzen, damit er ihnen was am PC zeigen könne. Soweit ich weiß, haben wir das alle abgelehnt, aber es kam auch niemand auf die Idee, dass man sich wegen so etwas beschweren könnte. Gewusst haben aber alle davon.“
„Als ich Referendarin war, hatten wir ein Schulfest. Der Stundenplaner der Schule – er hat eine große Macht, weil der Stundenplan ganz zentral bestimmt, welche Arbeitsqualität man hat – ist mir total auf die Pelle gerückt. Er stand an mich angekuschelt im Gewühl. Ich fand das total unangenehm, wusste aber nicht, wie ich der Situation entgehen konnte, ohne großen Stress zu machen und diese Person, von der ich mich abhängig fühlte, massiv zu verärgern. Ein ehemaliger Schüler fragte sogar: ‚Herr X, ist das Ihre Frau?‘ Irgendwann konnte ich gehen. Ich habe das einer Vorgesetzten erzählt, diese hat mich leider nicht ermutigt, es zu melden. Heute würde ich jede und jeden ermutigen, das bei der Gleichstellungsstelle oder zumindest bei einer Beratungsstelle zu melden. Ich habe übrigens immer schlechte Stundenpläne bekommen, bis der Typ endlich in Rente ging. Wahrscheinlich hätte ich mehr mitmachen müssen.“
„Ich habe mal im Service in einem großen, bekannten Hotel gearbeitet. Dort hatte ich ein paar Kollegen, mit denen ich mich sehr gut verstand und regelmäßig zusammen arbeitete. Einer davon hat irgendwann angefangen, mich auf der Arbeit ‚rein zufällig‘ immer am Hintern anzufassen. Trinkgeld, das wir gemeinsam erarbeitet hatten, hat er mir in den Ausschnitt gesteckt. Einmal blieb der Aufzug stecken, als wir gemeinsam Roomservice machen mussten. Da hat er meine Hände genommen, um seinen Hals gelegt und zu gedrückt. Ich hab ihm gesagt, er solle das lassen. Aber er hat mich ignoriert. Irgendwann habe ich meinem Chef davon erzählt. Eine Woche später wurde mir mitgeteilt, mein Vertrag werde nicht verlängert, weil ich kein Teamplayer sei.“
„In meiner Ausbildung haben wir unter anderem in der Dunkelkammer Fotos entwickelt und Abzüge hergestellt. Unser Lehrer, über 60, ist oft sehr nah an die Mädchen zwischen 16 und 18 herangetreten und hat ‚lustige‘ Zweideutigkeiten geflüstert.“
„Im Referendariat: Ein Mitreferendar saß immer neben mir, obwohl ich kein besonderes Interesse an ihm gezeigt habe. Ich fand ihn recht unsympathisch. Irgendwann redete er mit meiner Nachbarin, ich saß zwischen den beiden. Dabei gestikulierte er so wild, dass ich meinen Oberkörper weit zurückziehen musste, meine Hände nach vorne schlug und rief: ‚Achte mal auf Deinen Abstand!‘ Er redete erst einmal weiter. Dann sagte er zu mir: ‚Du bist ja auch verklemmt.‘ Ich antwortete: ‚Nicht ich bin verklemmt, sondern Deine Hand war so ein (ich zeigte einen Zentimeter) Stück von meinen Brüsten entfernt.‘ Das hat ihn zum Verstummen gebracht und ich hatte meine Ruhe. Was ich aber wirklich schlimm fand: Meine Mitreferendarin, mit der er sich unterhalten hatte, hat nichts gesagt und die Dozentin, die im Raum war und das auch eindeutig mitbekommen hatte, auch nicht. Ich ärgere mich sehr, dass ich damals nicht wusste, wo ich den Vorfall hätte melden können. Mindestens die Dozentin hätte mich unterstützen sollen. Der Typ ist heute Lehrer – Sportlehrer.“
„Als Gesundheits- und Krankenpflegerin wird man beinah täglich sexuell belästigt. Gerade in der Ausbildung, weil man nicht das nötige Selbstbewusstsein ausstrahlt. Das können kleine Dinge sein, wie zum Beispiel die Aussage: ‚Da ist das süße Mäuschen wieder.‘ Beim Positionieren kommt es dann aber auch häufig vor, dass desorientierte Patienten direkt Richtung Brust greifen oder sich am Po festhalten wollen. Ständig wird einem gesagt ‚Schwester, Sie müssen mich noch waschen.‘ Oder auch: ‚Untenrum kann ich mich nicht alleine waschen.‘ Der Weg als Pflegerin ist gespickt mit solchen Dingen.“
Schuldgefühle bis heute
„Es ist mir unfassbar unangenehm das zu erzählen, weil ich mich dafür unendlich schuldig fühle. Bis heute. Wie kann mir das passieren, wo ich doch so feministisch und stark bin? Mein Chef und Ausbilder hat mich immer nach hinten gebeten, von den Kunden weg, hinter die Tür und mich geküsst, angefasst oder mich gezwungen, bei ihm bestimmte … Handlungen … auszuführen. Ich schäme mich bis heute und traue mich nicht, es zu erzählen oder ihn anzuzeigen, weil ich nicht hören kann, dass es meine Schwäche und mein Versagen war und ich, statt ‚Nein‘ zu sagen, ihn hätte treten oder mich anderweitig körperlich zur Wehr setzen sollen … Ich wollte die Stelle nicht verlieren und war sehr unsicher. Er hat das mit allen seinen Mitarbeiterinnen gemacht, es schien so ,normal‘. Ich war 18.“
„Im Studium durch den Professor, der meine Masterarbeit betreute. Er machte andauernd anzügliche Bemerkungen und erzeugte Drucksituationen, indem er seine Betreuung und Förderung mit privaten Verabredungen und sogar der Begleitung auf Reisen verknüpfte. Ich habe daraufhin meinen Betreuer gewechselt, weil ich mit seinem Verhalten nicht umgehen konnte und wollte. Später habe ich erfahren, dass eine seiner weiblichen Hilfskräfte ihn beim Institutsleiter wegen sexueller Belästigung angezeigt hat. Heute arbeitet er immer noch in gleicher Position, ihm wurden allerdings sämtliche Befugnisse und Privilegien entzogen und er darf keine eigenen Mitarbeiter*innen mehr beschäftigen.“
Der Originaltext von Katharina Alexander ist bei unserem Kooperationspartner ze.tt erschienen. Hier könnt ihr ze.tt auf Facebook folgen.
Im Fall von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz solltest du dich möglichst an eine*n Vorgesetzten wenden oder – sofern vorhanden – den*die Gleichstellungsbeauftragte*n ins Vertrauen ziehen. Anonyme Beratung bietet das Hilfe- und Beratungstelefon der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, immer montags zwischen 13 und 15 Uhr sowie mittwochs und freitags zwischen 9 und 12 Uhr, Telefonnummer 030/185551855.
Wer Opfer sexualisierter Gewalt geworden ist und Unterstützung sucht, kann sich beispielsweise an den Weißen Ring wenden. Täglich von 7 bis 22 Uhr können sich Menschen, die eine Straftat erlebt haben, bundesweit, kostenlos und anonym an die Berater*innen des Opfertelefons wenden, die Telefonnummer ist 116 006. Außerdem bietet der Weiße Ring eine ebenfalls kostenlose und anonyme Onlineberatung an.
24 Stunden erreichbar und ebenfalls anonym und kostenlos ist das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, Telefonnummer 08000 116 016.