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Linda Zervakis: „Monotonie lähmt mich“

Besonders gut funktioniert sie unter Zeitdruck und der ist allgegenwärtig im Arbeitsalltag der Moderatorin, Autorin, Podcasterin und Mutter Linda Zervakis – was man ihr aber kaum anmerkt. Gut gelaunt sprach sie mit uns über Zettelsysteme, Deadlines und ihren Podcast „Gute Deutsche“.

Linda Zervakis sitzt in ihrer Küche. Im Hintergrund ein Kühlschrank, an dem bunte Papiere und Postkarten pinnen. Ein paar Kochschürzen verkleiden die Wand neben der Tür. Linda trägt einen lässigen dunklen Pullover, sie lacht in die Laptop-Kamera. Es ist ein bisschen wie ein digitales Treffen mit einer Freundin. Zumal sie der Host eines Podcasts ist, den ich regelmäßig höre, das schafft allein über die Stimme eine merkwürdige Vertrautheit. Wir kommen gleich darauf zu sprechen. Aber vorher möchte ich von ihr wissen, wie sie dieses verrückte Leben, das sie führt, eigentlich managt: Tagesschau, Podcast, Bücher schreiben – und dann noch die Familie. Ihr Orga-System ist, wie sich herausstellt, erstaunlich analog.

Was hat das Jahr 2020 mit dir gemacht?

„Ich muss sagen: Die erste Zeit des Lockdowns hatte etwas Befreiendes. Das alles trug dazu bei, auch mal wieder auf sich zu hören: Was tut mir gut? Was tut mir weniger gut? Auf welche Sachen habe ich Lust? Wo sage ich in Zukunft vielleicht eher mal ,Nein‘? Das vergisst man, wenn man wie ein Hamster in seinem Rad von Woche zu Woche strampelt: Kinder zur Schule, Kinder zu Hobbys, dann die Arbeit, Frühschicht, Nachtschicht. Das ist doch immer sehr viel. Ich bin ein bisschen zur Besinnung gekommen. Aber jetzt reicht das auch. Ich brauche Menschen, die ich auch mal in den Arm nehmen kann. Es ist dann eben doch etwas anderes, jemandem persönlich ins Gesicht zu schauen, zu lachen oder zu weinen.“

Foto: Daniel Roché

Du bist auf vielen Bühnen unterwegs. Wie machst du das? Würdest du von dir sagen, dass du ein strukturierter und organisierter Mensch bist?

„Grundsätzlich ja. Was ich wirklich immer merke: Unter Zeitdruck bekomme ich alles hin. Angenommen, ich hab jetzt noch eineinhalb Stunden Zeit und ich muss da, da und da hin, dann klappt das. Sobald du mir aus dieser einen Stunde aber drei machst, schaff ich von fünf Punkten einen. Ich sitze dann wie in so einem Vakuum und krieg nichts gebacken. Es funktioniert immer besser, wenn ich Druck habe.“




Also helfen Deadlines?

„Schon. Aber du kannst mir noch so sehr sagen: ,Guck mal, jetzt hast du drei Tage Zeit!‘ Wer sitzt dann unmittelbar davor bis tief in die Nacht und versucht, die Deadline einzuhalten? Ich. So war ich in der Schule schon. Immer auf den letzten Drücker und hoffentlich klappt es diesmal noch. Nur noch dieses eine Mal! Um beim nächsten Mal wieder genauso davor zu sitzen und zu sagen: ,Tja, schade, schade.‘“

Benutzt du bestimmte Tools oder Kalendersysteme, um dich zurechtzufinden?

„Wir haben einen Familienkalender, wo wir unsere Termine synchronisieren, mein Mann und ich. Das ist schon mal ein Tool. Und dann habe ich, ganz schlimm (sie kramt kurz in ihren Taschen, hält kleine Zettel in die Kamera): Post-its! Oder auch alte Briefumschläge, wenn die Post-its alle sind.

Außerdem male ich mir im Kopf immer schon die Route aus, die am praktischsten wäre: Wo erledige ich was? Zum Beispiel: Ich gehe erst zum Arzt, danach in die Drogerie und ,Kann ich auf dem Weg noch irgendwo das Leergut abgeben?’ Dieser Prozess dauert lange und ich merke: Leider kannst du jetzt wieder zwei von fünf Punkten nicht erledigen, weil du einfach zu lahm warst!“

Foto: Daniel Roché

Du bist Autorin, Tagesschausprecherin, Podcasterin, hast auch noch ein Privatleben. Nimm uns mit durch eine Linda-Zervakis-Woche.

„Die ist immer unterschiedlich. Und das ist vielleicht auch das Geheimnis. Monotonie lähmt mich. Ich bin gestern um 3.30 Uhr aufgestanden, musste um 4.30 Uhr im Sender sein, weil um 5.30 Uhr das Morgenmagazin anfängt. Normalere Bedingungen sind: Ich stehe um sechs Uhr auf, brauche erst mal Kaffee, um klarzukommen, Kinder fertigmachen, zur Schule, zurückkommen, aufräumen. Dann muss ich um 18 Uhr los, Vorbereitung mit Schminken und Einlesen, im Anschluss die Tagesschau und dann noch die Tagesthemen. Gegen Mitternacht bin ich meistens zuhause. Das wäre der normale Wahnsinn.

Wenn ich jetzt noch eine Podcast-Aufzeichnung habe, muss ich mich irgendwo in diesem Tagesablauf darauf vorbereiten. Ich lese beziehungsweise höre alle Interviews mit den kommenden Gäst*innen. Das braucht vier bis fünf Stunden minimum. Die Aufzeichnung machen wir meistens in Berlin, dafür nehme ich einen sehr frühen Zug, damit ich das Interview so gegen zehn oder elf führe, um dann rechtzeitig zurück zu sein und auch die Kinder wieder abzuholen. Das ist alles eng getaktet. Das Wochenende kann frei sein, muss aber nicht. Es kommt vor, dass ich mich abends um neun nochmal hinlege bis kurz vor elf und dann in den Sender fahre, um die Nachtschicht zu überstehen. Die geht bis 6 Uhr morgens und dann: Sieh zu, wie du klarkommst. Ich kann das immer schlechter. Es ist möglich, dass du eine Woche hast mit Nachtschicht und Frühschicht – das ist wie einmal um die Welt fliegen, Jetlag pur.

„Eine Woche mit Nachtschicht und Frühschicht – das ist wie einmal um die Welt fliegen, Jetlag pur.“

Linda Zervakis

Es gibt nicht dieses Nine-to-five. Ich versuche, den Kindern den Vorrang zu geben. In der Zeit, wo sie nicht da sind, alles zu erledigen, sodass man danach die Zeit zusammen nutzen kann. Das hat natürlich auch Vorteile, weil ich in der Zeit, in der mein Mann arbeitet, meinen Kram machen kann. Ich bin meist tagsüber für die Kinder da und mein Mann kommt abends und übernimmt, wenn ich in den Sender muss.“

Klingt, als hättest du für alles nur sehr kleine Zeitfenster. Kannst du auf Knopfdruck einschlafen?

„Ich übe dieses Powernapping. Diese 20, maximal 30 Minuten. Klappt meistens nicht, weil ich dann wieder den Druck habe: Es sind nur 20 Minuten, du musst jetzt schlafen! Und nach der Nachtschicht ist es unterschiedlich: Im Sommer oder auch im Frühling fahre ich mit dem Fahrrad zur Arbeit, dann bin ich nochmal an der frischen Luft. Ich bilde mir ein, dass ich danach besser schlafen kann. Oft bin ich sehr aufgedreht, aber wenn man erstmal liegt, erinnert der Körper einen auch daran: Du hast durchgemacht und du bist nicht 18!“

Welche Bedeutung hat dein Podcast „Gute Deutsche“ in dem ganzen Wahnsinn für dich?

„Das ist eine schöne Spielwiese für mich. Man muss sich das so vorstellen: Bei den Nachrichten weiß ich, was da von mir verlangt wird, das kann ich. Beim Podcast Gute Deutsche merke ich: Sich darauf einzulassen, eine Stunde lang mit einem Menschen zu sprechen, den man meist vorher nicht persönlich kannte, das ist einfach schön und spannend. Auch, weil ich da viel mehr Linda bin als um 20 Uhr.“

Beim Titel „Gute Deutsche“ ist jede*r innerlich erst mal zusammengezuckt. Man war so irritiert. Soll ich mich jetzt angesprochen fühlen beziehungsweise will ich das überhaupt? War das so beabsichtigt?

„Tatsächlich, ja. Das ist natürlich ein provozierender Name. Aufgrund der deutschen Geschichte zucken die meisten erst einmal zusammen. Aber es gibt eben Deutsche, die sehen vielleicht auf den ersten Blick nicht so deutsch aus, doch es sind auch Deutsche, und es sind auch ,gute Deutsche’, denn sie leben gerne hier und bringen ihren Teil in die Gesellschaft ein.“

Foto: Daniel Roché | Spotify

In einem Interview wurde die Frage gestellt, ob du hier nicht etwas groß machst, was heute nicht mehr großgemacht werden sollte, weil es doch um Menschen gehen soll und nicht um Nationalitäten. Ist aber der Podcast nicht eine Folge davon, dass Klischees in den Köpfen die Sicht auf den Menschen nehmen?

„Genau das ist das Thema. In den Medien wurde ständig über die Probleme von Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen, aber es wurde nicht mit den Menschen gesprochen. Ganz aktuell ist da dieses Beispiel von ,Die letzte Instanz’. Da denkt man doch: Das könnt ihr jetzt nicht als Wiederholung senden! Habt ihr überhaupt nichts dazugelernt?

Bei mir ist es so: Ich habe keine Probleme, weil ich offenbar eine ,gute Deutsche’ mit einem ,guten Migrationshintergrund‘ bin. Wenn ich sage: Meine Eltern sind aus Griechenland, dann kommt immer: ,Ah, Griechenland, da fahren wir so gerne hin’. Das ist sozusagen ein ,gutes Ausland’.

„Lasst uns das Land von einer Seite zeigen, die in den von Klischees behafteten Bildern in vielen Köpfen eben nicht vorkommt.“

Linda Zervakis

Ich hatte diese Idee von ,Gute Deutsche‘ schon länger. Ich hatte das meinem Sender vor vier oder fünf Jahren angeboten, als die Diskussion rund um die Geflüchteten ihren Höhepunkt erreichte. Um zu sagen: Lasst uns das Land der eingeladenen Person von einer Seite zeigen, die in den von Klischees behafteten Bildern in vielen Köpfen eben nicht vorkommt. Wenn man beispielsweise an Afghanistan denkt, ist immer gleich Krieg und Terror im Hinterkopf. Aber das ist ein Land mit einer Kultur. Da gibt es Landschaften, von denen wissen viele überhaupt nichts. Offensichtlich ist es notwendig, das auch mal anders darzustellen. Dem Sender war das Thema damals zu heikel. Es blieb aber die ganze Zeit in meinem Kopf. Und ich dachte: Ok, ich versuche, daraus einen Podcast zu machen.

Bei der Tagesschau bekomme ich auch Post, meistens von älteren Menschen, die sich ein Autogramm wünschen. Oder jemand schreibt: ,Sie hatten so ein schickes Kleid an, können Sie mir mal sagen, woher das ist?‘ – Beim Podcast war das anders. Über Instagram haben mir so viele Menschen geschrieben. Das war wie eine kleine Horizonterweiterung im besten Sinne.‘“

„Gute Deutsche“ öffnet Türen und erweitert damit den eigenen Raum. Hast du als Moderatorin dieses Gefühl auch während der Gespräche?

„Total, ja. Das ist die Message nach draußen: Hört euch das an und vielleicht habt ihr das nächste Mal, wenn ihr Nachrichten schaut, noch ein paar zusätzliche Bilder im Kopf. Wenn ich das erreicht habe, ist das ein Mehrwert, der unbezahlbar ist. Ich finde, das ist etwas, was in diesen politischen Talkshows oft in den Hintergrund gerät. Da reden ja dann auch privilegierte Menschen über andere Menschen, in deren Ländern sie noch nie persönlich gewesen sind. Und dann heißt es: So ist es und jetzt versuchen wir da mal, Hilfestellung zu geben. Anstatt erstmal zu fragen: Was ist das für ein Land? Wer sind die Menschen, die dort leben? Es ist fatal, immer nur das Negative zu betonen, auch, wenn sich das vielleicht besser verkauft.“

Gab es Gesprächssituationen, die noch immer in deinem Kopf nachhallen?

„Sehr beeindruckend fand ich Gerald Asamoah. Er lebte in Ghana, bevor er mit zwölf Jahren nach Deutschland gekommen ist. Und er erzählte vom Otto-Katalog. Wie er sich den anguckte und dachte: ,Boah, das ist ja wie Weihnachten und Ostern zusammen. Man kann sich das bestellen.‘ Das sind für die meisten Banalitäten.

Und ich musste auch sehr lachen bei Wana Limar, als sie von den Kindergeburtstagen bei McDonalds erzählte. Auch ich bin in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, und bei McDonalds Geburtstag zu feiern, das war bei uns das Highlight. Mit RonaldMcDonald. Oder Palina Rojinski, die Scheiblettenkäse zuerst mit der Folie gegessen hat, bis sie irgendwann gemerkt hat, das kann man abziehen – und das war damals das Größte für sie.“

Eine Gästin von Gute Deutsche war Samira el Ouassil, Journalistin und Publizistin. Sie sagte in eurem Gespräch: „Ich glaube ganz stark an die gesellschaftstransformative Kraft oder die subversive Kraft von Liebe und Familienzusammenhalt.“ Und: „Wir müssen mit offenem Herzen aufeinander zugehen, weil da die Verwandlungen und Veränderungen der Gesellschaft stattfinden.“
Ist das zu schaffen?

„Also, wenn man sich so umschaut, denkt man zwischendurch, nein, das ist nicht machbar. Es ist auch Erziehungssache. Wenn du aufwächst mit diesen Kategorien – guter Mensch, schlechter Mensch – dann hast du da wenig Spielraum, um das noch zu schaffen. Ich bezweifle das leider, weil ich das Gefühl habe, uns geht es einfach zu gut. Gucken wir uns die Parlamente in der EU an, wer da jetzt inzwischen alles mitmischt von rechts. Das ist eine gefährliche Entwicklung. Glaubst du, dass es zu schaffen ist?“

Ich musste da an den Dokumentarfilm von Michel Abdollahi denken. 2015 verbrachte er vier Wochen in einem von vorwiegend Rechtsradikalen bewohnten Dorf. Er fragte den Bürgermeister: Würdest du eine geflüchtete Person kennenlernen wollen? Und der antwortete: auf keinen Fall. Da bestehe die Gefahr, dass er sie mögen könne und dann könne er sie nicht mehr hassen. Das hat mich sprachlos gemacht.

„Ich glaube, in dem Moment, wo du eine Beziehung zu jemandem aufbaust und denkst: So verkehrt ist der*die ja gar nicht, da merkst du, oh shit, jetzt ist mein ganzes Konstrukt, all das, worauf ich hingearbeitet und endlich Anerkennung bekommen habe innerhalb der Gruppe, am Bröckeln. Wie stehe ich denn jetzt in dieser Gruppe da? Da ist vielleicht die Angst, wieder ausgeschlossen zu werden, obwohl man dort doch gerade Gleichgesinnte gefunden hat, die genauso denken.

Auch der Hass im Internet: Das sind vermutlich Menschen, die ohnehin immer ausgegrenzt wurden. Und in der Anonymität können sie sich jetzt auch einfach mal wehren oder zurückschlagen. ,Du blöde Schlampe, was soll das?‘ – So etwas bekomme ich ja auch hin und wieder. Und dann denke ich: Ja gut, wer weiß, was dir in der Schulzeit passiert ist, vielleicht bist du mal gemobbt worden.“

Foto: Daniel Roché | Spotify

Ist Empathie ein Schlüssel?

„Das hoffe ich. Man merkt das ja so zwischenmenschlich jeden Tag. Ich weiß nicht, ob es dir auch so ging, aber mit Fortschreiten der Pandemie hatte ich das Gefühl: Der Ton da draußen wird rauer. Ich fahre ja mehr Fahrrad und weniger Auto, und da ist immer dieses Gemecker.
Im letzten Jahr nun hatte mich ein anderer Fahrradfahrer übersehen und komplett umgenietet. Er war schon in dieser Defensivhaltung: Jetzt krieg ich mein Fett weg. Während ich noch ganz benommen war und nur sagte: Alles gut, tut ein bisschen weh, aber ich gehe davon aus, dass du es nicht mit Absicht gemacht hast. Da war der Schlüssel tatsächlich Empathie. Er hat erklärt, er sei im Stress gewesen, und ich hab ihm zugehört und ihn verstanden. Das funktioniert ganz gut. Oder Humor. Humor entschlüsselt ja immer. Man grinst ein bisschen, bringt einen guten Spruch, dann wird das vom Gegenüber gespiegelt. Also: Motzen macht hässlich.“

Im Grunde sind Humor und Empathie ja auch die Hauptzutaten für Gute Deutsche.

„Das hoffe ich. Dieser Hass ist so sinnlos.“

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