Myriam Sainz leitet bei der Non-Profit-Organisation TechnoServe eine Initiative, die Kaffeefarmerinnen und -farmer auf der ganzen Welt unterstützt. Im Interview erzählt sie, wie sie mit nachhaltigen Geschäftslösungen Armut in Entwicklungsländern bekämpft – und warum das am besten durch Partnerschaften mit großen Unternehmen funktioniert.
„Wir helfen Kleinfarmerinnen- und farmern produktiver zu arbeiten und ihr Einkommen zu erhöhen“
Der Ansatz der amerikanischen Non-Profit-Organisation (NGO), für die die Spanierin Myriam Sainz von Madrid aus arbeitet, steckt bereits im Namen: TechnoServe. Das steht für „Technik im Dienste der Menschheit“. Die Idee dahinter ist, Menschen in Entwicklungsländern nicht einfach Geld und Lebensmittel zukommen zu lassen, sondern ihnen das Wissen und die technischen Hilfsmittel an die Hand zu geben, um sich ein eigenes profitables Geschäft aufzubauen. Die NGO hat in der Vergangenheit eine Reihe von Projekten mitgestaltet. Gemeinsam mit dem US-Ministerium für Agrarwirtschaft entstand beispielsweise das „Mozacaju-Projekt“: ein Förderprogramm, das rund 20.000 Farmerinnen und Farmer in Mosambik mit Wissen und Technik beim Cashewanbau unterstützte, ihnen so dabei half, ihr Einkommen und Leben zu verbessern – und die gesamte Cashewindustrie des Landes wiederbelebte.
Myriam Sainz ist bei TechnoServe Direktorin für strategische Initiativen. In dieser Position geht sie Partnerschaften mit großen Unternehmen ein, um gemeinsam mit ihnen Businesslösungen für Menschen in Entwicklungsländern zu gestalten und umzusetzen. Teilweise sind dies auch Unternehmen, die in der öffentlichen Kritik stehen.
„Obwohl TechnoServe eine NGO ist, geht es in unserem Ansatz darum, den Wirtschaftssektor zu involvieren und für die internationale Entwicklungshilfe zu nutzen. Wir glauben daran, dass wir Armut am besten bekämpfen indem wir Menschen die Werkzeuge geben, um aus eigener Kraft ein besseres Einkommen zu verdienen – heute und in der Zukunft“, sagt Myriam Sainz. „Wir stellen den Kleinbauern also nicht nur Trainingsprogramme und finanzielle Mittel zur Verfügung, sondern helfen ihnen dabei, rentable und langfristige Märkte für ihre Produkte zu finden. Genau das können große Unternehmen leisten.“
Ein Beispiel ist das „AAA Sustainable Quality Program“, das TechnoServe in Kooperation mit Nespresso umgesetzt hat. Die Initiative fördert den nachhaltigen Kaffeeanbau in insgesamt zwölf afrikanischen, südamerikanischen und asiatischen Ländern. Dabei soll die Arbeitsweise und so das Einkommen der Kaffeefarmer verbessert werden. Gleichzeitig wird die Position von Frauen gestärkt. Ein Interview mit Myriam Sainz über ihre Arbeit, das Programm in Ostafrika und ihre persönliche Motivation.
Frau Sainz, können Sie erklären, was TechnoServe genau macht?
„Der Ansatz von TechnoServe ist ziemlich besonders: Wir verfolgen einen Businessansatz um Armut zu bekämpfen. Im Grunde geht es um Hilfe zur Selbsthilfe: Wir glauben, dass es entscheidend ist, den Menschen Zugang zu Bildung, Kapital und den Absatzmärkten zu eröffnen. Das tun wir, indem wir sie landwirtschaftlich ausbilden und ihnen helfen, ihre kleinen Betriebe profitabler zu machen. So arbeiten wir gemeinsam daran, die Produktivität der Farmen zu steigern, die Qualität der Produkte zu verbessern und einen höheren Preis für das Endprodukt zu erzielen. Dabei arbeiten wir mit großen Unternehmen zusammen, mit denen uns ein gemeinsames Ziel verbindet. Dieses Prinzip bezeichnen wir als ‚Creating Shared Value‘.“
Was braucht es, damit eine Kooperation zwischen einer Non-Profit-Organisation wie TechnoServe und einem Unternehmen wie Nespresso allen etwas bringt?
„Ich denke, dass es entscheidend ist, nach den gemeinsamen Zielen zu suchen. Sie bilden die Grundlage für alles, woran wir zusammen arbeiten und was wir erreichen möchten. Jede NGO und jedes Unternehmen hat andere Ansichten – ob nun in Bezug auf die eigenen Ziele oder die ganze Welt. Es gibt aber auch immer etwas, das verbindet. Die Partnerschaft in Ostafrika zum Beispiel ermöglicht es Nespresso, besseren und nachhaltigeren Kaffee zu gewinnen und verbessert gleichzeitig das Leben der Kaffeefarmer und deren Familien. Das ist es, was wir letztendlich erreichen wollen. Sich also immer wieder auf die gemeinsame Mission zu besinnen, ist der entscheidende Faktor solcher Partnerschaften.“
Sie arbeiten seit 2014 für TechnoServe und leiten dort sämtliche strategische Initiativen und verschiedene Förderprogramme. Wie sieht ein „typischer“ Arbeitstag bei Ihnen aus?
„Das ist sehr unterschiedlich, je nachdem, in welcher Phase das Projekt ist, an dem ich gerade arbeite. In meiner Funktion arbeite ich sehr eng mit verschiedenen Akteuren zusammen: Auf der einen Seite bin ich immer in sehr engem Kontakt mit unseren Teams von Nespresso, auf der anderen mit unseren Teams in den Kaffeeanbauländern, die für die Umsetzung zuständig sind. Mehr als 90 Prozent der Mitarbeiter von TechnoServe sind Einheimische, die direkt in ihrem Land an der Basis tätig sind. Von ihnen lerne ich wahnsinnig viel. Sie wissen viel über die Gemeinden vor Ort, die lokale Kaffeewirtschaft und die Anbaubedingungen. Ihr Wissen ist der Schlüssel zum Erfolg unserer Arbeit und ihr Engagement für die Farmer und Kleinunternehmer ist unheimlich inspirierend für mich.“
Wie kam die Zusammenarbeit mit Nespresso zustande? Und welche gemeinsamen Ziele verbinden sie?
„Unser Ansatz ist, Armut durch Partnerschaften zwischen mitunter großen Unternehmen und Kleinbauern in Entwicklungsländern zu bekämpfen. Zu Nespresso hatten wir bereits seit Längerem eine gute Beziehung aufgebaut. Sie kamen 2012 auf uns zu und fragten, ob wir mit ihnen ihr Nachhaltigkeitsprogramm, das ‚AAA Sustainable Quality Program‘, das sie 2003 ins Leben gerufen hatten, in Ostafrika umsetzen würden. Wir hatten dort bereits viel Erfahrung im Kaffeesektor und in der Arbeit mit den Farmern. So begannen wir gemeinsam, Kaffeefarmerinnen und -farmer in Äthiopien und Kenia dabei zu unterstützen, eine bessere Ernte zu erzielen und die Qualität ihres Kaffees zu verbessern. Nespresso arbeitet im Rahmen des Programms mittlerweile in zwölf Kaffeeanbauländern in Afrika, Südamerika und Asien und bezieht heute über 80 Prozent seines Kaffees aus diesem Anbauprogramm. Bis 2020 sollen es 100 Prozent sein.“
„Ein Plan ist dann langfristig nachhaltig, wenn er auch wirtschaftlich Sinn ergibt.“
An diesem Punkt kommen sicher viele ins Stocken: Gerade große Konzerne wie Nespresso stehen immer wieder in der Kritik, nicht nachhaltig zu agieren. Wieso arbeitet TechnoServe trotzdem mit diesen Unternehmen zusammen?
„Die Zusammenarbeit mit großen Unternehmen ist der Weg, der es uns ermöglicht, einen sinnvollen Beitrag zur Reduzierung von Armut zu leisten. Sie ist außerdem ein Mechanismus, der uns hilft, die Wirkung unserer Arbeit auf nachhaltige Art und Weise zu steigern. Mittlerweile erkennen mehr und mehr Unternehmen den Wert von Nachhaltigkeit für ihr Kerngeschäft. Wir glauben, dass Millionen von Menschen aus der Armut herausgeführt werden können, wenn die richtigen Geschäftsmodelle, Innovationen und Investitionen zum Einsatz kommen. Wir arbeiten mit diesen Firmen daran, wachstumsfähige und praktikable Modelle zu erarbeiten, die den geschäftlichen Nutzen mit den Bedürfnissen der Menschen vor Ort in Einklang bringen. Wir wissen, dass ein Plan dann langfristig nachhaltig ist, wenn er auch wirtschaftlich Sinn ergibt. Unser Ansatz ist gleichzeitig langfristig und auch auf Wachstum angelegt. So können wir auf nachhaltige Art und Weise einen echten Unterschied im Leben von Millionen von Menschen machen.“
Wie geht TechnoServe genau vor und wie läuft das Programm genau ab?
„Wir haben unser Training so aufgestellt, dass Farmerinnen und Farmer in Ostafrika direkt bei der Arbeit weitergebildet und unterstützt werden. Wir kennen das ja von uns: Man lernt etwas am besten, wenn man es selbst ausprobiert. Daher führen wir unsere Trainings vor Ort auf Übungsfeldern durch. Wichtig ist dabei, dass die Felder nah genug an den Wohnorten der Farmerinnen und Farmer liegen. So können sie einfach vorbeikommen, selbst üben und später sehen, wie die Kaffeebäume besser wachsen. Wenn sie sich selbst von den Verfahren überzeugen können, adaptieren sie sie später auch auf ihren eigenen Feldern. Weil die Menschen vor Ort vor allem Menschen vertrauen, die sie kennen, binden wir aktiv einzelne Personen aus der Nachbarschaft ein und bilden diese in landwirtschaftlichen Verfahren aus. Sie sind dann diejenigen, die die Kleinfarmerinnen und -farmer schulen, was viel effektiver ist, als wenn wir das tun würden. So wird das Wissen innerhalb der Gemeinschaft weitergegeben.“
Was haben Sie mit dem Programm bisher schon erreicht und welche weiteren Ziele haben Sie?
„Insgesamt arbeiten wir im Rahmen des ‚AAA Sustainable Quality Program‘ mit über 70.000 Farmerinnen und Farmern weltweit zusammen. In Ostafrika allein sind es fast 50.000. Unser Ziel ist es, diese Menschen kontinuierlich weiter zu unterstützen. Sie kennen sich mittlerweile gut mit den verschiedenen landwirtschaftlichen Verfahren aus. Jetzt wollen wir sicherstellen, dass sie auch das entsprechende Folgetraining bekommen. Außerdem möchten wir das Programm gerne noch viel mehr Menschen zugänglich machen: Es gibt über fünf Millionen Kleinfarmerinnen und -farmer in Ostafrika und wir würden gerne noch mehr von ihnen erreichen.“
„Wir ermutigen Frauen, eine führende Rolle auf ihren Farmen zu übernehmen.“
In der Kaffeeproduktion übernehmen Frauen zum Beispiel in Äthiopien und Kenia einen großen Teil der Arbeit, wenn es um Anbau, Ernte und Organisation geht. Handel und Vertrieb gelten aber noch immer als „Männerjobs“. Inwiefern fördern Sie mit dem „AAA Program“ auch Frauen?
„Die Förderung und Stärkung von Frauen ist ein äußerst wichtiger Bestandteil des Programms. Wir sehen, dass Frauen beim Kaffeeanbau viele Aufgaben zusammen mit ihren Ehemännern durchführen. Sie erledigen einen großen Teil der Erntearbeit, aber am Ende sind es oft die Männer, die den Kaffee verkaufen und den Erlös dafür erhalten. Mit dem ‚AAA Program‘ versuchen wir dafür zu sorgen, dass Frauen und Männer den gleichen Zugang zu Wissen und Hilfsmitteln bekommen. Auf diese Weise werden Frauen ermutigt, selbst eine führende Rolle auf ihrer Farm zu übernehmen. Schlussendlich erhalten sie so auch mehr Einfluss auf die Entscheidungen, die den Kaffeeanbau betreffen. Die Ehemänner erzählen uns oft, dass sie dadurch bessere Ergebnisse erzielen und die Produktivität ihrer Farmen verbessern können. Das wiederum verändert nicht nur die allgemeine Situation ihrer Familien, sondern auch die Dynamik ihrer Ehen und Gemeinschaften.“
Welches sind die Momente, die Sie an Ihrer Arbeit besonders mögen?
„Die besten Momente für mich sind die, in denen ich die Menschen treffe, mit denen wir arbeiten. Wenn ich ihre Farmen besuche, Zeit mit ihnen verbringe und sehe, was sie schon alles erreicht haben. Ich bin vor Kurzem in Kenia gewesen und habe eine Frau getroffen, die ihr Haus kurz zuvor ans Stromnetz anschließen konnte. Licht im Haus zu haben – etwas, das für uns selbstverständlich ist – hat ihr komplettes Leben verändert. Sie hat mir davon erzählt, dass sie auf einmal viel mehr Zeit hat, weil sie verschiedene Sachen auch tun kann, wenn es draußen schon dunkel ist. Ihr Kind kann nun auch nach Sonnenuntergang noch lernen. Sie sagt mir, dass sie jetzt viel freier ist. Diese Momente sind sehr bewegend für mich, und ich erlebe viele davon: Die Menschen zeigen mir ihre Kaffeepflanzen und erzählen mir, wie unser Trainingsprogramm ihr Leben verändert hat. Sie zeigen mir zum Beispiel, wie sie ihre Einkünfte investiert haben: in ein festes Dach für ihr Zuhause, einen Stromanschluss oder die Gründung ihres eigenen Kleinbetriebs. Wenn ich so etwas von Zeit zu Zeit erleben kann, gibt mir das Energie, um weiterzumachen.“
Von den großartigen zu den weniger großartigen Momenten: Was sind Ihre Herausforderungen im Alltag und wie gehen Sie mit ihnen um?
„Die größte Herausforderung ist für mich, dass wir mit TechnoServe gerne noch mehr tun würden, um einen noch größeren Effekt unserer Programme zu ermöglichen und noch mehr Farmerinnen und Farmer zu erreichen. Wir suchen daher immer nach Ressourcen, mit denen wir das verwirklichen können und Partnern, die uns dabei helfen. Das lässt sich nicht immer ganz so leicht bewältigen, aber ich stelle mich dieser Aufgabe gerne. Denn wenn ich in Ostafrika vor Ort bin, sehe ich, was wir bereits alles erreicht haben.“
Sie sind Spanierin, Ihre Familie lebte früher in Deutschland, Sie haben in Madrid und Washington studiert und in Miami gearbeitet. Was hat dazu geführt, dass Sie den Fokus Ihrer Arbeit auf Länder wie Äthiopien und Kenia gelegt haben?
„Ich habe mich schon immer leidenschaftlich für Internationale Entwicklung interessiert. Als ich jünger war, wusste ich nicht, wie ich diese Leidenschaft umsetzen sollte, aber ich wusste immer, dass ich in meinem Leben etwas mit Sinn tun muss. Ich habe mich immer privilegiert gefühlt, einfach weil ich in Madrid geboren wurde und Zugang zu Bildung hatte. Deswegen habe ich nach Möglichkeiten gesucht, wie ich einen gesellschaftlichen Beitrag leisten kann. Zuerst habe ich Betriebswirtschaft in Madrid und dann Internationale Beziehungen in Washington studiert. Dabei merkte ich, dass das alleine nicht ausreicht, um etwas in der Entwicklungsarbeit zu bewirken. Ich erkannte, dass man Menschen am besten mit unternehmerischen Lösungen aus der Armut hilft. Nach meinem Studium hatte ich allerdings noch keine unternehmerische Erfahrung. Deshalb bin ich nach Miami gegangen, um dort bei der Unternehmensberatung McKinsey zu arbeiten und mehr über Wirtschaft zu lernen. Meine ganze Karriere über habe ich aber auf meine eigentliche Mission hingearbeitet: Nach fünf Jahren bei McKinsey bin ich zurück zu TechnoServe gewechselt, wo ich vorher schon einmal gearbeitet hatte. Heute bin ich froh, dass ich genau diesen Weg gegangen bin, denn sonst könnte ich nicht das tun, was ich heute mache.“
Mehr bei EDITION F
Suppen für Syrien: Wie aus einer kleinen Idee eine internationale Hilfsaktion für Geflüchtete wurde. Weiterlesen
8 Tipps, wie man Nachhaltigkeit ganz einfach in den Alltag integrieren kann. Weiterlesen
7 Tipps, mit denen du im Büro die Welt verbesserst. Weiterlesen