INTRO: „Verhandeln heißt für mich, im Zwiegespräch mit mir selbst zu sein“

Verhandlungen macht man vor allem mit sich selbst aus, sagt EDITION F-Gründerin Susann Hoffmann. Eine Begegnung mit einem Freund brachte ihr neue Erkenntnisse über das Zwiegespräch mit sich selbst.

Würde ich gefragt, ob ich ein Verhandlungsprofi bin, dann würde ich sagen: Nein. Vor Jahren habe ich aus gutem Grund die Leitung des Sales-Bereichs bei EDITION F abgegeben. Das klassische Kräftemessen um die besten Preise oder höchsten Werbeetats mache ich eher ungern mit. Dabei sehe ich ein Grundproblem beim Gedanken an „erfolgreiches Verhandeln“: Zu oft wollen wir über Zahlen wie Gehalt oder Rabatt sprechen. Und glauben dabei, bei einer Verhandlung gäbe es eindeutige Erfolge zu verteilen – Eins oder Null, gut oder schlecht, gewonnen oder verloren.

Die meisten privaten Unterhaltungen, die sich in meinem Umfeld um das Thema Verhandlung drehen, haben das Ziel, die eigene Position zu verteidigen und am Ende ein bisschen oder sogar viel mehr für sich rauszuholen. Keine grundsätzlich schlechte Sache, nur leider sind die Rollen bei den meisten Verhandlungen im Leben gar nicht so klar verteilt: Denn am häufigsten sitzen wir am Verhandlungstisch mit uns selbst. Was also bedeutet es, gut mit sich – und anderen – zu verhandeln?

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Eigentlich geht es ja morgens schon los: Sport, ja oder nein? Ein simple Frage, die ein ganzes Konstrukt an Werten und Vorsätzen beinhaltet. Warum hadere ich damit, obwohl ich weiß, dass es mir mit Sport besser geht als ohne? Ist diese Entscheidung schon eine für oder gegen mich? Ich will es nicht verkomplizieren, denn meistens versuche ich, den Strom an Gedanken abzukürzen, hüpfe in die Laufhose, schalte den Podcast ein und lasse mir von der Tracking-App bestätigen, dass ich es wieder einmal geschafft habe. Ich habe ja gesagt. Zu mir. Ohne großes Tamtam. Leider sind viele andere Verhandlungen in meinem Leben viel uneindeutiger. Und damit bin ich wahrscheinlich nicht allein.

Aus der Vergangenheit lernen und für die Zukunft neu entscheiden

Es ist nicht lange her, dass ich meinen besten Freund aus Jugendtagen in der Heimat wieder traf. Durch Zufall. Nach etlichen Jahren. Wir begegneten uns vertraut und mit vielen Erinnerungen – vor allem an die Zeit, in der wir die Ideen über unser erwachsenes Leben euphorisch und zaghaft formulierten – und doch trafen wir wie zwei blanke Leinwände aufeinander. Viel war in der Zwischenzeit passiert. An den meisten Ereignissen des*der jeweils anderen haben wir in den letzten Jahren nicht teilgenommen.

Seit unserem zwölften Lebensjahr haben wir unendlich viel Zeit miteinander verbracht. Wir spielten zusammen Theater. Wir verreisten. Wir feierten. Wir sprachen über die Liebe, unsere Wünsche, Ängste und all das, was uns tagtäglich berührte. Er studierte Schauspiel in Leipzig, ich Theaterwissenschaft in München. Drei Jahre später waren wir wieder vereint in Berlin. Und trotz der räumlichen Nähe verloren wir uns mit Mitte 20 irgendwann. Er wurde Familienvater und beendete die Schauspielerei. Für einen Job im Familienbetrieb, zurück in der Heimat.

Auf der Suche nach sich selbst braucht es Mut

Bei unserem Wiedersehen liefen wir eine vertraute Strecke entlang der Saale. Das eigene Familienunternehmen hat er vor über einem Jahr liquidiert. Und jetzt ist er neu auf der Suche. Nach sich. Nach dem, was ihn erfüllt. Ohne Ziel. Er erzählt davon, dass er einen Teil der Jahre mit seinen Kindern vermisst, die heute als Teenager jeden Tag unabhängiger werden. Dass er viele Entscheidungen vermeintlich für die Familie und am Ende zu oft für die Arbeit getroffen hat. Dass er gemerkt hat, wie unfrei er sich fühlt. Dass er die Zeit mit seiner Frau und den Kindern viel mehr wertschätzt. Und dass er sich selbst neu entdecken möchte.

Seit einem Jahr mache ich eigentlich nichts. Ein Status, der in unserer Gesellschaft im Grunde keine Akzeptanz findet.

aus einem Wiedersehens-Gespräch mit einem Jugendfreund

Mit großer Ruhe und ohne Zweifel an sich selbst sagt er irgendwann: „Seit einem Jahr mache ich eigentlich nichts. Ein Status, der in unserer Gesellschaft im Grunde keine Akzeptanz findet. Ein Zustand, der mir nur verwunderte oder abwertende Blicke einbringt.“ „Stimmt“, denke ich und ermahne mich selbst, seine Situation nicht zu werten, im Kontext des gesellschaftlich längst akzeptierten Modus von höher, schneller, weiter. Denn ich kenne die Unsicherheit dahinter: Wer bin ich, was macht mich aus, wofür stehe ich – wenn EDITION F nicht wäre? Ein Gedankengang, der mir heute – nach dem Gespräch – immer öfter absurd vorkommt. Denn er selbst scheint zumindest zu wissen, wer er ist und seine Wirksamkeit klar vor Augen zu haben.

Verhandlungen mit sich selbst

Am Ufer der Saale sprechen wir lange über das innere Ringen, das seiner Entscheidung vorausging. Die Verhandlung mit sich selbst, gefangen in Glaubenssätzen über die eigene Person. „Ich bin Unternehmer. Ich bin Hauptverdiener. Ich habe mich für diesen Weg entschieden.“ Die Erkenntnis, dass diese Annahmen alt sind und nicht mehr zu dem passen, was jetzt für ihn wichtig ist, brauchte Zeit. Und wie bei allen guten Verhandlungen: Einen kühlen Kopf – der sich nicht von den wechselnden Emotionen leiten lässt – eine Haltung des Wohlwollens sich selbst (und anderen) gegenüber, eine Augenhöhe und Offenheit – die nie nur einen Weg als Ergebnis einer Verhandlung im Blick hat – und den Mut, rational die Fakten und das eigene Gefühl einzubeziehen.

Am Ende dieser Verhandlung steht für meinen Freund das Gefühl, gewonnen und einen Schritt nach vorn gemacht zu haben. Nicht bemessen in Geld, Status oder Anerkennung, sondern in den Einheiten, die für ihn gerade am wichtigsten sind: persönliche Weiterentwicklung, Familienzeit und Freiheit.

Wer mit sich im Zwiegespräch bleibt, hat das eigene Glück in der Hand

Ich denke bis heute viel über dieses Wiedersehen nach, über das Nichts-Machen, über den Kampf des alten Ichs gegen das noch nicht gereifte neue Ich – und wie es mir mit mir selbst am Verhandlungstisch geht. Zu oft bemerke ich, dass ich die Erwartungen anderer, gesellschaftliche Ansprüche oder alte Glaubenssätze einlade, Platz zu nehmen. Ich spüre, dass ich diesen Positionen am Verhandlungstisch zu viel Raum gebe und nicht hinreichend zuhöre, was aus mir kommt. Unbefriedigend. Das muss sich ändern. Und ich verspreche mir selbst, viel bewusster und vor allem offener in meine eigenen Verhandlungen zu gehen.

Aus der Paartherapie kann man viel für die Beziehung zu sich selbst ableiten

Ich denke an das Konzept der Zwiegespräche aus der Paartherapie: Drei Fragen und jede*r Partner*in erhält zehn ungestörte Minuten, um sich dazu zu äußern. Ohne Unterbrechung, Wertung oder Gegenwehr. Die Fragen sind: Wie geht es mir mit mir? Wie geht es mir mit dir? Und wie geht es mir mit uns? Doch wie lassen sich diese Fragen auf ein Zwiegespräch mit sich anwenden?

Bei Verhandlungen geht es ja immer um ein konkretes Thema, beispielsweise die Arbeit und die Frage, gehen oder bleiben? Also: Wie geht es mir mit mir? Wie geht mir mit der Arbeit? Wie soll es mir in Zukunft gehen mit der Arbeit? Und: Was muss ich tun, damit sich etwas verändert? Denn: Was in Paarbeziehungen und der Ich-Beziehung bleibt, ist: Man trifft immer wieder auf sich selbst. Umso wichtiger ist es, zu verstehen, wo man selbst steht, was beispielsweise an der Arbeit problematisch ist und welcher Teil von mir in Bezug auf die Arbeit für den Status quo mitverantwortlich ist. Das kann schmerzhaft und befreiend zugleich sein. Denn im Zentrum steht ja die Frage: Was macht mich glücklicher?

Leerlauf-Phasen sollten wir uns allen zugestehen

Wenn es eine Erkenntnis gibt, die aus dem Gespräch mit meinem Jugendfreund erwachsen ist, dann, dass wir diese Verhandlungsräume im Leben viel häufiger zulassen sollten. Diese Leerlauf-Phasen, in denen wir uns mit uns selbst verabreden, uns hinterfragen und mit uns um eine erfülltere Zukunft ringen, müssten normal werden. Denn: Gutes persönliches Verhandeln bedeutet, im Zwiegespräch mit sich selbst zu bleiben. Und auch wenn es dabei nicht immer um die großen Veränderungen geht – verhandeln wir doch über die Basis unseres Lebens, uns selbst.

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