Foto: RosaMag - das erste Online-Lifestylemagazin für afrodeutsche Frauen

Ist Feminismus nur für weiße Frauen?

Auf einem Female Empowerment-Event wurde unserer Autorin Ciani-Sophia Hoeder durch die Haare gefasst, ohne gefragt zu werden und sie musste sich anhören, dass doch alle Menschen in gewisser Weise Rassismuserfahrungen machen. Da war es für sie wieder, dieses Gefühl und die Frage, die in ihr immer wieder empor kroch: Ist Feminismus nur für weiße Frauen?

Who run the world? Girls!

Ich bin mit den Spice Girls aufgewachsen, habe bei der „Female Future Force“ mitgemacht und bin die erste, die ein (fair) hergestelltes Feminismus-Shirt feiert. Empowerment ist für mich essentiell und ich dachte immer, dass wir Frauen wirklich zusammenhalten. Wie auch nicht, wenn von den börsennotierten Unternehmen in der Chefetage nur sieben Prozent Frauen sitzen, Frauen generell weniger in Führungspositionen kommen oder Männer immer noch häufiger gründen – und das auch wenn seit 2018 mehr Frauen als Männer studieren. Und und und – kurzum: Ich hatte geglaubt, dass Frauen, da sie bereits eine Form von Diskriminierung – aufgrund ihres Geschlechts – in ihrem Alltag erleben, sich besser in die Herausforderungen von der Diskriminierung der eigenen Hautfarbe hineinversetzen können. Pustekuchen!

Sexismus und Rassismus ist nicht gleich zustellen

Vor zwei Monaten erhielt ich von einer Freundin die Einladung auf einem Female Business-Event einen Vortrag zu halten. Die Veranstalterinnen haben sich unfassbar viel Mühe gegeben und ich habe mich sehr gefreut, mit dem von mir gegründeten RosaMag, dem ersten Online-Lifestylemagazin für afrodeutsche Frauen, dabei zu sein. Ich wollte diese Plattform nutzen, um nicht nur über Sexismus zu sprechen, sondern auch die Hürden als Schwarze Frau in der deutschen Businesswelt zu erläutern.

Es war eine gute Energie und nach den Vorträgen ging es ans Netzwerken. Als ich dann mit den Speakerinnen beisammen stand, erklärte mir eine Frau, dass wir doch alle in irgendeiner Form Rassismus erleben, als wir auf das RosaMag zu sprechen kamen. Alle Augen lagen auf mir – als wäre ich die Richterin, die Person, die all diesen Menschen eine Absolution erteilen sollte. Von dem Wort Intersektionalität – die Überschneidung von verschiedenen Diskriminierungsformen in einer Person – hat diese Runde wohl noch nie etwas gehört.

White Privilege: Unterschiede werden einfach negiert

„Für mich gibt es keine Farben!“ Vielleicht fragst du dich jetzt, warum dieser Satz problematisch ist? Kennst du Menschen, die solche Aussagen treffen oder die Rassismus komplett negieren, weil sie ja so super offen sind? Immerhin haben sie ja auch eine Schwarze Freundin oder einen Schwarzen Kumpel im Freundeskreis… Genau diese Menschen unterstützen aber das rassistische System, indem sie so tun, als würde Rassismus, überhaupt nicht in unserer Gesellschaft existieren – und rate mal wem das hilft?

Bingo! Auf jeden Fall nicht mir, Afrodeutschen, People of Color oder weiteren diasporischen Gruppen. Es ist ein blinder Fleck auf ihrer Weltkarte und genau das ist ein Privileg – genauer: White Privilege. Während die Frau versucht, den Unterschied zwischen weißen und schwarzen Menschen zu ignorieren, sind unfaire Bezahlung, Polizeigewalt und Vorurteile nämlich noch immer präsent und somit auch ganz deutlich wahrzunehmen für jede*n hier und verdammt: Auch für Nichtbetroffene.


„Das wäre ja zu Ghetto!”

Also stand ich da. Nachdem ich einen 15-minütigen Vortrag darüber hielt, wie unterrepräsentiert Schwarze Frauen in den deutschen Medien sind, wie unsere Belange und Thematiken einfach in den Minderheiten-Topf geworfen werden und somit als unwichtig gelten. Ich habe voller Leidenschaft über Empowerment, Sichtbarkeit und darüber gesprochen, wie, wenn wir nicht über Rassismus und Sexismus sprechen, sich nichts ändern wird.

Es war 23 Uhr. Ich hatte einen langen Tag hinter mir. Einen Tag, an dem ich, als ich in Berlin über eine rote Ampel lief und mir eine ältere weiße Frau erklärte, dass man in „ihrem Land“ nicht über rot laufe. Einen Tag, wo mir auf eben diesem Businessevent durch die Haare gefasst wurde, mit einem befriedigten Lächeln einer Frau und dem Satz „Die sind so schön und flauschig!” – was vermutlich als Kompliment gemeint war, aber das alles lief, ich muss es nochmal betonen, auf einem Businessevent ab. An einem Tag, wo ich, eben auch auf dieser Veranstaltung, mit einer weiteren Frau darüber sprach, wie wichtig es ist ein afrodeutsches Magazin zu machen, statt auf die USA oder UK zu blicken und sie dann antwortete: „Oh ja, das wäre sonst zu Ghetto”. Und wisst ihr was: Ich war müde.

Ich hatte keine Lust, diesen Frauen zu erklären, wie problematisch diese Aussagen waren. Manchmal bin ich einfach zu müde von den Diskussionen und der Erkenntnis, dass Diversität für weiße Frauen eine Option ist, ein Gedankenspiel, das sie mal haben, eine Welt in die sie eintauchen können, aber sie müssen sich nicht damit auseinandersetzen. Doch ich muss es, jeden Tag und viele weitere afrodeutsche Menschen in unserem Land noch mehr, denn auch ich bin als light-skinned Schwarze Frau privilegiert! Wenn ich das erkennen kann, warum können weiße Feministinnen das nicht?  


Intersektioneller Feminismus ist für Viele ein Fremdwort

Die Wahrheit ist, die junge Frau ist eben in einem rassistischen Umfeld sozialisiert und aufgewachsen, in dem es vor unterschwelliger Diskriminierung und Alltagsrassismus nur so wimmelt. Das führt dazu, dass sie gar „keine Farben” sieht. Wozu denn auch? Das muss sie auch überhaupt nicht. Sie wird nicht rassistisch angeblafft, sobald sie über eine rote Ampel geht und muss sich keine Gedanken darüber machen, dass nun alle Schwarze Menschen, wegen meinem Verhalten an diesem Tag in eine Schublade gesteckt werden und Sätze fallen könnten, wie „Die Schwarzen können sich nicht an die Verkehrsregeln halten. Keiner von denen!”

Aber um zurück zu den 100 börsennotierten Unternehmen zu kommen: Von den sieben Prozent an Frauen in der Chefetage, wie viele sind davon Schwarze Frauen? Und die Gründungen in Deutschland? Wie häufig sind es Schwarze Frauen? Bei all den tollen Feminismus-Shirts und dem Empowermentsprech müssen wir Intersektionalität, und damit, dass auch Hautfarbe und die Sexualität in unserer weißen, männlichen, privilegierten Welt ein Thema ist, berücksichtigen. Manchmal muss ich sehr tief durchatmen, wenn eben diese privilegierten Frauen davon sprechen, wie hart sie gearbeitet haben, um da zu stehen, wo sie heute sind – und ja in diesen Fällen denke ich: Feminismus, zumindest, was aktuell meist in der Sekt schwingenden Female Enterpreuer-Welt darunter verstanden wird, ist doch vor allem etwas für weiße Frauen. 


Die Lösung lautet: Critical Whiteness

Das Paradoxe daran ist: Ich war auch einmal genau wie diese Frauen. Ich dachte über die Hälfte meines Lebens, dass wenn ich hart arbeite, eloquent spreche, nicht über Rot gehe und fleißig bin, dass ich keine Diskriminierung erlebe. Doch meine Erfahrungen haben mich etwas anderes gelehrt. Ich stamme aus der Kommunikationsbranche, die von Frauen dominiert wird, doch es sind immer Männer die am Ende die Chefposition erhalten. Als ich Journalismus studierte, erklärte ich meinem Dozenten, dass ich gern bei der Tagesschau-Sprecherin werden möchte, doch er sagte mir, ich passe besser zu MTV, nur aufgrund meiner Hautfarbe.

Es sind diese Erfahrungen, die dafür sorgten, dass ich mir die Welt noch einmal mit neuen Augen ansah und feststellen musste:  wenn ich nicht darüber rede, wird diese Problematik nicht einfach verpuffen. Nein, letztendlich unterstützen wir diese Weltauffassung mit dieser „Nicht-Handlung”. Die richtige Reaktion wäre also: „Ja, ich bin weiß und habe dadurch Privilegien in die Wiege gelegt bekommen, die ich sehe und die problematisch sind.” Statt zu sagen, ich sehe keine Farben, möchte die kritische Weißseinsforschung, Critical Whiteness, darauf aufmerksam machen, dass diese Lady nicht einfach ein „Mensch“ ist, sondern ein weißer Mensch. Das heißt, sie ist nicht ausgenommen von der gesellschaftlichen Bestimmung durch ethnische Merkmale. Eben diese Bestimmung verschafft ihr eine besondere Rolle. Das zu leugnen heißt, jene rassistischen Hierarchien fortzuschreiben, die sie für überholt annimmt und sorgen dafür, dass Schwarze Menschen in Deutschland strukturell diskriminiert werden. Erst wenn wir das – auch und gerade auf Female Businnes-Events, anerkennen, ist Feminismus auch wirklich für alle Frauen. Es ist Zeit, dass wir mit dieser Weißmalerei endlich aufhören. 

 

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