Foto: Katja Klengel | Reprodukt

Feministische Comic-Kunst: Was haben Voldemort und die Vulva gemeinsam?

Katja Klengel übersetzt sexistische Erlebnisse aus ihrem Alltag in ihre blass–rote Comic-Kolumne. Popkultur und Feminismus treffen dabei aufeinander und zeigen, dass Voldemort nicht der einzige ist, dessen Namen man nicht aussprechen darf.

„Den augenscheinlich privaten Problemen liegen oft strukturelle Probleme zugrunde“

Ob Herzblatt, Sailormoon oder Star Trek – was für die einen in die Nerdecke und für die anderen in den Mainstream gehört, findet Platz in den Kolumnen von Katja Klengel.  Die Kolumnen der Illustratorin und Autorin, die zuvor auf Broadly erschienen sind, wurden jetzt in ihrem ersten Buch „Girlsplaining“ zusammengefasst.

Katja Klengel zeichnet eine blass-rot gefärbte Welt, in der sie ihre Erfahrung aus dem Alltag in eine humorvolle Bildsprache übersetzt. Trotz niedlicher Bilder und lustiger Anspielung auf die Popkultur wird deutlich, dass man als Frau strukturellem Sexismus fast täglich begegnet.

Im Interview mit EDITION F spricht die Kolumnistin über ihre Inspiration und was sie in ihrer Kolumne eigentlich vermitteln will.

Spoilerwarnung: Im Interview wird auf die Handlung und explizite Szenen von „a star is born” (2018) und „wild“ (2014) eingegangen.

Für Carrie Bradshaw in Sex and the City war unter anderen die toxische Beziehung zu Mr Big Inspiration für ihre Kolumne. Was inspiriert dich?

„Mich inspirieren meine Mitmenschen und reale Alltagsgeschichten. Immer wieder beschäftigen mich Themen wie Familie, Macht und wie Machtgefälle entstehen, aber auch Geschichten von Liebe, Besitz und Projektionen. Oft stelle ich fest, dass gerade diese persönlichen Alltagsgeschichten die politischsten sind. Denn, den augenscheinlich privaten Problemen liegen oft strukturelle Probleme zugrunde. Ich versuche dann diesen Geschichten mit meinen Comics ein neues Gewand zu geben. Wenn Seherfahrung zu Sehgewohnheit wird, entsteht ein Automatismus im Denken, den man schwer wieder rückgängig machen kann.”

Ob Mr Big mit seiner Limousine oder John Cusack mit seiner Rolle aus Teen Lover mit dem Ghettoblaster unter dem Fenster – übergriffiges Verhalten wird in Filmen oder Büchern in große, romantische Gesten übersetzt. Glaubst du, diese Seherfahrungen können unsere Beziehungen beeinflussen?

„Ja, das glaube ich. Wir verlassen uns hauptsächlich auf unsere Augen, auf das, was wir sehen, und hinterfragen es deshalb oft nicht. Ich glaube, wir vergessen oft, dass Bilder gemacht sind. Das Zusammenspiel von Bild und Ton kann manipulieren, Schnitte lenken den Fokus. Und gerade, wenn Seherfahrung zu Sehgewohnheit wird, entsteht einfach ein Automatismus im Denken, den man schwer wieder rückgängig machen kann. Ich denke an gefällige Sitcoms, in denen uns immer wieder die gleichen Stereotypen präsentiert werden, mit den immer gleichen Verhaltensmustern. Es gibt oft den potenten Macho à la Barny Stinson aus ,How I met your mother’, der Frauen so dermaßen objektifiziert, aber bei jedem sexistischen Spruch noch Auftrieb durch schallendes Fake-Gelächter erhält.

Oder ich denke ganz aktuell an den Kinofilm ,A star is born‘. Wie viele fanden den Film toll?! Dabei werden wir durch traurige, romantische Musik gezielt manipuliert. Die Musik soll uns einen Liebesfilm suggerieren, dabei spielt sich auf der Plotebene etwas ganz Gefährliches ab:  [Achtung Spoiler] Ein Mann erträgt es nicht, dass seine Freundin erfolgreich ist und keine Zeit mehr für ihn hat. Also beginnt er sie emotional zu erpressen, zu demütigen, zu beleidigen und sie am Ende mit dem eigenen Tod zu bestrafen, um sich wieder ins Zentrum zu rücken. Aber, das fällt nicht auf. Die Musik täuscht darüber hinweg, dass der Film in veralteten Rollenbildern aus den 50er Jahren stecken geblieben ist. Also ja, ich glaube sehr, dass diese Geschichten und Bilder sich in unser Denken nagen und beeinflussen, wie wir lieben und leben.“

Angst, Schutz oder Ahnungslosigkeit – was glaubst du, warum sexualisierte Bemerkungen so oft geduldet werden?

„Ich glaube, es ist eine Mischung aus Angst, Erziehung und Scham. Erziehung, weil wir immer noch in dem alten Geschlechterklischee– und Rollenmodelldenken stecken, in dem die Frau all die Jahre bis heute dazu erzogen wurde, sich nicht zu beschweren, zu lächeln und höflich zu sein. Und dazu gehört auch, keine Widerworte zu geben. Das Wort ,Nein‘ war lange Zeit ja gar keine Option. Horst Seehofer selbst stimmte vor 20 Jahren für die Straflosigkeit von Vergewaltigungen in der Ehe und findet es scheinbar ja richtig, wenn Männer die eigenen Ehefrauen vergewaltigen, schließlich haben sie ja mit der Ehe auch ein Anrecht auf ihre Körper.“

Und welche Rolle spielen dann Angst und Scham dabei?

„Die Angst ist deshalb da, weil man sich einfach davor fürchtet, laut ,nein‘ zu sagen. Aus Angst vor den Folgen. Ich erinnere mich an eine Szene aus ,Wild‘ mit Reese Witherspoon. Ihre Figur wandert allein durch die Wälder und wird plötzlich von einem Mann überrascht, der sie bedrängt. Er kommentiert ihren Körper, sagt, wie heiß sie sei in ihrer Wanderhose, wie ihr Hintern dadurch toll zur Geltung käme. Sie hat Angst, fühlt sich bedrängt und bittet den Mann, solche Kommentare zu unterlassen. Der Mann sagt daraufhin: ,Was denn? Kann man nicht mal mehr ein Kompliment machen?‘, woraufhin sie sich bei ihm für das ,Kompliment‘ bedankt. Sie wägt halt ab, ob sie gleich zerstückelt im Wald liegen will.

Oft werden Frauen* verantwortlich gemacht, wenn ihnen etwas passiert. Es geht selten darum, den Mann dazu zu erziehen, sein Verhalten zu ändern. Dabei sollte es doch darum gehen, dass sich Frauen sicher fühlen dürfen, egal was sie tun und tragen. Aber die Frau hat sich nicht zu beschweren. Wenn sie etwas gegen diese sexualisierten Bemerkungen sagt, begibt sie sich angeblich nur in eine Opferrolle und jammert rum. Und das Problem ist ja auch, dass in vielen Fällen, sobald man etwas dagegen sagt, tatsächlich Konsequenzen folgen. Systematische Gewaltandrohungen, Demütigungen und ähnliches. Also spielen natürlich Angst und Scham immer wieder eine Rolle. Siehe im Fall: Sigi Maurer.“

Wie gehst du mit Situationen um, in denen du geschwiegen hast, aber im Nachhinein dachtest: Hätte ich doch was gesagt?

„Meistens denke ich mir: Okay, jetzt hast du nichts gesagt, aber das nächste Mal wird es besser laufen. Für sich selbst einzutreten, ist nicht einfach, aber man kann es üben. Ich persönlich habe außerdem den Vorteil, dass ich am Ende aus der Erfahrung einen Comic machen kann, in dem ich dann doch noch zu Wort komme. Aber ich mache mir keine Vorwürfe.“

Nicht nur wir schweigen viel zu oft bei eigenen Diskriminierungserfahrungen – auch andere, vielleicht man selbst, werden oft zu stummen Zeug*innen. Wie kann man selbst solche Situationen erkennen?

„Diskriminierung äußert sich in Machtgefällen. Menschen, die diskriminiert werden können auf verschiedene Ressourcen der Gesellschaft nicht zugreifen. Relativ diskriminierungsfrei sind im Durchschnitt in Deutschland weiße, heterosexuelle Männer im mittleren Alter. Ich denke an Gespräche mit Männern, die behaupten, es gäbe doch Gleichberechtigung längst. Da sie gewisse Privilegien genießen, entgeht ihnen das Machtgefälle. Das Erkennen von Privilegien gehört also dazu, um Diskriminierung zu erkennen. Zu erkennen, auf welche Ressourcen man in der Gesellschaft zugreifen kann, auf die andere keinen Zugriff haben, zum Beispiel: Wohnung, Essen, Jobs. Wenn man sich der eigenen Privilegien bewusst wird, kommt der nächste Schritt.“

Wie kann man denn das Bewusstsein um die eigenen Privilegien denn nutzen, um andere Menschen zu unterstützen?

„Ich finde es wichtig, sich zu solidarisieren, Gemeinschaften bilden, sich vernetzen und gemeinsam Stärke zeigen. Es gibt genügend Organisationen, für die man sich einsetzen kann, um Unrecht zu verhindern. Laut sein, Toleranz zeigen auf Demos. Gegen Diskriminierung und Rassismus Stellung beziehen. Viel lesen, wach bleiben, Hasskommentare im Internet anprangern und melden.“

Und wie kann man in einer entsprechenden Situation selbst signalisieren, dass man Hilfe braucht oder sie sich wünscht?

„Ich denke, das Wichtigste ist es zunächst, auf sich zu hören, zu schauen, was man braucht. Dann glaube ich, ist es wichtig, die Diskriminierung zu benennen und sich Unterstützung im sozialen Umfeld zu suchen. Diskriminierung ist oft noch mit Scham und Tabuisierung verbunden, weil sie bereits schon ein strukturelles Problem geworden ist. Dem entgegen zu treten und das Unrecht zu benennen, kann der erste Schritt sein. Unter hashtags im Internet wie #metoo und #metwo, die ich für wahnsinnig wichtig halte, gibt es natürlich immer wieder Versuche die Diskriminierungsgeschichten zu bagatellisieren und herunterzuspielen und Betroffene* in eine Opferrolle zu drängen. Daran merkt man noch wie systematisch die Diskriminierung sein kann und wie sehr man versucht, an der Macht festzuhalten. Es rät sich deswegen natürlich an, sich professionelle Unterstützung bei Beratungsstellen, die darauf spezialisiert sind, zu suchen.

Ich habe mich gefragt, wieso wir immer noch so eine Angst davor haben, die Vulva zu benennen oder gar auszusprechen.  Da fiel mir ein, dass es ja fast so ist, wie mit Voldemort, denn auch seinen Namen traut sich keine*r auszusprechen.”

In deinen Comics arbeitest du oft mit popkulturellen Referenzen oder Bildern. Wie kam es dazu und was bedeutet es für dich?

„Wenn ich über Themen nachdenke und zunächst keine Worte dafür finde, kommen mir oft Szenen aus Serien, Filmen und Comics in den Sinn, die meine Gedanken im Kopf kommentieren oder veranschaulichen. So zum Beispiel hab ich mich gefragt, wieso wir immer noch so eine Angst davor haben, die Vulva zu benennen oder gar auszusprechen.  Da fiel mir ein, dass es ja fast so ist, wie mit Voldemort, denn auch seinen Namen traut sich keine*r auszusprechen. Voldemort steht für mich für Diskriminierung und Macht, daher lag es nahe, das zu verbinden. Die popkulturellen Anspielungen helfen mir, Themen allgemeingültiger und lockerer aufzubereiten. Manchmal aber verschärfen sie meine Gedanken und treiben sie auf die Spitze. Auch für meine Leser*innen kann das eine hilfreiche, zusätzliche Erzählebene sein.“

Woran liegt es, dass für viele das Sprechen über die Vulva und weibliche Sexualität mit so viel Scham belastet ist und wie kann man damit brechen?

„Wir leben ja noch eindeutig in einem phallozentrisches Weltbild, in der es die Lust der Frau* gar nicht geben soll. Die Scham wurde antrainiert, um die Vormachtstellung der Männer und das Patriarchat zu bewahren. Man kann damit brechen, indem man gegen die Tabuisierung vorgeht und die Vulva beim Namen nennt.“

Wie kam es dazu, dass du feministische Comics zeichnest und wie wichtig ist dir die Rolle der Aufklärung und des Empowerments dabei?

„Tatsächlich zeichne ich noch nicht lang feministische Comics. Das kam erst durch die Anfrage von Lisa Ludwig von Broadly, eine Kolumne zu gestalten. Mit Beginn meiner Kolumne im Jahr 2017, habe ich mich erst intensiver mit Feminismus auseinander gesetzt. Von daher halte mich in keiner Weise für eine Feminismus-Expertin, dafür stehe ich noch viel zu sehr am Anfang. Über das Zeichnen führe ich mich an die Themen heran, ich erkläre sie mir quasi selbst und meine Leser*innen können mir beim Denken zusehen. Daher glaube ich, dass meine Comics sich gut dafür eignen, einen Einstieg in den Feminismusdiskurs zu bekommen. Empowerment ist mir persönlich sehr wichtig. Ich selbst habe auch persönlich das Gefühl, durch das Zeichnen Vergangenes aufzuarbeiten und mir dieses Empowerment rückwirkend zu holen.“

Was glaubst du bewirkt deine Arbeit bei deinen Leser*innen?

„Dadurch, dass die Geschichten sehr persönlich sind, aber dennoch allgegenwärtige (Cis-)Themen behandeln, ist das Identifikationspotential oft sehr groß. Ich glaube, das bewirkt bei vielen meinen Leser*innen ebenfalls ein gewisses Empowerment und verbindet. Vielleicht führt es sogar dazu, sich die eigene Situation noch mehr zu vergegenwärtigen und selbst zu handeln und aktiv zu werden.“

Alle Bilder sind aus: Girlsplaining, Katja Klengel, Reprodukt, September 2018, 160 Seiten, 18 Euro.

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