Die Modeindustrie braucht eine Revolution. Jana, Nina und Vreni von den Fashion Changers sind dabei, sie zu starten. Ein Interview.
„Laut einer Studie von Greenpeace werden knapp 20 Prozent aller gekauften Kleidungsstücke niemals angezogen”
Die Modeindustrie hat viele Probleme: Umweltverschmutzung, Massenproduktion, Ausbeutung der Arbeitskräfte. Dass sich etwas ändern muss, stellt eigentlich niemand mehr in Frage. Nur wie? Dieser Frage haben sich unsere Vreni Jäckle (Jäckle und Hösle), Jana Braumüller (Not another woman mag) und Nina Lorenzen (Pink & Green) angenommen und 2017 die „Fashion Changers” gegründet. Ihr Ziel: nichts geringeres als die Revolution der Modeindustrie. Und zwar auf die beste Weise: gemeinsam. Denn nur so kann sich wirklich etwas ändern. Dafür organisieren sie online und offline Netzwerk-Events und Aktionen, bei denen all die Menschen zusammenkommen können, die die Modeindustrie verändern wollen. Zuletzt haben sie das auf der Ethical Fashion Show hier in Berlin gemacht. Wir haben mit ihnen darüber gesprochen, was gerade falsch läuft, warum faire Mode feministisch ist und wie sie inklusiver werden kann.
Im Sommer 2017 habt ihr die Fashion Changers gegründet. Warum? Was läuft falsch in der Modeindustrie?
„Die Modeindustrie hat sich in den letzten Jahrzehnten rapide verändert. Von ehemals zwei Kollektionen im Jahr stoßen wir bei den großen Textilketten auf bis zu mehr als 50 Kollektionen im Jahr. Lieferanten und Produktionsstätten sind gezwungen mehr und schneller zu produzieren. Um diesem Druck nachzukommen, müssen ArbeiterInnen unter schlechter werdenden Bedingungen arbeiten. Löhne werden gekürzt, um dem Preisdruck standzuhalten, Sicherheitsvorkehrungen werden ignoriert. Mehr und mehr gesundheits- und umweltschädliche Chemikalien wandern in die Materialien, welche zudem immer häufiger erdölbasiert synthetisch hergestellt werden. Wir füttern diesen Markt, in dem wir immer mehr konsumieren, oft sinnlos. Laut einer Studie von Greenpeace werden knapp 20 Prozent aller gekauften Kleidungsstücke niemals angezogen. Die Modeindustrie ist damit zu einer Wegwerfindustrie geworden, die gleichzeitig menschenunwürdige Bedingungen fördert.”
Das klingt ziemlich verheerend. Ist die Revolution denn schon auf dem Weg?
„Die Revolution ist definitiv auf dem Weg! Wir spüren immer deutlicher, je mehr schiefläuft, desto mehr wollen Menschen auch etwas verändern. Die grüne Modemesse in Berlin hatte zu Beginn 20 AusstellerInnen. Heute sind es 170. Das ist eine gigantische Entwicklung. Online scheint die Community fairer und nachhaltiger ModebloggerInnen immer stärker zu wachsen. Wenn wir jedoch realistisch bleiben, kommen diese Schritte noch viel zu langsam – oder gar nicht – im Mainstream an. Der Marktanteil von nachhaltiger Mode liegt nur bei knapp fünf Prozent. Wir brauchen politische Regularien, sowohl national als auch international, um dem großen Industriewahnsinn Einhalt zu gebieten.”
„Wenn wir uns hier in Deutschland ein fair produziertes T-Shirt kaufen, stellen wir gleichzeitig sicher, dass wir mit dem Kauf keine Frau am anderen Ende der Welt ausgebeutet haben.”
Warum ist Fair Fashion feministisch? Warum muss Feminismus Fair Fashion unterstützen?
„Schauen wir uns am Anfang der Textilproduktion um, wird schnell deutlich, dass vor allem Frauen in den Textilfabriken sitzen und unsere Kleidungsstücke herstellen. Gerade im asiatischen Raum, wo die meisten großen Textilketten produzieren lassen, sind fast 90 Prozent der ArbeiterInnen Frauen. Handelt es sich nicht um eine faire Produktion, sehen die Arbeitsbedingungen katastrophal aus. ArbeiterInnen sind meist stark unterbezahlt, arbeiten zwölf bis dreizehn Stunden täglich, oft in Gebäuden mit hohen Sicherheitsmängeln, und dürfen sich nicht in Gewerkschaften oder Ähnlichem organisieren. Es gibt keine Kinderbetreuung oder Schulen für ihre Kinder. Neugeborene werden mit in die Fabriken genommen. Widersetzen sich ArbeiterInnen diesen menschenunwürdigen Bedingungen, droht ihnen oft Gewalt. Wenn wir Fair Fashion konsumieren, brechen wir mit diesen Bedingungen und geben Frauen in der Textilindustrie die Chance, wirklich für ihre Familien und vor allem auch für sich selbst zu sorgen. Wenn wir uns hier in Deutschland ein fair produziertes T-Shirt kaufen, stellen wir gleichzeitig sicher, dass wir mit dem Kauf keine Frau am anderen Ende der Welt ausgebeutet haben. Als Feministinnen können wir eigentlich nur Fair Fashion konsumieren. Trotzdem haben in der Textilproduktion nicht nur für Frauen ein Problem, es geht generell um Menschenrechte.”
Faire Mode ist aber oft rein preislich ein ganz schönes Luxusprodukt, das sich schlicht nicht jeder leisten kann. Genauso wie die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit. Wie kann die Bewegung inklusiver werden?
„Der Preis eines Kleidungsstücks ist eine Frage der Perspektive. Wenn es mir wichtig ist, wöchentlich shoppen zu gehen und dabei meinen Geldbeutel nicht übermäßig zu beanspruchen, kann ich eigentlich nur Fast Fashion konsumieren, sollte aber vermutlich über mein Konsumverhalten nachdenken. Warum konsumiere ich so viel und wie geht es mir damit? Wenn ich hingegen nur einmal im Monat ein faires Teil kaufe, kann ich dafür mein während des Monats gespartes Geld ausgeben. Inzwischen gibt es viele kleine faire Labels, die durchaus bezahlbar sind. Nichtsdestotrotz ist nachhaltiger Konsum definitiv mit einem Aufwand verbunden. Es könnte aber ähnlich der Bio-Bewegung funktionieren. Bio gibt es heutzutage für jeden in jedem Discounter. Je mehr KonsumentInnen faire Mode nachfragen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese auch in den regulären Einzelhandel kommt. Was teilweise auch schon mit Marken wie Armedangels passiert. Und wem das dennoch zu teuer ist, kann definitiv auf Second-Hand und Vintage setzen.
Und wie wollt ihr faire Mode inklusiver machen?
Wir setzen beim Thema Inklusion vor allem auf die Kraft des Internets und der damit verbundenen Community. Wir wollen inspirieren und zeigen, dass faire Mode nichts mit ollen Ökolappen zu tun hat und in ganz unterschiedlichen Arten daherkommt – eben auch für den kleineren Geldbeutel. Über die Lust an Mode können wir mit allen ins Gespräch kommen und alle mit einbeziehen. Trotzdem sehen wir auch noch große Lücken im Fair Fashion Bereich, die sich hoffentlich bald schließen werden: zum Beispiel größere Größen, die bisher leider fast gar nicht bedient werden. Natürlich ist es ein Privileg, sich mit Mode zu beschäftigen. Aber am Ende des Tages tragen wir alle Mode und sollten unsere Kaufentscheidungen bewusst hinterfragen. Egal, ob Öko-VerfechterIn oder Fast-Fashion-KonsumentIn.”
Auf der „Ethical” organisierten die Fashion Changers eine Diskussionsrunde über Fair Fashion, unter anderem mit Nike van Dinther (This is Jane Wayne) und Marcus Werner (Viertel vor Mag). Foto: Michi Schunck
Wer verändert gerade die Industrie?
„Es gibt an den verschiedensten Fronten wahre Game-Changer. Zum einen die vielen, jungen Labels, denen nicht nur Nachhaltigkeit wichtig ist, sondern die auch einen hohen Anspruch an Design pflegen. Über diesen Designgedanken wird faire Mode wirklich einen Zugang finden! Zum anderen aber auch durch Vereine wie FEMNET e.V., die sich für Frauenrechte entlang der textilen Lieferkette einsetzen und dabei nicht müde werden, den Finger immer wieder in die Wunde zu legen und auf Veränderungen auf politischer Ebene zu pochen. Für uns verändern auch BloggerInnen und InfluencerInnen, die laut gegen Fast Fashion werden, die Industrie. Immer mehr große Magazine und BloggerInnen stellen (zumindest teilweise) auf Fair Fashion um, promoten kleinere, faire Labels, meiden die konventionellen Fashion Weeks oder richten Kategorien für nachhaltige Mode ein. Das sind wichtige Entwicklungen!”
„Wir finden Fairness außerdem ziemlich cool. Und nett sein sowieso. Lasst uns alle mal ein bisschen netter zueinander sein! Auch zu den Menschen, die unsere Kleidung machen.”
Faire Mode hat oft ein „uncooles” Image. Könnt ihr dem etwas entgegensetzen?
„Aber hallo! Wenn wir uns in der Community umschauen, sehen wir eigentlich nur coole Leute. Menschen, die einen tollen Sinn für Mode haben, kreativ damit umgehen, und dazu auch noch geistreich sind. Viele Labels haben total moderne Schnitte und/oder angesagte Muster und Farben in den Kollektionen. Wir finden Fairness außerdem ziemlich cool. Und nett sein sowieso. Lasst uns alle mal ein bisschen netter zueinander sein! Auch zu den Menschen, die unsere Kleidung machen.”
Beim prePeek der Fashion Changers konnten Blogger sich mit fairer Mode stylen lassen. Bild: Lydia Hersberger
Welches Fazit zieht ihr nach der Ethical?
„Wir sehen, dass unsere Vision nicht nur bloße Wunschvorstellung ist. Wir wollen nicht in unserer tollen, flauschigen Community-Blase bleiben, sondern Menschen erreichen, die vielleicht noch nie etwas von fairer Mode gehört haben. Mit unserem Fashion Changers x prePEEK Event haben wir das in kleinen Schritten geschafft. Zu unserem Event sind konventionelle ModebloggerInnen gekommen und JournalistInnen, die sehr interessiert am Thema waren und Neues gelernt haben. Unter anderem eben auch, dass „Slow Fashion”, also Mode, die fair produziert wurde, Second Hand ist oder getauscht wurde, gar nicht mal so piefig ist. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, um nachhaltige Mode aus der Nische in den Mainstream zu bringen, wissen aber auch, dass wir zusammen viel erreichen können.”
The future is …?
„The future is now! Jetzt ist die Zeit etwas zu verändern, jetzt ist die Zeit gemeinsam aktiv zu werden.”
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