Zwei Personen sitzen in einem Café und unterhalten sich. Die Person rechts zeigt ihrem Gegenüber etwas auf ihrem Handy und lächelt dabei.
Foto: Pexels | Viktoria Slowikowska

Warum Unternehmen ihren Angestellten tausende Euro für die Kinderwunschbehandlung bieten

Kinderwunschbehandlungen sind nicht nur mit enormen Anstrengungen verbunden, sondern kosten viel Geld. Ein Unternehmen unterstützt Angestellte bei dem Prozess mit tausenden Euro – unabhängig von Geschlecht und Beziehungsform.

Autorinnen:
Carlotta Richter & Julia Emmrich


Der Wunsch nach einem eigenen Kind ist groß – doch der Weg dahin ist oft schwierig: In Deutschland leidet jedes zehnte Paar unter ungewollter Kinderlosigkeit. Die Lösung können Kinderwunschbehandlungen sein, sie sind aber nicht nur strapaziös, sondern auch teuer. Wer in Deutschland eine solche Behandlung machen möchte, muss je nach Methode und Dauer mit Kosten in Höhe von mehreren tausend bis zehntausend Euro rechnen.

Einige Paare mit unerfülltem Kinderwunsch können dabei auf eine Unterstützung durch ihre Krankenkasse hoffen – allerdings längst nicht alle. Denn die Kassen übernehmen erst dann den Anteil von mindestens 50 Prozent, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Dazu gehört beispielsweise, dass das Paar heterosexuell und verheiratet ist und nur die eigenen Ei- beziehungsweise Samenzellen verwendet werden. Außerdem gelten Altersgrenzen – Frauen müssen zwischen 25 und 40 Jahre alt sein, Männer zwischen 25 und 50 Jahren.

Auch von Bund und Ländern gibt es Unterstützung, allerdings ebenfalls nur unter bestimmten Bedingungen und nicht in allen Bundesländern. Der Zuschuss liegt bei bis zu 25 Prozent des nach der Abrechnung mit der Krankenkasse verbliebenen Anteils. Für queere Paare sieht die Situation noch einmal deutlich schlechter aus. Das will die Ampel laut Koalitionsvertrag zwar ändern, bisher gibt es dazu aber weder Eckpunkte noch einen Gesetzentwurf. In jedem Fall gilt: Selbst wenn ein Paar eine finanzielle Förderung erhält, bleibt eine Kinderwunschbehandlung teuer.

Unternehmensberatung bietet Mitarbeitenden 40.000 Euro

Gleichzeitig wird es für Unternehmen immer schwieriger, gut ausgebildete Fachkräfte zu finden und zu halten. Viele Arbeitgeber*innen haben mittlerweile erkannt, dass das nur mit familienfreundlichen Arbeitsbedingungen funktioniert – von attraktiven Teilzeitmodellen über Kinderbetreuung bis zu Väter-Programmen. Ein Unternehmen, das nun noch einen Schritt weitergeht, ist die internationale Unternehmensberatung Kearney: Sie bietet ihren Beschäftigten in Deutschland neben Zuschüssen für die Kinderbetreuung von bis zu 500 Euro pro Monat und vollem Lohn bei einer sechsmonatigen Auszeit nach der Geburt auch finanzielle Unterstützung für eine Kinderwunschbehandlung: Wer mindestens ein Jahr im Unternehmen ist, kann bis zu 40.000 Euro bekommen. Die Regelung gilt für sämtliche Beschäftigte in Europa – unabhängig von Geschlecht und Partnerschaftsform.

Teilzeitbeschäftigte müssen mindestens eine 60-Prozent-Stelle haben. Paare, die ein Kind adoptieren, können ebenfalls bis zu 40.000 Euro Hilfe vom Unternehmen bekommen. „Damit wollen wir unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch besser unterstützen und zu einem gesellschaftlichen Wandel beitragen“, sagt Marc Lakner, Kearney-Geschäftsführer in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Weltweit beschäftigt das US-Unternehmen Kearney mehr als 5300 Mitarbeiter*innen in mehr als 40 Ländern, in Europa sind es 1400.

Wer Arbeitskräfte binden möchte, muss sich etwas einfallen lassen

Fertility Policy, also eine Unternehmenskultur, die den Kinderwunsch mitdenkt, ist kein neuer Trend: „Vor einigen Jahren gab es die Diskussion darüber, dass manche US-amerikanische Arbeitgeber die Kosten für das Einfrieren von Eizellen übernehmen“, erinnert Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Damals wurde befürchtet, dass die Unternehmen dadurch Druck auf ihre weiblichen Beschäftigten ausüben würden, um zu einem beruflich günstigen Zeitpunkt schwanger zu werden. „Auch diese Debatte kam aus den USA nach Europa.“

Bei der Finanzspritze für die Kinderwunschbehandlung sieht Wrohlich Chancen, aber auch Risiken: „Für Unternehmen, die es sich leisten können, kann es sinnvoll sein, sich mit Zuschüssen für eine Kinderwunschbehandlung attraktiv zu machen.“ Der Wettbewerb um Fachkräfte sei hart geworden, wer gut qualifizierte Frauen binden wolle, müsse sich etwas einfallen lassen.

„40.000 Euro sind für ein Unternehmen nicht viel Geld – wenn man bedenkt, welche Kosten durch Mitarbeiterwechsel und unbesetzte Stellen anfallen können.“ Sie sei aber skeptisch, ob viele Mitarbeiterinnen ein solches Angebot annehmen würden: „Man muss in diesem Fall ja die Karten komplett auf den Tisch legen. Bislang jedoch hat es besonders Frauen nicht geholfen, wenn sie mit ihrem Arbeitgeber über ihren Kinderwunsch gesprochen haben.“

Fertility Policy in Deutschland bisher noch nicht angekommen

In Deutschland gibt es bisher kaum Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden Angebote aus dem Bereich Fertility Policy machen. Ein Thema sei das vor allem bei großen amerikanischen Arbeitgeber*innen, sagt Julia Reichert. Die ehemalige Unternehmensberaterin hat vor über einem Jahr das Unternehmen “Onuava” gegründet, mit dem sie das Thema auch zu den deutschen Arbeitgeber*innen bringen möchte. Über “Onuava” können Betriebe ihren Mitarbeitenden sogenannte Fertility Benefits anbieten – von Informationen über Beratung bis hin zur Kostenübernahme. Die Plattform soll im Juli an den Start gehen.

Fast alle Unternehmen realisieren langsam, dass sie in puncto Vereinbarkeit mehr machen müssen und dies schließt auch die Phase der Familiengründung ein.

Der Vorteil: Alles läuft komplett anonymisiert. Der*die Arbeitgeber*in erfährt am Ende also nicht, wer die Angebote in Anspruch genommen hat. Fertility Benefits, da ist sich Reichert sicher, werden in den kommenden Jahren auch bei deutschen Arbeitgeber*innen eine immer wichtigere Rolle spielen: „Fast alle Unternehmen realisieren langsam, dass sie in puncto Vereinbarkeit und Familienfreundlichkeit mehr machen müssen und dies schließt auch die Phase der Familiengründung ein.“

Dass die deutschen Unternehmen jetzt massenweise nachziehen werden, erwartet DIW-Expertin Wrohlich allerdings nicht. Auf der Suche nach einem*r besonders familienfreundlichen Arbeitgeber*in spielten zudem viele andere Faktoren eine wichtige Rolle: „Zeitliche und örtliche Flexibilität zum Beispiel, oder auch die Frage, wie viele Mütter in Führungspositionen oder wie viele Väter in Elternzeit sind.“

Familienbewusstsein in Unternehmen

Klar ist: Familienbewusste Personalarbeit in Unternehmen ist ein großes Thema. Das sagt auch Kirsten Frohnert, die Leiterin des Projekts „Erfolgsfaktor Familie”, das Unternehmen bei der Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützt. „Alle Studien zeigen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Bewerberinnen und Bewerber ein ganz zentrales Kriterium bei der Wahl des Arbeitgebers sind”, so die Expertin. Auch die Übernahme von Kinderwunschbehandlungen könnte dabei ein Faktor sein.

Die größten Themen in puncto Familienbewusstsein in Unternehmen seien derzeit jedoch Flexibilität bei Arbeitszeit und -ort und Angebote für die Kinderbetreuung. Es gebe allerdings auch viele spannende Einzelentwicklungen in Unternehmen – etwa Betriebe, die Betreuungsphasen wie die Elternzeit als Bausteine der Karriereentwicklung betrachten und positiv anrechnen würden oder den Beschäftigten die Möglichkeiten bieten würden, ihre Arbeitszeit jeden Monat neu festzulegen, um diese an die aktuelle Lebenssituation anzupassen.

Dieser Artikel von Carlotta Sophia Richter und Julia Emmrich ist zuerst in der „Berliner Morgenpost” erschienen.

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