Mutter und Kleinkind im Café, mit dem Rücken zur Betrachterin, an einem großen Fenster zur Straße.
Foto: Nathan Dumlao

Fuck the System: Warum der Kita-Notstand für Frauen ein Schlag ins Gesicht ist

Deutschlandweit stehen Eltern am Rande der Verzweiflung: Sie finden keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder. Was Kitas mit Feminismus zu tun haben und warum sich dringend etwas ändern muss.

Deutschlandweit stehen Eltern am Rande der Verzweiflung: Sie finden keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder. Was Kitas mit Feminismus zu tun haben und warum sich dringend etwas ändern muss.

Dieser Text von Ann-Kathrin Schöll erschien erstmals bei gofeminin.

Erst kürzlich hat Außenministerin Annalena Baerbock eine 80-seitige Leitlinie vorgestellt, die das Thema Feminismus zum Arbeitsprinzip ihrer Außenpolitik macht. Ein überfälliger und wichtiger Schritt. Innenpolitisch scheint das Thema Feminismus dagegen wenig Aufmerksamkeit zu bekommen.

Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, warum Eltern deutschlandweit derzeit vor einer existentiellen Notlage stehen: Sie finden keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder. Warum das insbesondere für Frauen ein Schlag ins Gesicht ist, aber letztlich alle darunter leiden, will ich euch erklären.

Wut, Verzweiflung, Fassungslosigkeit

Ann-Kathrin Schöll ist Chefredakteurin von gofeminin und Mutter eines fast zweijährigen Kindes.

Hallo, ich bin Anna, 33 Jahre alt und Chefin. Ich gehöre damit zu den gut 29 % Frauen, die laut Statistischem Bundesamt in deutschen Führungsetagen zu finden sind. Noch dazu verdiene ich mehr als mein Partner, was mich angesichts der in Deutschland noch immer vorherrschenden Gender Pay Gap zu einer seltenen Spezies macht. Ich bin aber nicht nur Chefin und Partnerin, ich bin und das zuallererst, Mutter eines fast zweijährigen Sohnes.

Hättet ihr mich vor zwei Jahren gefragt, ob sich Job und Mamasein vereinbaren lassen, hätte mein naives Ich gesagt: „Wenn man das will, schafft man das auch“. Damals dachte ich, es wäre eine Sache des Willens und des Einsatzes, ob wir Frauen und Mütter beruflich erfolgreich sind oder nicht. Ich habe mich über Kolleginnen geärgert, die schon wieder nicht arbeiten konnten, weil das Kind den vierten Infekt in Folge hatte. Ich konnte nicht verstehen, warum manche Mütter mit nur so wenigen Stunden pro Woche wieder eingestiegen sind. Wie ignorant, wie unreflektiert!

Am liebsten würde ich mein damaliges Ich kräftig durchschütteln. Denn heute stehe ich hier, mit dem Handy am Ohr und Tränen der Wut in den Augen. Gerade hat mir die 13. Kita, bei der wir uns für eine Betreuung ab dem Sommer beworben haben, eine Absage erteilt.

Kita-Notstand zwängt Frauen in die Hausfrauenrolle

Dass das Kita-System insbesondere in Großstädten kaputt ist, davon hat man gehört. Auch, wenn das Thema in den Medien eher eine Randnotiz ist. Wenn man dann aber selbst drinsteckt, wird einem das Ausmaß der Misere erst bewusst.

Egal ob in unserer Heimatstadt Bonn, in München, Hamburg oder Berlin – in unzähligen deutschen Städten und Kommunen gibt es viel weniger Kita-Plätze als Kinder. Der Grund ist ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Mangel an Erzieher*innen, eine Job-Flucht als Folge der Coronapandemie und wahrscheinlich zu lange zu wenig Geld für Kitas von Bund, Ländern und Kommunen. Die Scheiße kam mit Ansage geflogen und trotzdem wurde nicht rechtzeitig und vor allem beherzt entgegengesteuert.

Der Kita-Notstand ist ein Armutszeugnis für den Feminismus in Deutschland. Denn was tun, wenn es keine Kita-Plätze gibt? Wo keine Fremdbetreuung aufzutreiben ist, muss eben Mama ran, die arbeitet ja eh nur Teilzeit.

Mütter in der Teilzeitfalle

In den allermeisten Familien in Deutschland ist es die Mutter, die finanziell und beruflich zurücksteckt, sobald sich Nachwuchs ankündigt (und manchmal sogar schon davor). Die lange Elternzeit macht in der Regel immer noch Sie, während Er recht schnell wieder voll arbeiten geht. Der Grund ist oft nicht, dass sich der Vater weniger kümmern will. Er verdient schlichtweg mehr.

Dass Er weniger arbeitet als Sie, macht also für die Haushaltskasse keinen Sinn. Erst, wenn das Kind einen Betreuungsplatz hat, der in vielen Bundesländern noch immer kostenpflichtig ist, startet der Wiedereinstieg für die Mutter. Und das bei 66 % der erwerbstätigen Mamas “nur” in Teilzeit, wie eine Auswertung des Statistischen Bundesamts zur Teilzeitquote ergeben hat. Die an sich schon große Schere zwischen Männern und Frauen im Berufsleben wird dadurch noch größer.

Nicht nur, dass Frauen in Teilzeit seltener Führungspositionen angeboten werden* (ich bin hier wohl als glückliche Ausnahme der Regel zu sehen), sie bekommen auch seltener Bonus-Zahlungen als (männliche) Vollzeitangestellte, wie die Auswertung des Bundesarbeitsministeriums zeigt. Da zerreißt man sich doch gerne zwischen Kind und Karriere, oder?

Ach, und ich habe noch etwas vergessen: Stichwort Kinderkrankengeld. Ist das Kind krank, bleibt meist Mama zu Hause. Sie bekommt dann in der Regel 90 % ihres Nettogehalts durch die Krankenkasse ausgezahlt.

Und jetzt kommt die Krux: Es kann auch 100 % des Nettogehalts geben. Aber nur dann, wenn der Arbeitnehmer (ich nutze hier bewusst die männliche Form) in den letzten 12 Monaten Zusatzleistungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld erhalten hat. Mehr Geld bei mehr Geld also. Aber wer macht denn größtenteils die Jobs, die meist besser bezahlt sind und häufiger Zusatzleistungen enthalten? Männer in Vollzeit.

Keine Betreuung, kein Job, keine Altersvorsorge

Die Ausgangslage für arbeitende Mütter in Deutschland ist also sowieso schon nicht die beste. Jetzt kommt noch der Kita-Notstand dazu und die Situation wird für Familien – aber insbesondere für Mütter – zur Farce. Wer nicht weiß, ob und wie sein Kind ab dem Sommer betreut wird, der kann nicht beruflich planen, geschweige denn seine eigene Karriere in den Fokus rücken oder gar für das Alter sparen.

Das Ergebnis der untragbaren Kita-Situation: Frauen bleiben in der Teilzeitfalle gefangen oder werden in vielen Fällen (zumindest bis ein heiliger Betreuungsplatz am Horizont erscheint) sogar komplett in die Hausfrauenrolle zurückgedrängt. Willkommen zurück im Jahr 1950, wo die Gender Pay Gap genauso groß ist wie der Frust!

Verlustgeschäft für alle

Dass das Thema Kinderbetreuung seitens der Politik so lange zu wenig Beachtung bekommen hat, rächt sich jetzt gleich doppelt. Denn es ist nicht nur ein feministisches Problem, es ist ein gesellschaftliches und gesamtwirtschaftliches.

Mütter, aber auch Väter, die ihre Arbeitskraft nicht einsetzen können, weil sie sich ums Kind ohne Kita kümmern müssen, fehlen auf dem Arbeitsmarkt. Die Wirtschaft im Ganzen wird geschwächt, Staat und Kommunen haben weniger Steuergelder zur Verfügung. Und wo wird dann gespart? Ach ja, wahrscheinlich bei den Kitas. Merkt ihr selbst, richtig?

Wir müssen laut werden, es steht zu viel auf dem Spiel

Es wird Zeit, dass wir laut werden und nicht nur wir Eltern. Hier steht viel zu viel auf dem Spiel, um die Situation stillschweigend zu schlucken. Nur eine gesicherte und gute Kinderbetreuung lässt diese Gesellschaft funktionieren. Das ist keine Traumtänzerei, sondern ein Fakt.

Das Thema muss endlich die Beachtung bekommen, die es angesichts der weitreichenden Folgen für ganz Deutschland verdient hat. Hier geht es nicht um die Belastung (sowohl emotional als auch finanziell) einzelner Familien. Hier geht es um uns alle.

In vielen Städten werden derzeit Protestmärsche von Eltern oder Initiativen organisiert, um auf den Kita-Notstand und seine Folgen aufmerksam zu machen. Wenn es so etwas in eurer Stadt noch nicht gibt, dann schließt euch zusammen und nehmt die Sache selbst in die Hand. Ich bin mir sicher, dass ihr über euren Freundes- und Bekanntenkreis schnell viele Gleichgesinnte finden werdet. Also lasst uns laut werden!

  1. DANKE für diesen Artikel, der das Problem endlich auf den Punkt bringt. Der Fokus des öffentlichen Diskurses, der mich rasend macht, liegt im hohen Maße auf den Unternehmen, die es Müttern doch bitte endlich ermöglichen sollen Kinder und Karriere zu vereinbaren und auf Vätern, die ja angeblich fast alle keine Elternzeit nehmen möchten (mit Verweisen auf die Statistiken, spätestens an diesem Punkt flippe ich regelmäßig aus – wie soll sich eine Familie, in der die Mutter weniger verdient, das Zuhausebleiben des Vaters und den damit höheren Verdienstausfall bitte leisten können?). Ich bin ebenfalls Führungskraft, möchte und muss dringend wieder arbeiten, einen Betreuungsplatz in KiTa oder bei einer Tagespflegeperson zu bekommen ist jedoch auch ein Jahr nach der ersten Bewerbung noch die reinste Lotterie. Ich bin jeden Tag geschockt, wie es soweit kommen konnte. Planung des Wiedereinstiegs absolut unmöglich. Die traurige Konsequenz dieser Situation ist, dass so nur das Einklagen des Verdienstausfalls bleibt, das heißt die Gemeinden/Städte und damit der Staat selbst muss am Ende blechen, obwohl dieses Geld doch viel eher in ein angemesseneres Gehalt für Erzieher/innen oder sonstige Betreuungsförderungen fließen sollte.

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