Foto: William Neuheisel | Flickr | 2.0

Das Klassentreffen: Zwischen Nostalgie und Spießrutenlauf

In ihrer Twentysomething-Kolumne schreibt Silvia über alles, was ihr gerade durch den Kopf geht. Und diese Woche über die Gefühle vor einem Jahrgangstreffen.

Jahrgangstreffen? Oh Gott, ich bin offiziell alt!

Es gibt diese Tage. Die tun so, als seien sie ganz normale Tage, bis sie sich ins Fäustchen lachen und dich eines Besseren belehren. Zum Beispiel dann, wenn eine E-Mail wie folgende reinkommt: „Hallo ihr Lieben! Mensch, ist das lange her. Abi! Zehn Jahre! Könnt ihr es glauben? Wir sollten uns alle wiedersehen und das feiern!“ Und während dir noch vor Schreck der Mund offensteht, der Joghurt vom Löffel auf das T-Shirt plumpst und du fluchend nach einem Küchentuch greifst, nur um den Fleck damit noch zu verschlimmern, da kommen auch schon die nächsten Mails rein: „Tolle Idee, können wir unsere Partner mitbringen?“. Wie bitte, „Partner?!“ Was soll das sein? Seit wann sind das nicht mehr eure Boys, eure Freundinnen, eure Affären? Was passiert hier?

Und ich überlege mir, ob es schlagfertig oder traurig wäre, wenn ich frage, ob ich mein Lieblingskissen mitbringen darf. Also meinen Schlafpartner. Urgs. Na, ihr wisst schon. Willkommen in meinem Leben.

Während ich mich dann wieder fange und beginne, die Vorstellung lustig und ein wenig spannend zu finden – denn ich gehöre tatsächlich zu den Exemplaren, denen die Schulzeit Spaß gemacht hat – da kommen auch schon wieder andere Gedanken auf: Wie wird denn das eigentlich? Wird das so ein bisschen sein wie früher, nur gediegen mit der Weißweinschorle in der Hand und einem: „Mensch, ist das toll du, dass wir uns noch mal wiedersehen. Machen wir jetzt öfter!“ (Macht man natürlich nie).

Kinder? Nein, aber ganz niedliche Hausstaubmilben!

Werde ich die wohl einzige sein, die noch kein Kind in die Welt gesetzt hat und keine schicke Eigentumswohnung im Grünen mit toller Anbindung an die Stadt ihr eigen nennt? Werde ich die sein, die „noch mega-gut aussieht!“ – oder doch eher die, der man aufmunternd zulächelt und dann sagt: „Ja, so ein Leben in der Hauptstadt als Journalistin, das ist schon kräftezehrend. Sieht man ja. Toll, wie du das meisterst.“ Und dann werde ich mich in der Bowle-Schale ertränken müssen. Oder ich gehe wie früher aufs Klo, um zu heulen, und schreibe einen melancholischen Spruch an die Wand (Notiz an mich: Edding einpacken). Das
hat sicher was Therapeutisches. Wie so eine Geburtsrückführung.

Denn darum geht’s doch bei so einer Feier: Zu erfahren, wer was bisher wie geschafft hat. Und wie zum Teufel man jetzt eigentlich aussieht. Und vor allem: Wie gut komme ich im Vergleich zu den anderen weg? Und jetzt würde ich gerne sagen: Ist mir doch egal. Ich mag mein Leben! Aber das wäre dann doch etwas gelogen. Denn auch wenn ich ziemlich zufrieden bin mit dem, was ich habe, machen Vergleiche mit rund hundert Menschen, die dieselbe Ausgangslage wie du hatten, einfach keinen Spaß, wenn man nicht mindestens im Mittelfeld mitspielt.

Und ich bin mir ziemlich sicher: Den anderen geht es ganz genauso. Jede Wette, dass jeder einzelne auf diesem Treffen zwischendurch Bilanz zieht und das knackig verpackt in Nachrichten an seine Liebsten von heute versendet. Etwa, dass der nerdige Klassendepp von früher jetzt ein schöner Schwan geworden ist und ein Vermögen verdient. „Wahnsinn!“ Oder dass die Klassenbeste sich auf Leben mit Räucherstäbchen und Himalayasalz in einem Wohnprojekt entschieden hat. „Was passiert hier?“

Vielleicht wird aber auch alles so sein wie früher und wir trinken zu schnell einen über den Durst, hängen uns zu Take That mit feuchten Augen in den Armen und am Ende muss irgendjemand irgendwem die Haare aus dem Gesicht halten, während dieser sich übergibt.

Und wenn alles schiefgeht, bleibt mir ja immer noch der nasse Tod in der Bowle-Schale.

Artikelbild: William Neuheisel | Flickr | CC 2.0

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