Foto: Milada Vigerova

Ich war niemals in der Schule

Ja, ich bin in Österreich geboren und aufgewachsen. Nein, ich war niemals in der Schule und das ganz legal. Warum das genauso gut war.

 

Ganz normal: Nie zur Schule

Für Mama, Oma und Opa

In Österreich gibt es keine Schulpflicht, sondern nur Unterrichtspflicht. Das hat Maria Theresia am 6. Dezember 1774 eingeführt. Sehr klug von ihr, finde ich.

Es wäre vermutlich ebenso klug gewesen, diesen Text schon früher zu schreiben, ausgestattet mit einem FAQ-Teil, denn im Laufe der Jahre haben mich so manche Menschen gefragt, wie das denn so ist, nicht in die Schule zu gehen. Für mich ganz normal – genauso wie es normal ist, in die Schule zu gehen, wenn man in die Schule geht.

„Und du, in welche Schule gehst du?“

Seit ich aus dem Alter raus bin, in dem man annehmen würde, dass ich Schülerin bin, haben die Fragen nachgelassen. Ich denke, dass viele der Menschen mit denen ich heute zu tun habe, gar nicht wissen, dass ich niemals in der Schule war. Man sieht mir das nämlich nicht an. Außerdem ist es auch egal. Trotzdem möchte ich darüber einmal schreiben.

Zuerst der Disclaimer, bevor jemand fragt: Ich habe keine Matura (Abitur). Es fehlen mir zwei Prüfungen, Latein und Mathematik, und die Matura selbst. Dann wäre es soweit. Ich kann das noch machen, in der Dokumentenmappe bei mir Zuhause liegt das Schreiben, das ich dafür brauche. Quasi die Genehmigung. Gut, vermutlich nicht in der Dokumentenmappe, weil ich habe gar keine, aber das Dokument habe ich noch! Warum habe ich die letzten Prüfungen nicht gemacht? Ich bin bei Latein durchgefallen, die erste Prüfung bei der ich jemals durchgefallen bin, und habe dann statt zu lernen und nochmal einmal anzutreten, weiter geschrieben. Ich habe als Journalistin gearbeitet, so wie ich es jetzt auch mache.

Ich hatte ein schlechtes Gewissen — nicht weil ich diese Prüfungen nicht gemacht habe, nicht, weil ich die Matura nicht gemacht hatte, sondern, weil ich Spaß an dem hatte, was ich tue. Ich hatte das Gefühl, dass ich immer noch nicht fertig bin, nicht angekommen bin und dass ich auch nichts anderes machen kann, bevor ich ankomme. Bis ich es einfach gehen ließ, das Gefühl.

Schlechtes Gewissen

Ich habe heute kein schlechtes Gewissen mehr. Warum? Weil ich, anstatt mich durch Prüfungen zu quälen und ohne Schulabschluss, das mache, was ich mit Schulabschluss auch gemacht hätte: Spaß haben, bei dem was ich mache. Weil, warum nicht?

Meine Psychotherapeutin hat mir mal gesagt, dass ich mir nie erlaube etwas wirklich zu genießen, weil ich glaube, dass das nicht richtig ist. Ich denke, dass es nicht richtig ist, weil ich keine abgeschlossene Ausbildung habe, weil man da nämlich nicht erfolgreich und nicht glücklich sein kann.

Ich sitze nun in San Francisco, habe ein Internet voller großartiger Menschen, ein neues MacBook das gerade aus Japan am Weg zu mir ist und einen Ehemann, der der großartigste Mensch der Welt ist. Ich habe außerdem eine Familie, die ich liebe und, die immer für mich da ist und war. Und ich kann Dinge im Internet machen und verdiene Geld damit. Aufzählung in zufälliger Reihenfolge. Ja, mir ist bewusst, dass das MacBook da zu weit vorne steht. Danke.

Let it go: Glücklich auch ohne Abschluss

Ich denke also, dass es in Ordnung ist, zu genießen. Und deshalb habe ich mich dazu entschlossen, das mal alles aufzuschreiben. Damit ihr es alle wisst und keiner mehr fragen kann, ähm, muss.

Wer nicht in die Schule geht, muss keinen religiösen Hintergrund, keine Abneigung gegenüber Kindern oder Menschen im Allgemeinen haben, sondern kann sich ganz einfach zum Hausunterricht abmelden. Zugegebenermaßen habe ich das damals, mit sechs Jahren, nicht selbst gemacht und möchte deshalb auch anmerken, dass ich die Frage, ob ich mich selbst dazu entschlossen habe, mit einem klaren „Nein!“ beantworten muss.

Mir wurde aber immer wieder sehr klar und deutlich vermittelt, dass ich jederzeit in die Schule gehen kann, wenn ich das möchte. Wollte ich aber nie. Warum nicht? Nun ja, wer will schon um acht Uhr irgendwo sein? Das hätte sowieso nicht geklappt. Alleine schon deshalb, weil die Harald Schmidt Show immer so spät am Abend lief. Prioritäten.

Außerdem konnte ich mich mit dem Gedanken von einen ganzen Tag in einem Raum zu sitzen oder den vorgelesenen und vorgegeben Dingen in einer Schule zu lauschen nicht anfreunden.

Wie lief das nun für mich ab?

In der Volksschule musste ich einmal im Jahr in meine Prüfungsschule, um im Unterricht, also in einer Klasse, einen halben Tag lang dabei zu sein und verschiedene Prüfungen zu schreiben. Eine Prüfung für jedes Schuljahr. Ungefähr ein Monat vor diesen Prüfungen sollte ich auch immer in eben diese Klasse zu einem Tag Probeschule kommen. Wenn man es also ganz genau nimmt war ich dann sieben Tage tatsächlich in einer Klasse. Sieben statt acht Tage lang, weil ich einmal krank war, wenn ich mich richtig erinnere. Ich hatte jedes Jahr am Zeugnis in der Volksschule nur Einser, toll, aber auch irgendwie unnötig. Wie oft zeigt man diese Zeugnisse heute schon her oder kann sie für irgendwas einsetzen? Eben.

Das Gymnasium

Im Gymnasium lief es dann so ab, dass ich jedes Jahr und für jeden Gegenstand eine Prüfung ablegen musste. Immer schon einige Zeit vor der Prüfung in die Schule kommen, zur Nummernausgabe, hieß es da. Dann wurden ausgedruckte kleine Kärtchen verteilt, auf denen Nummern standen, zu denen kam man dann dran. Inklusive einer Fast-Schlägerei jedes Mal, wenn die Person mit den Nummern den Gang entlang kam und jeder die niedrigste Nummer haben wollte, um möglichst früh dran zu kommen. Ich denke noch heute gerne an dieses Highlight des durchdachten Systems für Externisten, wie man uns nicht in die Schule gehende nennt, zurück.

Bis zum Ende der Schulpflicht, nach neun Jahren Schule, durfte ich übrigens nicht durchfallen, bei keiner einzigen Prüfung. Sonst hätte ich das ganze Jahr in der Schule wiederholen müssen. Sehr fair, wie ich finde. Oder nicht. Das kann man sich aussuchen. Bei den Oberstufenprüfungen nach der Schulpflicht gab es dann die Möglichkeit zweimal zu wiederholen.

Bei den mündlichen Prüfungen gab es zwei Fragen aus dem Prüfungsstoff, die beide richtig beantwortet werden mussten. Die Prüfungen wurden immer mit einem Prüfer oder einer Prüferin und einem Vorsitzenden abgehalten. So richtig offiziell. Alles sehr aufregend. Ich glaube, dass man dabei schon sehr gut lernt mit solchen Situationen umzugehen und es hat sicher auch viel gutes. Ich finde es aber auch ein bisschen zu aufregend.

Selber lernen zu lernen

Viele Jahre über zu lernen, wie man sich selbst etwas beibringt, wie man sich selbst für etwas begeistert und wie man die Disziplin hat, auf einen Termin hin zu arbeiten, das hat mir wirklich etwas gebracht. Vor allem auch, dass man sich dann immer wieder dazu überwindet tatsächlich hinzugehen.

Auch, wenn ich der Meinung bin, dass eine abgeschlossene Ausbildung toll ist, wenn man die Energie dazu aufbringt und auch, wenn ich jeden dafür bewundere, wenn man es kann, würde ich mir doch eines wünschen: Die Akzeptanz und das normal sein von anderen Formen. Und ich würde mir eine Überarbeitung des Unterrichtsstoffs wünschen, sowie des Schulsystems im Allgemeinen. Ich würde mir mehr Freiheit wünschen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Prüfungsstoff in der Schule

Während mir die Schule in der Unterstufe noch gesagt hat aus welchen Schulbüchern ich lernen soll, was durchaus nicht schlecht war, bedenkt man, dass es keine Wiederholungsmöglichkeiten der Prüfungen gab, bekam ich in der Oberstufe nur einen Themenkatalog mit oft sehr groben Angaben von dem was erwartet wird. Das machte die Prüfungen nicht immer einfacher. Und ist mitunter nicht der richtige Ansatz für „mehr Freiheit“.

Ich kann mich daran erinnern, dass als ich mich für die Matura vorbereitet habe, immer wieder gehört habe, dass ich mich auf Wikipedia über das Spezialgebiet schlau machen soll. Das sei ausreichend. Ich konnte mich damit nicht so recht anfreunden und habe eine innere Sperre dagegen aufgebracht. Das führte dazu, dass ich die Matura immer weiter aufgeschoben habe.

Nein, ich war in keinem System eingebettet, dass mir nach einer gewissen Anzahl an Schuljahren zur Matura gebracht hat. Ich konnte es mir einfach selbst aussuchen und ich habe mich schließlich dazu entschieden, die Matura nicht zu machen. Und die einzigen Momente in denen es mir bisher geschadet hat waren, als es die perfekte Nahrung für meine Selbstzweifel war.

Was ist Bildung?

In einer Zeit wo ein Laptop ausreichen kann, um von überall in der Welt aus zu arbeiten, wo das Internet zum unkomplizierten Sticker verschicken von Wien nach San Francisco beiträgt und wo ich ohne Probleme meinem Internet erzählen kann, dass ich eine Psychotherapeutin habe, weil ich das gut für mein Wohlbefinden finde, ist es vielleicht auch an der Zeit über neue Bildungsformen nachzudenken. Wo Youtube-Tutorials, Erfahrung und einfach machen genau so viel Wert sind wie eine abgeschlossene Ausbildung und wo das nicht in die Schule gehen genau so akzeptiert ist, wie das zur Schule gehen, das wäre cool.

Dann würde es vielleicht auch Fragen wie „Wie sieht es mit deinen sozialen Kontakten aus?“ und „Wo hast du andere Kinder kennengelernt? Geht das ohne, dass du in die Schule gehst?“ nicht mehr geben.

Ach ja und als kurze Antwort zu all diesen Fragen: Ich mag keine Menschenansammlungen und Small Talk, ich hasse telefonieren und ich spreche gerne über Twitter und Facebook-Sticker mit Menschen. Ich habe den Verdacht, dass das auch so wäre, wenn ich in die Schule gegangen wäre. Ich werde es aber niemals sicher herausfinden, genau so wenig wie ich herausfinden werde, was ich vermissen könnte. Und zur letzten Frage: Ja.

Kommt der Abschluss noch?

Abschließend möchte ich mich bei meiner Mama und bei meinen Großeltern bedanken, die mir ermöglicht haben eine großartige Kindheit zu haben. Die immer für mich da waren, die mir alle Fragen beantwortet haben und, die sich für mich immer Zeit genommen haben. Ich glaube nicht, dass das selbstverständlich ist und ich weiß das sehr zu schätzen.

Wer jetzt meint, dass sich das alles vielleicht in den nächsten Jahren mal ändern könnte und ich vielleicht doch eine abgeschlossene Ausbildung möchte: JA! Ich freue mich auf den Moment, wenn ich das Gefühl habe, dass es soweit ist und ich eine Kurve in Richtung „was auch immer abschließen“ einlege! Warum nicht? Wenn man es möchte, geht das immer. Wenn dann der richtige Moment ist, dann freue ich mich darauf das zu machen.

In diesem Sinne: #yolo und viel Spaß mit eurem Leben!

Mehr bei EDITION F

Selbststudium: Ben Paul studiert ohne Uni. Weiterlesen

Schule als Tech-Startup – im Silicon Valley wird die Bildung der Zukunft getestet. Weiterlesen

Alle wollen kreative Mitarbeiter – aber dann muss unser Schulsystem diese Fähigkeit auch fördern! Weiterlesen

Anzeige