Foto: privat

Selbststudium: Ben Paul studiert ohne Uni

Viele Studenten sind mit der Universität unzufrieden: Sie wollen mehr Praxis und Selbstbestimmung. Daraus entsteht gerade eine Bewegung.

 

Master oder Desaster?

Für manche Studenten stellt sich im Studium heraus, dass die Universität keine wirkliche Vorbereitung auf ihr Berufsleben ist. Sie finden sich wieder in einem Zyklus aus Vorlesungen, Bibliothek und Prüfungen – aber zu wenig Praxiserfahrung und Persönlichkeitsbildung. Gelerntes wird häufig schnell wieder vergessen, wenn es nicht angewandt werden kann. Das Studium gilt noch immer als der höhere Bildungsweg für hochqualifizierte Karrieren. Aber es gibt auch junge Menschen, die das anders sehen: Sie wollen einen Wandel des klassischen Bildungssystems und auf alternative, selbstbestimmte Lernmethoden und Bildungswege setzen.

Bewegung in den USA

In den USA gibt es seit längerer Zeit eine Bewegung gegen das dort bestehende Bildungssystem. Dort stellen für Studierende neben der Unzufriedenheit mit dem Studium die Kosten eine große Problematik dar. College-Schulden begleiten Absolventen über mehrere erste Berufsjahre. Im Schnitt steht ein amerikanischer Student mit 25.000 Dollar in den roten Zahlen, nachdem er das College verlassen hat.

Der 21-jährige Studienabbrecher Dale Stephen ist das bekannteste Gesicht der „UnCollege”-Bewegung. Mit seiner gleichnamigen Organisation zeigt er alternative Wege auf, um sich zu bilden. Er bloggt regelmäßig über eigenständige Methoden zu lernen und schreibt Beiträge für Bücher. Zusätzlich bietet er ein „Gap-Year-Programme”  an, bei dem Teilnehmenden Praktika absolvieren und im Ausland soziale Arbeit leisten. Für Amerikaner ist das ein neues Konzept: So etwas wie das „Freiwillige Soziale Jahr” gibt es in den USA nicht.

Vor kurzem erschien sein Buch „Hacking your education“, in dem er zeigt, dass man für Selbstbildung weder ein Genie sein muss oder noch übermäßig viel Zeit investieren muss. Man braucht lediglich Neugier, Selbstsicherheit und Entschlossenheit. 

Ben Paul – Vorreiter in Deutschland

Auch in Deutschland suchen Menschen nach Alternativen zur Universität. Studienabbrecher wollen zusätzliche Angebote zu klassischen Ausbildungsberufen.  Ein wichtiger Vorreiter ist Ben Paul: Er hat selbst sein Studium abgebrochen, ist nun Blogger und Entrepreneur. Der 23-Jährige studierte Rechtswissenschaften an der angesehenen Bucerius Law School in Hamburg. Gute Noten und ein Stipendium öffneten ihm viele Türen. Doch bereits nach dem ersten Jahr merkte er, dass ihn das starre und einseitige Curriculum der Uni störte. Er wollte einen selbstbestimmten Lehrplan. Deshalb pausierte Paul zunächst ein Jahr und reiste nach Nicaragua um nach einer Auszeit mit frischer Motivation weiter zu studieren. In diesem Auslandsjahr erkannte er aber, dass Jura doch nicht sein Wunschfach war und entschloss sich schließlich seine Universität zu verlassen. 

Gegenüber Edition F erklärte er diesen Schritt: „Wenn ich heute zurückschaue, gab es nicht den einen Grund mein Studium abzubrechen. Zu meinem Abbruch führten verschiedene Faktoren: Ich hatte das sehr starke Gefühl, dass ich mich nicht wirklich persönlich weiterentwickle. „Bildung“ bedeutet für mich heute auch und vor allem die bewusste Entwicklung meiner Persönlichkeit und Selbstkenntnis. Ich hatte einfach keine Vision für mein Leben, wo ich mich in fünf Jahren sehen würde. Als ich in Nicaragua daran dachte zurück an die Law School zu gehen, hatte ich kein gutes Gefühl im Bauch. Also entschied ich vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben diesem Gefühl zu vertrauen.“ 

Heute betreibt Paul sein Blog Anti-Uni.com, auf dem er ähnlich denkende junge Menschen in einem Guide über die Kehrseite des heutigen Bildungssystems aufklärt und sie zu einer neuen Bewegung motivieren will. Außerdem arbeiter an einer alternativen Online-Universität.  „Unter den Digital Natives meiner Generation ist der Frust über das deutsche Bildungssystem groß“, sagte Paul gegenüber dem Tagesspiegel. Sein Konzept ist simpel. Er bildet sich selbst und gestaltet seinen Lehrplan selbst. Mehr als 13.000 Besucher besuchten letzten Monat seinen Blog. Darauf gibt er Ratschläge, verlinkt weiteres Material und erzählt Geschichten von anderen Studienabbrechern, die erfolgreich andere Wege gegangen sind. Sein Blog soll vorallem als Forum für Interessierte dienen. Paul setzt hier vorallem auf ein authentische Auftreten: Er erzählt seinen Lesern nicht nur wie toll es ist, wenn man sich selbst verwirklicht, sondern berichtet auch offen und ehrlich von seinen Schwächen und Ängsten.  

„Ich stehe früh auf – manchmal gerne, manchmal nicht. Dann mache ich Sport, lese für ein paar Stunden und schreibe dann für ein paar Stunden. Nachmittags sind dann Treffen, Interviews und Kommunikation dran. Sonst besuche ich viele Veranstaltungen im Entrepreneurship-Bereich und lasse mich gerade zum Trainer in gewaltfreier Kommunikation ausbilden”, erzählt der Unigegner im Interview. Noch wird der Alternativ-Student von seinen Eltern finanziert, doch er hofft, dass sich das bald ändert. 

Anfang einer größeren Bewegung?

In Deutschland steigt die Zahl der Studienabbrecher. Vom Absolventenjahrgang 2010 brachen rund 28 Prozent der Bachelorstudenten ihr Studium vorzeitig ab, fand ein Forschungsteam vom Hochschul-Informations-System heraus. An Universitäten sind es sogar 35 Prozent, während die Werte für Fachhochschulen bei 19 Prozent liegen. Studienabbrecher sind lange keine Außnahme mehr. Die Facebook-Seite von Ben Pauls Idee hat bislang nur etwa 2.000 Fans. Ob die Anti-Uni-Bewegung zu einem Trend wachsen kann? Das wird auch an der Flexibilität des Arbeitsmarktes liegen. Denn eine wichtige Frage, die sich für Menschen mit neuen Bildungswegen stellt, ist, wie sie einen Platz in regulären Unternehmen bekommen – wenn sie ihn wollen.

Was sie im Selbststudium lernen, sind oft wichtige Qualifikationen für Top-Jobs: Eigenständigkeit, Flexibilität und eine starke Persönlichkeit. Doch fliegen sie aus dem Bewerberstapel, wenn das Hochschulzeugnis fehlt? Darüber, wie selbstbestimmte Bildung anerkannt werden kann, muss noch diskutiert werden. Ben Paul sagt hierzu: „Ich glaube, dass sich unser Bildungsverständnis in den nächsten Jahren ändern wird. Wir brauchen einfach nicht noch mehr ‘Fachroboter’, sondern echte und gereifte Persönlichkeiten. Gleichzeitig werden Informationen immer einfacher abrufbar, sodass das Lernen von reinem Faktenwissen zunehmend überflüssig wird.” Erste Programme wie zum Beispiel das Selbstfindungsstipendium der Uni Witten Herdecke zeigten, dass Selbstkenntnis und projekt-basiertes Lernen sowie eine stärkere Praxisorientierung fest zum Bildungsverständnis der Zukunft dazugehören würden, so Paul.

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