In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Mein Kind wäre gerne Großkapitalist.
„Mamaaa, wie viel haben meine Schuhe gekostet?“
Neulich traf das siebenjährige Kind auf einen Kindkollegen, den es schon länger nicht mehr gesehen hätte. Man würde ja meinen, man könnte von Kind zu Kind etwa über den Fortgang der Herbstferien, den neuesten Lego-Kauf, den Ausgang des Hertha-Spiels vom Wochenende, den aktuellen Stand der Brexit-Verhandlungen oder sonst was Gesellschaftsrelevantes ins Gespräch kommen.
Stattdessen krähte das Kind nach einem kurzen Wortgefecht Sekunden später in meine Richtung: „Mamaaa, wie viel haben meine Schuhe gekostet?“
Solche Informationen werden in letzter Zeit häufiger abgerufen: Wie viel hat unser Urlaub gekostet? Wie viel hat unser Auto gekostet? Wie viel verdienst du jeden Monat? Über die realen Zahlen ist das Kind dann meistens ein bisschen enttäuscht, hab ich das Gefühl.
Neulich kamen wir vor der Kita an einem VW-Bus vorbei, die Großeltern zweier Kita-Kinder waren gerade dabei, die soeben abgeholten Enkel in dem riesigen Fond zu verstauen. Mein Kind verwickelte die beiden Erwachsenen in ein Gespräch, wobei es Schwierigkeiten hatte, seine ehrliche Empörung zu verbergen: „Wieso habt ihr ein größeres Auto als wir? Das ist ungerecht! Ihr seid nur vier, und wir sind fünf!“ Dass die Oma erklärte, dass sie und ihr Mann mit dem VW-Bus auch in den Urlaub führen und deshalb Platz zum Schlafen brauchten, besänftigte das Kind nur mäßig. Abschließend ergänzte das Kind, wieder leicht triumphierend, dass in unser Auto eigentlich sogar sieben Leute passen würden, wenn man die Notsitze im Kofferraum mit in die Rechnung einbeziehen würde.
Papas Honorarhöhe als Gesprächseinstieg
Mein Mann hat dem Kind auf Anfrage leichtsinnigerweise ein Honorar für einen Auftrag, der zufälligerweise in Düsseldorf stattfand, verraten, nun nutzt das Kind diese Information als Gesprächseinstieg in jeglicher Konversationssituation, egal ob es sich bei den Gesprächspartner*innen um Kinder aus dem Fußballverein, Supermarktkassierer*innen, zehn Monate alte Geschwisterbabys von Freunden oder Kita-Eltern handelt: „Mein Papa hat für vier Mal nach Düsseldorf fliegen xy Euro gekriegt!“
Dass Ronaldo eigentlich hinter Gitter gehört, ist für das Kind eher sekundär, an der Information, dass er 150 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben soll, findet es vor allem die Höhe des Betrags eindrucksvoll.
Überhaupt scheint mir, dass das Kind und seine Freunde sich derzeit ausschließlich im Gespräch halten, indem sie sich gegenseitig in abseitigen Themengebieten übertrumpfen, Geld ist da nur ein Aspekt von vielen:
„Mir sind schon mehr Zähne ausgefallen als dir“, „Meine Mama hat längere Haare als deine.“ „Ich kann aber mehr Pizzabällchen essen als du!“; „Das Kaninchen unserer Nachbarn frisst garantiert mehr Petersilie als eures.“
Zudem befragt das Kind alle Leute, mit denen es in Kontakt gerät, wie viele Länder er oder sie bereits bereist hat, und gleicht das mit der eigenen Reisebilanz ab. Und wird natürlich sauer, wenn jemand mehr „Länderpunkte“ gesammelt hat. Es ist außerdem ziemlich sauer, dass es schon mehrfach nach Italien und Spanien musste, und hält uns vor, dass wir ihm damit seine bisherige Bilanz versauen würden.
Als wir kürzlich nach Frankreich fuhren (Länderpunkt Frankreich noch nicht im Reise-Porfolio des Kindes vorhanden) und nur das Baby mitkommen durfte, raubte das dem Kind spürbar die Nerven: „Na gut, sie darf mitkommen. Aber wir tun hinterher so, als wäre sie nie da gewesen. Und einen Länderpunkt kriegt sie natürlich auch nicht dafür.“
Vorläufer klassischer Schwanzvergleiche?
Diese Besessenheit, alles und jeden übertrumpfen zu müssen, scheint einer gewissen Willkür zu folgen, egal in welcher Disziplin. Ich hoffe, dass es sich um eine generelle für diese Altersstufe typische „Phase“ handelt und ich das Kind nicht aus Versehen bereits zum Großkapitalisten erzogen habe. Der Vater des Kindes jedenfalls erinnert sich noch sehr gut daran, wie er im Grundschulalter den alten Opel seiner Eltern zu einem Mercedes machte, um nicht gedisst zu werden.
Wenn also bei Playdates in letzter Zeit eigentlich ausschließlich solche Punkte behandelt werden: „Ich kann aber besser Lego bauen als du“; „Meine Mama hat aber die spannendere Arbeit als deine (selbstverständlich ohne einen blassen Schimmer davon zu haben, was die Mütter eigentlich genau in ihrer Arbeitszeit anstellen“; „Der Computer von meinem Papa hat aber mehr gekostet als der von deinem“. „Die Schwester von meinem Papa ist mit jemandem verheiratet, der kommt aus einem Land, das viiiiel weiter weg ist als alle Länder, in denen du je gewesen bist“, dann weiß ich nicht so recht, wie ich damit umgehen soll.
Mir macht ein bisschen Sorgen: Sind das schon Vorläufer klassischer Schwanzvergleiche: Wer hat das dickste Auto? Wer scheffelt mehr Kohle? Wer fährt in den geileren Urlaub? Hilfe!
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