In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Warum sich niemand an Herzogin Kate orientieren sollte, wenn es um To-Dos direkt nach einer Entbindung geht.
Geburt erledigt – Highheels an!
Also erstmal, ich geb‘s ja zu, war auch ich hocherfreut über die Meldung, dass Kate ihr drittes Kind zur Welt gebracht habe und ich habe sofort das Video angeschaut, das sie und William zeigt, wie sie weniger als sieben Stunden nach der Geburt das Krankenhaus freundlich in alle Richtungen winkend samt neuem Baby verlassen.
Zum dritten Mal schon hat Kate nun diesen aus meiner Sicht grotesken Auftritt absolviert, zurechtgemacht von ihren Stylist*innen, wie nachzulesen war, in rotem Kleid mit Spitzenkragen und High Heels. (ich zitiere Kollegin Silvia: „Ich meine, was soll das? Schon die Vorstellung: Gerade ist das Kleine geschlüpft und du weißt, gleich kommt die Stylistin rein und der Mob will das Königsjunge sehen…“) Immerhin war bei Kates Geburten nicht mehr der britische Innenminister anwesend, wie das offenbar früher vorgeschrieben war.
After-Baby-Body für alle!
Man kann das natürlich in verschiedene Richtungen drehen, in den sozialen Netzwerken ging es nach Kates Auftritt auch in die Richtung: Toll, dass sie sich so direkt nach der Geburt zeigt (unter ihrem Kleid zeichneten sich deutlich die Umrisse ihres nach wie vor vorhandenen Schwangerschaftsbauches ab), das gebe Frauen das Gefühl, dass es völlig normal sei, nach einer Schwangerschaft einen anderen Körper zu haben. In einem Text las ich gar die Theorie, Kates offensive Zurschaustellung ihres After-Birth-Bauches sei eine ganz bewusste Entscheidung – schließlich hätte es ja auch die Möglichkeit gegeben, den Bauch unter zeltartiger Kleidung zu verstecken, wie Prinzessin Diana das nach der Geburt von William getan hatte. Kate habe also bewusst eine Botschaft an Frauen senden wollen, dass es eben normal sei, nach einer Geburt so auszusehen.
Wie auch immer: Mag ja alles sein; ich finde andere Tatsachen aber noch viel normaler:
Ich finde es normal, dass Frauen nach einer Geburt völlig erschöpft sind – glücklich meistens, aber erschöpft, ich finde es normal, dass Frauen nichts anderes wollen, als dieses neue Baby endlich live kennenzulernen, und außer dem Partner oder der Partnerin soll einem da niemand in die Quere kommen (was schwer genug ist, nachdem im Krankenhaus immer irgendwer (Ärzt*innen, Pflegepersonal, Hebammen, Reinigungspersonal …) irgendetwas will (absurderweise erschien bei allen meinen Geburten noch am selben Tag eine Physiotherapeutin, um Anleitung für eine erfolgreiche Rückbildung zu geben …)
Wieso sah ich nicht so frisch aus?
Und den geschundenen Körper will man doch eigentlich nur ablegen und sonst nichts mit ihm machen müssen, oder liege ich da so falsch? Die geschwollenen Füße will man in nichts anderes als in Badelatschen zwängen.
Was entsteht denn für ein Eindruck gerade bei Frauen, die bisher noch keine Kinder haben, sich das aber womöglich für die Zukunft vorstellen können? Und was denken all die Frauen, die schon Geburten hinter sich haben und unvermeidlich zum Vergleich ansetzen, in welchem Zustand sie ein paar Stunden nach einer Geburt waren?
Nach der Geburt wie aus dem Ei gepellt?
Natürlich gibt es Frauen, die wenige Stunden nach der Geburt schon eine Cocktailparty stemmen könnten. Es gibt ja schließlich auch genug Frauen, die sich für eine ambulante Geburt entscheiden und wenige Stunden nach der Geburt nach Hause gehen oder fahren. Ich nehme allerdings stark an, dass sie das in der Regel in Jogginghosen und mit fettigen Haaren tun und sich dann zu Hause erstmal ins Bett begeben.
Bei meiner zweiten Geburt hätte das mit so einem öffentlichen Auftritt womöglich geklappt, wenn ich das nötige Personal gehabt hätte – da hatte ich nämlich Glück und einer dieser Geburten, die dem Körper zwar auch eine Höchstleistung abverlangen, ansonsten aber keine größeren Schäden anrichten.
Bei meiner ersten Geburt (Fortbewegung aufgrund diverser Nähte nur im Watschel-Kreuzgang möglich) und der dritten (zweieinhalb Liter Blut weniger im Körper) wäre nicht daran zu denken gewesen.
Und das ist einfach die Normalität: Eine Geburt ist ein überwältigender Ausnahmezustand und kann körperliche Auswirkungen haben, von denen sich diejenigen, die gerade geboren haben, erholen müssen. Dank Oxytocinausstoß nimmt man Komplikationen und körperliche Schmerzen und Beschwerden in der Regel ohne groß zu nörgeln in Kauf, aber präsentabel oder ausgehfit ist man hinterher oft nur bedingt. Frauen, die einen Kaiserschnitt hatten, sind froh, wenn sie sich Stunden nach der Geburt überhaupt irgendwie bewegen können. Frauen, die genäht werden müssen, sind froh, wenn sie im Entengang den Weg bis zur Toilette allein schaffen. Und selbst wenn die Geburt an sich glatt und ohne medizinische Eingriffe verlief: Die allermeisten Frauen wollen einfach: ihre Ruhe! Vor allem beim ersten Kind.
Vom goldenen Kokon
Ich erinnere mich noch, dass meine Eltern sich nicht davon abbringen ließen, nach der Geburt meines ersten Kindes am Tag der Geburt im Krankenhaus vorbeizuschneien („Nur ganz kurz!“) – und ich erinnere mich, dass ich mich darüber gefreut habe, es mir aber schnell zu viel wurde. Meine tolle Hebamme, die mich vor und nach allen drei Schwangerschaften begleitet hat, sprach immer vom „goldenen Kokon“, in den sich die Eltern mit ihrem Baby einspinnen sollten und möglichst wenig (Besuch, Lärm …) von außen in diesen Kokon eindringen lassen sollten in den ersten Tagen und Wochen nach der Geburt. Mein Mann und ich haben uns immer ein bisschen darüber lustig gemacht, der goldene Kokon ist ein Running Gag bis heute, zumal meine Hebamme darauf bestand, während aller drei Schwangerschaften einen Termin mit mir und meinem Mann auszumachen, in dem sie eine Stunde lang jeweils über den goldenen Kokon dozierte.
Aber sie hat auch so recht: Direkt nach der Geburt sind die meisten Frauen empfindsamer, verletzlicher, schneller gestresst. Als wir nach ein paar Tagen mit unserem ersten Kind das Haus verließen, mit dem neuen Kinderwagen einen Spaziergang machten und uns in ein Café setzten, war ich total überwältigt: Das Licht war gleißender als sonst, die Musik im Café viel zu laut, die Leute auch.„Frauen können in der Zeit nach der Geburt nicht so gut filtern“, hatte meine Hebamme auch gesagt.
Um es also zusammenzufassen: Nein, es ist absolut nicht normal und nicht unbedingt empfehlenswert, wenige Stunden nach der Geburt einen solchen Auftritt hinzulegen (oder vielmehr hinlegen zu müssen). Es lebe der goldene Kokon! Aber dass der britische Königspalast für den goldenen Kokon nicht zu haben, sondern vielmehr eine Institution ohne Erbarmen ist, wissen wir ja spätestens seit „The Crown“.
Wir haben jetzt unsere eigene Facebook-Gruppe rund um das Thema Familie. Wir wollen uns mit allen austauschen und vernetzen, die sich für das Leben mit Kindern interessieren – egal ob ihr selbst Eltern seid oder (noch) nicht. Schaut doch mal vorbei!
Titelbild: depositphotos
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